Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

müsse erzogen werden, um Sklaven der Begebenheiten, Zielpunkte der feindlichen Kugeln, blose Echo's der Parteimeinungen zu werden. Nein, was wir Würdiges und Hohes über die Menschheit glauben, das ist noch immer nicht verschieden von jenem Begriffe der Humanität, welcher das Jdeal der klaren und hochherzigen Denkart des vorigen Jahrhunderts war. Menschen zu bilden, ist noch immer das Losungswort, nur daß die alte Zeit gestattete, sich menschlich zu bewähren im Frieden, die neue Zeit aber verlangt, den Menschen zu entfalten, selbst in dem Sturm unsrer, durch so mannigfache Umstände hervorgerufenen und in steter Nahrung erhaltenen Kämpfe. Möge es daher dem Misch- und Detailcharakter unsrer Zeit nicht unangemessen erscheinen, wenn ich mein Kapitel über die Erziehung statt mit Maximen, lieber mit Porträts beginne. Jch will aus meiner Bekanntschaft mehrere Jndividuen hervorgreifen, welche uns besser als Raisonnement die gegenwärtige Lage unsres Erziehungswesens werden vergegenwärtigen können. Jch beginne mit Master Schlehsack.

Schlehsack ist der Sohn eines Webers und lernte das Handwerk seines Vaters. Er selbst pflegte zwar zu sagen, er hätte es lernen müssen; allein sein Vater hatte ganz recht, wenn er sagte, er hätte auch etwas anderes kaum lernen können. Peter Schlehsacks Vater hielt es mit einer Methodistengemeinde. Er besuchte die Abendzirkel derselben und sang dabei einen sehr unreinen, aber doch in Gott freudigen Tenor. Peter Schlehsack, der

müsse erzogen werden, um Sklaven der Begebenheiten, Zielpunkte der feindlichen Kugeln, blose Echo’s der Parteimeinungen zu werden. Nein, was wir Würdiges und Hohes über die Menschheit glauben, das ist noch immer nicht verschieden von jenem Begriffe der Humanität, welcher das Jdeal der klaren und hochherzigen Denkart des vorigen Jahrhunderts war. Menschen zu bilden, ist noch immer das Losungswort, nur daß die alte Zeit gestattete, sich menschlich zu bewähren im Frieden, die neue Zeit aber verlangt, den Menschen zu entfalten, selbst in dem Sturm unsrer, durch so mannigfache Umstände hervorgerufenen und in steter Nahrung erhaltenen Kämpfe. Möge es daher dem Misch- und Detailcharakter unsrer Zeit nicht unangemessen erscheinen, wenn ich mein Kapitel über die Erziehung statt mit Maximen, lieber mit Porträts beginne. Jch will aus meiner Bekanntschaft mehrere Jndividuen hervorgreifen, welche uns besser als Raisonnement die gegenwärtige Lage unsres Erziehungswesens werden vergegenwärtigen können. Jch beginne mit Master Schlehsack.

Schlehsack ist der Sohn eines Webers und lernte das Handwerk seines Vaters. Er selbst pflegte zwar zu sagen, er hätte es lernen müssen; allein sein Vater hatte ganz recht, wenn er sagte, er hätte auch etwas anderes kaum lernen können. Peter Schlehsacks Vater hielt es mit einer Methodistengemeinde. Er besuchte die Abendzirkel derselben und sang dabei einen sehr unreinen, aber doch in Gott freudigen Tenor. Peter Schlehsack, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0380" n="352"/>
müsse erzogen werden, um Sklaven der Begebenheiten, Zielpunkte der feindlichen Kugeln, blose Echo&#x2019;s der Parteimeinungen zu werden. Nein, was wir Würdiges und Hohes über die Menschheit glauben, das ist noch immer nicht verschieden von jenem Begriffe der Humanität, welcher das Jdeal der klaren und hochherzigen Denkart des vorigen Jahrhunderts war. <hi rendition="#g">Menschen</hi> zu bilden, ist noch immer das Losungswort, nur daß die alte Zeit gestattete, sich menschlich zu bewähren im <hi rendition="#g">Frieden</hi>, die neue Zeit aber verlangt, den Menschen zu entfalten, selbst in dem Sturm unsrer, durch so mannigfache Umstände hervorgerufenen und in steter Nahrung erhaltenen Kämpfe. Möge es daher dem Misch- und Detailcharakter unsrer Zeit nicht unangemessen erscheinen, wenn ich mein Kapitel über die Erziehung statt mit Maximen, lieber mit Porträts beginne. Jch will aus meiner Bekanntschaft mehrere Jndividuen hervorgreifen, welche uns besser als Raisonnement die gegenwärtige Lage unsres Erziehungswesens werden vergegenwärtigen können. Jch beginne mit Master Schlehsack.</p>
        <p>Schlehsack ist der Sohn eines Webers und lernte das Handwerk seines Vaters. Er selbst pflegte zwar zu sagen, er hätte es lernen müssen; allein sein Vater hatte ganz recht, wenn er sagte, er hätte auch etwas anderes kaum lernen können. Peter Schlehsacks Vater hielt es mit einer Methodistengemeinde. Er besuchte die Abendzirkel derselben und sang dabei einen sehr unreinen, aber doch in Gott freudigen Tenor. Peter Schlehsack, der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0380] müsse erzogen werden, um Sklaven der Begebenheiten, Zielpunkte der feindlichen Kugeln, blose Echo’s der Parteimeinungen zu werden. Nein, was wir Würdiges und Hohes über die Menschheit glauben, das ist noch immer nicht verschieden von jenem Begriffe der Humanität, welcher das Jdeal der klaren und hochherzigen Denkart des vorigen Jahrhunderts war. Menschen zu bilden, ist noch immer das Losungswort, nur daß die alte Zeit gestattete, sich menschlich zu bewähren im Frieden, die neue Zeit aber verlangt, den Menschen zu entfalten, selbst in dem Sturm unsrer, durch so mannigfache Umstände hervorgerufenen und in steter Nahrung erhaltenen Kämpfe. Möge es daher dem Misch- und Detailcharakter unsrer Zeit nicht unangemessen erscheinen, wenn ich mein Kapitel über die Erziehung statt mit Maximen, lieber mit Porträts beginne. Jch will aus meiner Bekanntschaft mehrere Jndividuen hervorgreifen, welche uns besser als Raisonnement die gegenwärtige Lage unsres Erziehungswesens werden vergegenwärtigen können. Jch beginne mit Master Schlehsack. Schlehsack ist der Sohn eines Webers und lernte das Handwerk seines Vaters. Er selbst pflegte zwar zu sagen, er hätte es lernen müssen; allein sein Vater hatte ganz recht, wenn er sagte, er hätte auch etwas anderes kaum lernen können. Peter Schlehsacks Vater hielt es mit einer Methodistengemeinde. Er besuchte die Abendzirkel derselben und sang dabei einen sehr unreinen, aber doch in Gott freudigen Tenor. Peter Schlehsack, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/380
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/380>, abgerufen am 22.11.2024.