Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Beziehung auf den Staat. Selbst die Religion war ihnen eine politische Pflicht, so daß Sokrates, des Atheismus beschuldigt, auch für einen schlechten Bürger angesehen wurde.

Der Bürger unsrer Zeiten ist vielleicht eben so vom Staat in Anspruch genommen, wie der des Alterthums. Allein er kömmt dem Staat weit weniger entgegen, er fühlt sich weit weniger in seinem Zusammenhange. Er sucht dem Staate nicht selten zu entschlüpfen und hält ihn weit öfter für das Hinderniß seiner Freiheit, als für das natürliche Organ derselben. Jn Monarchien, welche nach unumschränkten Gesetzen regiert werden, ist der Horizont eines Bürgers kaum über die Lokalität, welche er bewohnt, ausgedehnt. Er ist Unterthan in Beziehung auf den Staat und Bürger in Beziehung auf die Gemeinde. Wenn in solchen Staaten ein dicker Viehmäster ausruft: Herr, ich bin Bürger! so soll das nur so viel heißen, als: Jch zahle meine Steuern, die Schlachtsteuer, die Tranksteuer, die Accise, das Patent, kurz, der Mann findet seinen Stolz darin, andern Leuten zu - gehorchen. Welcher absolute Staat auch so glücklich ist, eine etwas freiere Munizipalverfassung zu besitzen, der gibt mit dem Bürgerrechte, das man wohlverstanden nicht durch die Geburt, sondern nur durch ein Patent erhält, zugleich damit die Erlaubniß, für sich selbst zu sorgen, die Beleuchtung der Stadt aus eignem Beutel zu bezahlen, die schlechten Straßen pflastern zu lassen, auch wohl eine Kirche, wenn sie zu eng ist, auszubauen.

Beziehung auf den Staat. Selbst die Religion war ihnen eine politische Pflicht, so daß Sokrates, des Atheismus beschuldigt, auch für einen schlechten Bürger angesehen wurde.

Der Bürger unsrer Zeiten ist vielleicht eben so vom Staat in Anspruch genommen, wie der des Alterthums. Allein er kömmt dem Staat weit weniger entgegen, er fühlt sich weit weniger in seinem Zusammenhange. Er sucht dem Staate nicht selten zu entschlüpfen und hält ihn weit öfter für das Hinderniß seiner Freiheit, als für das natürliche Organ derselben. Jn Monarchien, welche nach unumschränkten Gesetzen regiert werden, ist der Horizont eines Bürgers kaum über die Lokalität, welche er bewohnt, ausgedehnt. Er ist Unterthan in Beziehung auf den Staat und Bürger in Beziehung auf die Gemeinde. Wenn in solchen Staaten ein dicker Viehmäster ausruft: Herr, ich bin Bürger! so soll das nur so viel heißen, als: Jch zahle meine Steuern, die Schlachtsteuer, die Tranksteuer, die Accise, das Patent, kurz, der Mann findet seinen Stolz darin, andern Leuten zu – gehorchen. Welcher absolute Staat auch so glücklich ist, eine etwas freiere Munizipalverfassung zu besitzen, der gibt mit dem Bürgerrechte, das man wohlverstanden nicht durch die Geburt, sondern nur durch ein Patent erhält, zugleich damit die Erlaubniß, für sich selbst zu sorgen, die Beleuchtung der Stadt aus eignem Beutel zu bezahlen, die schlechten Straßen pflastern zu lassen, auch wohl eine Kirche, wenn sie zu eng ist, auszubauen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0307" n="279"/>
Beziehung auf den Staat. Selbst die Religion war ihnen eine politische Pflicht, so daß Sokrates, des Atheismus beschuldigt, auch für einen schlechten Bürger angesehen wurde.</p>
        <p>Der Bürger unsrer Zeiten ist vielleicht eben so vom Staat in Anspruch genommen, wie der des Alterthums. Allein er kömmt dem Staat weit weniger entgegen, er fühlt sich weit weniger in seinem Zusammenhange. Er sucht dem Staate nicht selten zu entschlüpfen und hält ihn weit öfter für das Hinderniß seiner Freiheit, als für das natürliche Organ derselben. Jn Monarchien, welche nach unumschränkten Gesetzen regiert werden, ist der Horizont eines Bürgers kaum über die Lokalität, welche er bewohnt, ausgedehnt. Er ist Unterthan in Beziehung auf den Staat und Bürger in Beziehung auf die Gemeinde. Wenn in solchen Staaten ein dicker Viehmäster ausruft: Herr, ich bin Bürger! so soll das nur so viel heißen, als: Jch zahle meine Steuern, die Schlachtsteuer, die Tranksteuer, die Accise, das Patent, kurz, der Mann findet seinen Stolz darin, andern Leuten zu &#x2013; gehorchen. Welcher absolute Staat auch so glücklich ist, eine etwas freiere Munizipalverfassung zu besitzen, der gibt mit dem Bürgerrechte, das man wohlverstanden nicht durch die Geburt, sondern nur durch ein Patent erhält, zugleich damit die Erlaubniß, für sich selbst zu sorgen, die Beleuchtung der Stadt aus eignem Beutel zu bezahlen, die schlechten Straßen pflastern zu lassen, auch wohl eine Kirche, wenn sie zu eng ist, auszubauen.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0307] Beziehung auf den Staat. Selbst die Religion war ihnen eine politische Pflicht, so daß Sokrates, des Atheismus beschuldigt, auch für einen schlechten Bürger angesehen wurde. Der Bürger unsrer Zeiten ist vielleicht eben so vom Staat in Anspruch genommen, wie der des Alterthums. Allein er kömmt dem Staat weit weniger entgegen, er fühlt sich weit weniger in seinem Zusammenhange. Er sucht dem Staate nicht selten zu entschlüpfen und hält ihn weit öfter für das Hinderniß seiner Freiheit, als für das natürliche Organ derselben. Jn Monarchien, welche nach unumschränkten Gesetzen regiert werden, ist der Horizont eines Bürgers kaum über die Lokalität, welche er bewohnt, ausgedehnt. Er ist Unterthan in Beziehung auf den Staat und Bürger in Beziehung auf die Gemeinde. Wenn in solchen Staaten ein dicker Viehmäster ausruft: Herr, ich bin Bürger! so soll das nur so viel heißen, als: Jch zahle meine Steuern, die Schlachtsteuer, die Tranksteuer, die Accise, das Patent, kurz, der Mann findet seinen Stolz darin, andern Leuten zu – gehorchen. Welcher absolute Staat auch so glücklich ist, eine etwas freiere Munizipalverfassung zu besitzen, der gibt mit dem Bürgerrechte, das man wohlverstanden nicht durch die Geburt, sondern nur durch ein Patent erhält, zugleich damit die Erlaubniß, für sich selbst zu sorgen, die Beleuchtung der Stadt aus eignem Beutel zu bezahlen, die schlechten Straßen pflastern zu lassen, auch wohl eine Kirche, wenn sie zu eng ist, auszubauen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/307
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/307>, abgerufen am 24.11.2024.