Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.gegen den St. Simonismus, gesteh' ich, lassen mich kalt, weil sie immer darauf hinaus kommen, die Gelehrten würden nicht mehr geachtet werden, und weil es doch nur die Gelehrten selbst sind, welche diese egoistischen Besorgnisse aussprechen. Allein nicht nur ist im St. Simonismus hinlänglich für die Jdentifizirung der Wissenschaft mit den Gelehrten, der Humanität mit den Künstlern, der Religion mit den Priestern gesorgt; sondern es frägt sich noch, ob man z. B. die Poesie der Geschichte nicht zu theuer erkauft, wenn man darum der physischen Existenz der Menschheit nicht aufhilft, weil man freilich für das Auge weit angenehmere bunte Abwechslungen hat, wo der Stärkere mit dem Schwächeren im Kriege liegt, und Recht und Unrecht große heroische Schauspiele unter einander aufführen! Würde uns der St. Simonistische Staat so fein individualisirte und originelle Charaktere bringen, wie Chatham war, wie Fox, wie Canning? Vielleicht nicht; aber wenn man nun das Wohl von tausend Michel Meerrettigen dadurch erkaufen könnte, daß man sagen muß: Fox hat nie gelebt!? Was würden Sie vorziehen: d'Jsraeli, Chelmar, Chateaubriand, Lamartine, Tiek? Würden Sie nicht alle menschlich genug empfinden, zu sagen: Besser, es war nie ein Shakespeare da, als daß seinetwegen die Harmonie der behaglichen Existenz in der Welt gehindert wäre, besser, wir alle sind unbekannt und müssen hinterm Pfluge gehen, als daß unsertwegen gegen den St. Simonismus, gesteh’ ich, lassen mich kalt, weil sie immer darauf hinaus kommen, die Gelehrten würden nicht mehr geachtet werden, und weil es doch nur die Gelehrten selbst sind, welche diese egoistischen Besorgnisse aussprechen. Allein nicht nur ist im St. Simonismus hinlänglich für die Jdentifizirung der Wissenschaft mit den Gelehrten, der Humanität mit den Künstlern, der Religion mit den Priestern gesorgt; sondern es frägt sich noch, ob man z. B. die Poesie der Geschichte nicht zu theuer erkauft, wenn man darum der physischen Existenz der Menschheit nicht aufhilft, weil man freilich für das Auge weit angenehmere bunte Abwechslungen hat, wo der Stärkere mit dem Schwächeren im Kriege liegt, und Recht und Unrecht große heroische Schauspiele unter einander aufführen! Würde uns der St. Simonistische Staat so fein individualisirte und originelle Charaktere bringen, wie Chatham war, wie Fox, wie Canning? Vielleicht nicht; aber wenn man nun das Wohl von tausend Michel Meerrettigen dadurch erkaufen könnte, daß man sagen muß: Fox hat nie gelebt!? Was würden Sie vorziehen: d’Jsraeli, Chelmar, Chateaubriand, Lamartine, Tiek? Würden Sie nicht alle menschlich genug empfinden, zu sagen: Besser, es war nie ein Shakespeare da, als daß seinetwegen die Harmonie der behaglichen Existenz in der Welt gehindert wäre, besser, wir alle sind unbekannt und müssen hinterm Pfluge gehen, als daß unsertwegen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0250" n="222"/> gegen den St. Simonismus, gesteh’ ich, lassen mich kalt, weil sie immer darauf hinaus kommen, die Gelehrten würden nicht mehr geachtet werden, und weil es doch nur die Gelehrten selbst sind, welche diese egoistischen Besorgnisse aussprechen. Allein nicht nur ist im St. Simonismus hinlänglich für die Jdentifizirung der Wissenschaft mit den Gelehrten, der Humanität mit den Künstlern, der Religion mit den Priestern gesorgt; sondern es frägt sich noch, ob man z. B. die Poesie der Geschichte nicht zu theuer erkauft, wenn man darum der physischen Existenz der Menschheit nicht aufhilft, weil man freilich für das Auge weit angenehmere bunte Abwechslungen hat, wo der Stärkere mit dem Schwächeren im Kriege liegt, und Recht und Unrecht große heroische Schauspiele unter einander aufführen! Würde uns der St. Simonistische Staat so fein individualisirte und originelle Charaktere bringen, wie Chatham war, wie Fox, wie Canning? Vielleicht nicht; aber wenn man nun das Wohl von tausend Michel Meerrettigen dadurch erkaufen könnte, daß man sagen muß: Fox hat nie gelebt!? Was würden Sie vorziehen: d’Jsraeli, Chelmar, <hi rendition="#aq">Chateaubriand, Lamartine</hi>, Tiek? Würden Sie nicht alle menschlich genug empfinden, zu sagen: Besser, es war nie ein Shakespeare da, als daß seinetwegen die Harmonie der behaglichen Existenz in der Welt gehindert wäre, besser, wir alle sind unbekannt und müssen hinterm Pfluge gehen, als daß unsertwegen </p> </div> </body> </text> </TEI> [222/0250]
gegen den St. Simonismus, gesteh’ ich, lassen mich kalt, weil sie immer darauf hinaus kommen, die Gelehrten würden nicht mehr geachtet werden, und weil es doch nur die Gelehrten selbst sind, welche diese egoistischen Besorgnisse aussprechen. Allein nicht nur ist im St. Simonismus hinlänglich für die Jdentifizirung der Wissenschaft mit den Gelehrten, der Humanität mit den Künstlern, der Religion mit den Priestern gesorgt; sondern es frägt sich noch, ob man z. B. die Poesie der Geschichte nicht zu theuer erkauft, wenn man darum der physischen Existenz der Menschheit nicht aufhilft, weil man freilich für das Auge weit angenehmere bunte Abwechslungen hat, wo der Stärkere mit dem Schwächeren im Kriege liegt, und Recht und Unrecht große heroische Schauspiele unter einander aufführen! Würde uns der St. Simonistische Staat so fein individualisirte und originelle Charaktere bringen, wie Chatham war, wie Fox, wie Canning? Vielleicht nicht; aber wenn man nun das Wohl von tausend Michel Meerrettigen dadurch erkaufen könnte, daß man sagen muß: Fox hat nie gelebt!? Was würden Sie vorziehen: d’Jsraeli, Chelmar, Chateaubriand, Lamartine, Tiek? Würden Sie nicht alle menschlich genug empfinden, zu sagen: Besser, es war nie ein Shakespeare da, als daß seinetwegen die Harmonie der behaglichen Existenz in der Welt gehindert wäre, besser, wir alle sind unbekannt und müssen hinterm Pfluge gehen, als daß unsertwegen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/250 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/250>, abgerufen am 28.07.2024. |