Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.zu tödten und hinzugeben auf die glühende Hand des Molochs: Allgemeinheit. Wilson war in dem Alter, wo andre junge Leute schon einen scheuen Blick haben, ihre heimlichen kryptogamischen Gänge, wo man sie auf der Angst ertappen kann, daß ein gewisser Mangel an Zurückgezogenheit gegen das Kammermädchen ihrer Mutter Folgen haben könnte. Wilson war immer noch mit seinen Sternen beschäftigt, er lief mit Pope's Menschen hinaus in die schöne Natur, die bekanntlich erst da anfängt, wo man Londons Schornsteine nicht mehr rauchen sieht. Des Sonntags lief er den Strand der Themse entlang, Arm in Arm mit seinem Freunde, sie philosophirten, sie stritten sich, sie umarmten sich. Das war eine Begeisterung, stolzer noch als die, welcher sich unsre Söhne hingeben. Der Enthusiasmus des neunzehnten Jahrhunderts ist auf Jdeen gerichtet, welche die Leidenschaft erregen, das Blut in's Haupt treiben und ihre Wonne darin finden, Genossen, Anklang zu haben, Freunde, die eben so denken. Dann tritt man sich bei uns näher, drückt sich die Hand, blinkt mit den Augen und sagt mit erstickter Stimme: Die Zeit wird kommen! Der Enthusiasmus des achtzehnten Jahrhunderts aber war egoistischer und darum seliger. Er lag darin, die Welt zu vergessen und den Himmel offen zu sehen, Gott in sich zu fühlen oder bei mystischen Naturen sich in Gott. Die Freundschaften hatten einen wunderbaren Schmelz: sie waren melancholischer, nicht wie jetzt zu tödten und hinzugeben auf die glühende Hand des Molochs: Allgemeinheit. Wilson war in dem Alter, wo andre junge Leute schon einen scheuen Blick haben, ihre heimlichen kryptogamischen Gänge, wo man sie auf der Angst ertappen kann, daß ein gewisser Mangel an Zurückgezogenheit gegen das Kammermädchen ihrer Mutter Folgen haben könnte. Wilson war immer noch mit seinen Sternen beschäftigt, er lief mit Pope’s Menschen hinaus in die schöne Natur, die bekanntlich erst da anfängt, wo man Londons Schornsteine nicht mehr rauchen sieht. Des Sonntags lief er den Strand der Themse entlang, Arm in Arm mit seinem Freunde, sie philosophirten, sie stritten sich, sie umarmten sich. Das war eine Begeisterung, stolzer noch als die, welcher sich unsre Söhne hingeben. Der Enthusiasmus des neunzehnten Jahrhunderts ist auf Jdeen gerichtet, welche die Leidenschaft erregen, das Blut in’s Haupt treiben und ihre Wonne darin finden, Genossen, Anklang zu haben, Freunde, die eben so denken. Dann tritt man sich bei uns näher, drückt sich die Hand, blinkt mit den Augen und sagt mit erstickter Stimme: Die Zeit wird kommen! Der Enthusiasmus des achtzehnten Jahrhunderts aber war egoistischer und darum seliger. Er lag darin, die Welt zu vergessen und den Himmel offen zu sehen, Gott in sich zu fühlen oder bei mystischen Naturen sich in Gott. Die Freundschaften hatten einen wunderbaren Schmelz: sie waren melancholischer, nicht wie jetzt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0034" n="6"/> zu tödten und hinzugeben auf die glühende Hand des Molochs: Allgemeinheit. Wilson war in dem Alter, wo andre junge Leute schon einen scheuen Blick haben, ihre heimlichen kryptogamischen Gänge, wo man sie auf der Angst ertappen kann, daß ein gewisser Mangel an Zurückgezogenheit gegen das Kammermädchen ihrer Mutter Folgen haben könnte. Wilson war immer noch mit seinen Sternen beschäftigt, er lief mit Pope’s Menschen hinaus in die schöne Natur, die bekanntlich erst da anfängt, wo man Londons Schornsteine nicht mehr rauchen sieht. Des Sonntags lief er den Strand der Themse entlang, Arm in Arm mit seinem Freunde, sie philosophirten, sie stritten sich, sie umarmten sich. Das war eine Begeisterung, stolzer noch als die, welcher sich unsre Söhne hingeben.</p> <p>Der Enthusiasmus des neunzehnten Jahrhunderts ist auf Jdeen gerichtet, welche die Leidenschaft erregen, das Blut in’s Haupt treiben und ihre Wonne darin finden, Genossen, Anklang zu haben, Freunde, die eben so denken. Dann tritt man sich bei uns näher, drückt sich die Hand, blinkt mit den Augen und sagt mit erstickter Stimme: Die Zeit wird kommen! Der Enthusiasmus des achtzehnten Jahrhunderts aber war egoistischer und darum seliger. Er lag darin, die Welt zu vergessen und den Himmel offen zu sehen, Gott in sich zu fühlen oder bei mystischen Naturen sich in Gott. Die Freundschaften hatten einen wunderbaren Schmelz: sie waren melancholischer, nicht wie jetzt </p> </div> </body> </text> </TEI> [6/0034]
zu tödten und hinzugeben auf die glühende Hand des Molochs: Allgemeinheit. Wilson war in dem Alter, wo andre junge Leute schon einen scheuen Blick haben, ihre heimlichen kryptogamischen Gänge, wo man sie auf der Angst ertappen kann, daß ein gewisser Mangel an Zurückgezogenheit gegen das Kammermädchen ihrer Mutter Folgen haben könnte. Wilson war immer noch mit seinen Sternen beschäftigt, er lief mit Pope’s Menschen hinaus in die schöne Natur, die bekanntlich erst da anfängt, wo man Londons Schornsteine nicht mehr rauchen sieht. Des Sonntags lief er den Strand der Themse entlang, Arm in Arm mit seinem Freunde, sie philosophirten, sie stritten sich, sie umarmten sich. Das war eine Begeisterung, stolzer noch als die, welcher sich unsre Söhne hingeben.
Der Enthusiasmus des neunzehnten Jahrhunderts ist auf Jdeen gerichtet, welche die Leidenschaft erregen, das Blut in’s Haupt treiben und ihre Wonne darin finden, Genossen, Anklang zu haben, Freunde, die eben so denken. Dann tritt man sich bei uns näher, drückt sich die Hand, blinkt mit den Augen und sagt mit erstickter Stimme: Die Zeit wird kommen! Der Enthusiasmus des achtzehnten Jahrhunderts aber war egoistischer und darum seliger. Er lag darin, die Welt zu vergessen und den Himmel offen zu sehen, Gott in sich zu fühlen oder bei mystischen Naturen sich in Gott. Die Freundschaften hatten einen wunderbaren Schmelz: sie waren melancholischer, nicht wie jetzt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/34 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/34>, abgerufen am 27.07.2024. |