Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.der angelernten fremden Sprache. Mir scheint es in der That ein partieller Wahnsinn zu seyn, der mir vor der krampfhaften Ueberbildung der Ungebildeten immer Furcht einflößt. Der menschliche Geist hat seine Gesetze und Stufen, er ist so organisirt, daß man seine Mittelglieder nicht überspringen darf. Schnell und krampfhaft zusammengeraffte Kenntnisse, welchen man keine Unterlage geben kann, sondern die man mit den Sporen der fürchterlichsten Anstrengung in sein Gedächtniß einhackt, werfen das ganze Gleichgewicht der Maschine um und machen, daß in dieser Art gebildete Leute oft wirklichen Narren ähnlich sind. Die Pedanten stehen in unserer Zeit einsamer als früher, wo es noch an öffentlichen Thatsachen fehlte und die Philosophie noch mehr in alterthümlichen und scholastischen Formen befangen war. Um so mehr fällt jetzt eine Erscheinung wie die des Herrn Titus Pomponius Sylbenstecher auf. Es mögen in England noch ein hundert Exemplare vorhanden seyn, die die Presse des Zufalls ganz von demselben Satze, wie jenen, abgezogen hat. Die in England herrschende klassische Bildung verlockt allerdings mehr zum Pedantismus, als anderswo; allein die kursorische Lektüre der Alten, die bei uns eingeführt ist; der Vorzug, welchen man bei uns dem Jnhalt der alten Schriftsteller gegen ihre Form schon auf der Schule einräumt, bewahrt uns, daß die ganze gelehrte Erziehungsmethode auf den Buchstaben so begründet ist, wie z. B. in Deutschland. Jn Deutschland der angelernten fremden Sprache. Mir scheint es in der That ein partieller Wahnsinn zu seyn, der mir vor der krampfhaften Ueberbildung der Ungebildeten immer Furcht einflößt. Der menschliche Geist hat seine Gesetze und Stufen, er ist so organisirt, daß man seine Mittelglieder nicht überspringen darf. Schnell und krampfhaft zusammengeraffte Kenntnisse, welchen man keine Unterlage geben kann, sondern die man mit den Sporen der fürchterlichsten Anstrengung in sein Gedächtniß einhackt, werfen das ganze Gleichgewicht der Maschine um und machen, daß in dieser Art gebildete Leute oft wirklichen Narren ähnlich sind. Die Pedanten stehen in unserer Zeit einsamer als früher, wo es noch an öffentlichen Thatsachen fehlte und die Philosophie noch mehr in alterthümlichen und scholastischen Formen befangen war. Um so mehr fällt jetzt eine Erscheinung wie die des Herrn Titus Pomponius Sylbenstecher auf. Es mögen in England noch ein hundert Exemplare vorhanden seyn, die die Presse des Zufalls ganz von demselben Satze, wie jenen, abgezogen hat. Die in England herrschende klassische Bildung verlockt allerdings mehr zum Pedantismus, als anderswo; allein die kursorische Lektüre der Alten, die bei uns eingeführt ist; der Vorzug, welchen man bei uns dem Jnhalt der alten Schriftsteller gegen ihre Form schon auf der Schule einräumt, bewahrt uns, daß die ganze gelehrte Erziehungsmethode auf den Buchstaben so begründet ist, wie z. B. in Deutschland. Jn Deutschland <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0385" n="357"/> der angelernten fremden Sprache. Mir scheint es in der That ein partieller Wahnsinn zu seyn, der mir vor der krampfhaften Ueberbildung der Ungebildeten immer Furcht einflößt. Der menschliche Geist hat seine Gesetze und Stufen, er ist so organisirt, daß man seine Mittelglieder nicht überspringen darf. Schnell und krampfhaft zusammengeraffte Kenntnisse, welchen man keine Unterlage geben kann, sondern die man mit den Sporen der fürchterlichsten Anstrengung in sein Gedächtniß einhackt, werfen das ganze Gleichgewicht der Maschine um und machen, daß in dieser Art gebildete Leute oft wirklichen Narren ähnlich sind.</p> <p>Die Pedanten stehen in unserer Zeit einsamer als früher, wo es noch an öffentlichen Thatsachen fehlte und die Philosophie noch mehr in alterthümlichen und scholastischen Formen befangen war. Um so mehr fällt jetzt eine Erscheinung wie die des Herrn Titus Pomponius Sylbenstecher auf. Es mögen in England noch ein hundert Exemplare vorhanden seyn, die die Presse des Zufalls ganz von demselben Satze, wie jenen, abgezogen hat. Die in England herrschende klassische Bildung verlockt allerdings mehr zum Pedantismus, als anderswo; allein die kursorische Lektüre der Alten, die bei uns eingeführt ist; der Vorzug, welchen man bei uns dem Jnhalt der alten Schriftsteller gegen ihre Form schon auf der Schule einräumt, bewahrt uns, daß die ganze gelehrte Erziehungsmethode auf den Buchstaben so begründet ist, wie z. B. in Deutschland. Jn Deutschland </p> </div> </body> </text> </TEI> [357/0385]
der angelernten fremden Sprache. Mir scheint es in der That ein partieller Wahnsinn zu seyn, der mir vor der krampfhaften Ueberbildung der Ungebildeten immer Furcht einflößt. Der menschliche Geist hat seine Gesetze und Stufen, er ist so organisirt, daß man seine Mittelglieder nicht überspringen darf. Schnell und krampfhaft zusammengeraffte Kenntnisse, welchen man keine Unterlage geben kann, sondern die man mit den Sporen der fürchterlichsten Anstrengung in sein Gedächtniß einhackt, werfen das ganze Gleichgewicht der Maschine um und machen, daß in dieser Art gebildete Leute oft wirklichen Narren ähnlich sind.
Die Pedanten stehen in unserer Zeit einsamer als früher, wo es noch an öffentlichen Thatsachen fehlte und die Philosophie noch mehr in alterthümlichen und scholastischen Formen befangen war. Um so mehr fällt jetzt eine Erscheinung wie die des Herrn Titus Pomponius Sylbenstecher auf. Es mögen in England noch ein hundert Exemplare vorhanden seyn, die die Presse des Zufalls ganz von demselben Satze, wie jenen, abgezogen hat. Die in England herrschende klassische Bildung verlockt allerdings mehr zum Pedantismus, als anderswo; allein die kursorische Lektüre der Alten, die bei uns eingeführt ist; der Vorzug, welchen man bei uns dem Jnhalt der alten Schriftsteller gegen ihre Form schon auf der Schule einräumt, bewahrt uns, daß die ganze gelehrte Erziehungsmethode auf den Buchstaben so begründet ist, wie z. B. in Deutschland. Jn Deutschland
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/385>, abgerufen am 28.07.2024. |