Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.noch nicht einmal so viel, als wenn auch das Herz erstickt wird. Man beruhigt sich zwar damit, daß man sagt: die Moral wird nicht zurück, sondern nur bei Seite gesetzt; man wolle sie nicht leugnen, sondern nur einstweilen auf sich beruhen lassen. Allein es gibt keine Tugend, wo es keine Uebung derselben gibt. Die Jdeen, welche auf sich beruhen, sind todt. Sie bedürfen, um zu leben, gleichviel des Fürs oder Widers, der Vertheidigung oder des Angriffs; wenn sie nur in Bewegung sind, wenn sie nur anregen und angeregt werden. Das Salz kann auch dumm werden, sagte der große Begründer einer idealischen Weltordnung. Aber auch all unser Wissen, unser Glauben, unser Gott, unsre Freiheit, unsre Unsterblichkeit: dieß Alles kann dumm werden, wenn man es außerhalb der Discussion setzt. Spinneweben werden sich darüber ziehen. Schimmel und Fäulniß werden die Zinsen eines Kapitals seyn, das man nicht an irgend einen soliden Platz, an das Herz und Gemüth wenigstens, wenn man nicht an die Spekulation mehr will, anlegt. Wenn mir durch eine Erfahrung dieß Phänomen recht klar gemacht wird, so ist es das Bild einer jüdischen Familie, die berühmt genug in der Handelswelt ist, als daß ich nicht gestehen sollte, sie mehr als oberflächlich zu kennen. Hier wird ein scharfer Beobachter leicht drei Abstufungen der Bildung wahrnehmen können, drei Abstufungen, die zu gleicher Zeit die verschiedenen Phasen unsrer Zeit veranschaulichen. Jm Hintergrunde steht ein alter noch nicht einmal so viel, als wenn auch das Herz erstickt wird. Man beruhigt sich zwar damit, daß man sagt: die Moral wird nicht zurück, sondern nur bei Seite gesetzt; man wolle sie nicht leugnen, sondern nur einstweilen auf sich beruhen lassen. Allein es gibt keine Tugend, wo es keine Uebung derselben gibt. Die Jdeen, welche auf sich beruhen, sind todt. Sie bedürfen, um zu leben, gleichviel des Fürs oder Widers, der Vertheidigung oder des Angriffs; wenn sie nur in Bewegung sind, wenn sie nur anregen und angeregt werden. Das Salz kann auch dumm werden, sagte der große Begründer einer idealischen Weltordnung. Aber auch all unser Wissen, unser Glauben, unser Gott, unsre Freiheit, unsre Unsterblichkeit: dieß Alles kann dumm werden, wenn man es außerhalb der Discussion setzt. Spinneweben werden sich darüber ziehen. Schimmel und Fäulniß werden die Zinsen eines Kapitals seyn, das man nicht an irgend einen soliden Platz, an das Herz und Gemüth wenigstens, wenn man nicht an die Spekulation mehr will, anlegt. Wenn mir durch eine Erfahrung dieß Phänomen recht klar gemacht wird, so ist es das Bild einer jüdischen Familie, die berühmt genug in der Handelswelt ist, als daß ich nicht gestehen sollte, sie mehr als oberflächlich zu kennen. Hier wird ein scharfer Beobachter leicht drei Abstufungen der Bildung wahrnehmen können, drei Abstufungen, die zu gleicher Zeit die verschiedenen Phasen unsrer Zeit veranschaulichen. Jm Hintergrunde steht ein alter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0133" n="105"/> noch nicht einmal so viel, als wenn auch das Herz erstickt wird. Man beruhigt sich zwar damit, daß man sagt: die Moral wird nicht zurück, sondern nur bei Seite gesetzt; man wolle sie nicht leugnen, sondern nur einstweilen auf sich beruhen lassen. Allein es gibt keine Tugend, wo es keine Uebung derselben gibt. Die Jdeen, welche auf sich beruhen, sind todt. Sie bedürfen, um zu leben, gleichviel des Fürs oder Widers, der Vertheidigung oder des Angriffs; wenn sie nur in Bewegung sind, wenn sie nur anregen und angeregt werden. Das Salz kann auch dumm werden, sagte der große Begründer einer idealischen Weltordnung. Aber auch all unser Wissen, unser Glauben, unser Gott, unsre Freiheit, unsre Unsterblichkeit: dieß Alles kann dumm werden, wenn man es außerhalb der Discussion setzt. Spinneweben werden sich darüber ziehen. Schimmel und Fäulniß werden die Zinsen eines Kapitals seyn, das man nicht an irgend einen soliden Platz, an das Herz und Gemüth wenigstens, wenn man nicht an die Spekulation mehr will, anlegt.</p> <p>Wenn mir durch eine Erfahrung dieß Phänomen recht klar gemacht wird, so ist es das Bild einer jüdischen Familie, die berühmt genug in der Handelswelt ist, als daß ich nicht gestehen sollte, sie mehr als oberflächlich zu kennen. Hier wird ein scharfer Beobachter leicht drei Abstufungen der Bildung wahrnehmen können, drei Abstufungen, die zu gleicher Zeit die verschiedenen Phasen unsrer Zeit veranschaulichen. Jm Hintergrunde steht ein alter </p> </div> </body> </text> </TEI> [105/0133]
noch nicht einmal so viel, als wenn auch das Herz erstickt wird. Man beruhigt sich zwar damit, daß man sagt: die Moral wird nicht zurück, sondern nur bei Seite gesetzt; man wolle sie nicht leugnen, sondern nur einstweilen auf sich beruhen lassen. Allein es gibt keine Tugend, wo es keine Uebung derselben gibt. Die Jdeen, welche auf sich beruhen, sind todt. Sie bedürfen, um zu leben, gleichviel des Fürs oder Widers, der Vertheidigung oder des Angriffs; wenn sie nur in Bewegung sind, wenn sie nur anregen und angeregt werden. Das Salz kann auch dumm werden, sagte der große Begründer einer idealischen Weltordnung. Aber auch all unser Wissen, unser Glauben, unser Gott, unsre Freiheit, unsre Unsterblichkeit: dieß Alles kann dumm werden, wenn man es außerhalb der Discussion setzt. Spinneweben werden sich darüber ziehen. Schimmel und Fäulniß werden die Zinsen eines Kapitals seyn, das man nicht an irgend einen soliden Platz, an das Herz und Gemüth wenigstens, wenn man nicht an die Spekulation mehr will, anlegt.
Wenn mir durch eine Erfahrung dieß Phänomen recht klar gemacht wird, so ist es das Bild einer jüdischen Familie, die berühmt genug in der Handelswelt ist, als daß ich nicht gestehen sollte, sie mehr als oberflächlich zu kennen. Hier wird ein scharfer Beobachter leicht drei Abstufungen der Bildung wahrnehmen können, drei Abstufungen, die zu gleicher Zeit die verschiedenen Phasen unsrer Zeit veranschaulichen. Jm Hintergrunde steht ein alter
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/133>, abgerufen am 28.07.2024. |