Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Sie war eben so sehr eine Zeit der Gährung, wie der Stagnation. Sie war ein Uebergang und drückt doch etwas völlig Abgeschlossenes aus. Diese fünfzehn Jahre sind der Sauerteig unsres Jahrhunderts gewesen. Sie enthielten Alles, was die Zukunft heben und hebeln wird, wenn auch unklar und gegensätzlich. Sie bilden ein wirres Chaos von Licht und Finsterniß, von Freiheit und Gewaltthätigkeit, von Ohnmacht und Kraft. Da sie aber Alles enthielten, so enthielten sie Nichts und sanken machtlos in sich selbst zusammen. Eine europäische Geschichte der Restauration würde eine eben so unerquickliche, wie lehrreiche Aufgabe seyn. Ein Franzose kann, ein Deutscher darf sie noch nicht schreiben, und vom Engländer fürcht' ich, daß er weder alle Materialien besitzt, noch die ganze Tiefe des Gegenstandes zu erschöpfen weiß. Ein Begriff, mit welchem man heute nicht mehr alle Beziehungen des öffentlichen Freimuthes erschöpfen würde, der aber der zweite Faktor und der gefürchtete Feind der Restaurationsperiode war, ist der Liberalismus. Unter Liberalismus verstand man mehr als Freisinnigkeit und weniger als Neuerungstrieb. Der Liberalismus war auf Grundsätze gebaut und konnte einer Religion gleich geachtet werden. Er enthielt eine Menge Anknüpfungspunkte an die Herrschaft der Fürsten, ob er dieselbe gleich, wie sie war, verwarf. Der Liberalismus nahm Vernunft an und ließ mit sich unterhandeln. Allmählich aber verlor er seine politische Farbe; da er zu Sie war eben so sehr eine Zeit der Gährung, wie der Stagnation. Sie war ein Uebergang und drückt doch etwas völlig Abgeschlossenes aus. Diese fünfzehn Jahre sind der Sauerteig unsres Jahrhunderts gewesen. Sie enthielten Alles, was die Zukunft heben und hebeln wird, wenn auch unklar und gegensätzlich. Sie bilden ein wirres Chaos von Licht und Finsterniß, von Freiheit und Gewaltthätigkeit, von Ohnmacht und Kraft. Da sie aber Alles enthielten, so enthielten sie Nichts und sanken machtlos in sich selbst zusammen. Eine europäische Geschichte der Restauration würde eine eben so unerquickliche, wie lehrreiche Aufgabe seyn. Ein Franzose kann, ein Deutscher darf sie noch nicht schreiben, und vom Engländer fürcht’ ich, daß er weder alle Materialien besitzt, noch die ganze Tiefe des Gegenstandes zu erschöpfen weiß. Ein Begriff, mit welchem man heute nicht mehr alle Beziehungen des öffentlichen Freimuthes erschöpfen würde, der aber der zweite Faktor und der gefürchtete Feind der Restaurationsperiode war, ist der Liberalismus. Unter Liberalismus verstand man mehr als Freisinnigkeit und weniger als Neuerungstrieb. Der Liberalismus war auf Grundsätze gebaut und konnte einer Religion gleich geachtet werden. Er enthielt eine Menge Anknüpfungspunkte an die Herrschaft der Fürsten, ob er dieselbe gleich, wie sie war, verwarf. Der Liberalismus nahm Vernunft an und ließ mit sich unterhandeln. Allmählich aber verlor er seine politische Farbe; da er zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0118" n="90"/> Sie war eben so sehr eine Zeit der Gährung, wie der Stagnation. Sie war ein Uebergang und drückt doch etwas völlig Abgeschlossenes aus. Diese fünfzehn Jahre sind der Sauerteig unsres Jahrhunderts gewesen. Sie enthielten Alles, was die Zukunft heben und hebeln wird, wenn auch unklar und gegensätzlich. Sie bilden ein wirres Chaos von Licht und Finsterniß, von Freiheit und Gewaltthätigkeit, von Ohnmacht und Kraft. Da sie aber Alles enthielten, so enthielten sie Nichts und sanken machtlos in sich selbst zusammen. Eine europäische Geschichte der Restauration würde eine eben so unerquickliche, wie lehrreiche Aufgabe seyn. Ein Franzose kann, ein Deutscher darf sie noch nicht schreiben, und vom Engländer fürcht’ ich, daß er weder alle Materialien besitzt, noch die ganze Tiefe des Gegenstandes zu erschöpfen weiß.</p> <p>Ein Begriff, mit welchem man heute nicht mehr alle Beziehungen des öffentlichen Freimuthes erschöpfen würde, der aber der zweite Faktor und der gefürchtete Feind der Restaurationsperiode war, ist der Liberalismus. Unter Liberalismus verstand man mehr als Freisinnigkeit und weniger als Neuerungstrieb. Der Liberalismus war auf Grundsätze gebaut und konnte einer Religion gleich geachtet werden. Er enthielt eine Menge Anknüpfungspunkte an die Herrschaft der Fürsten, ob er dieselbe gleich, wie sie war, verwarf. Der Liberalismus nahm Vernunft an und ließ mit sich unterhandeln. Allmählich aber verlor er seine politische Farbe; da er zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [90/0118]
Sie war eben so sehr eine Zeit der Gährung, wie der Stagnation. Sie war ein Uebergang und drückt doch etwas völlig Abgeschlossenes aus. Diese fünfzehn Jahre sind der Sauerteig unsres Jahrhunderts gewesen. Sie enthielten Alles, was die Zukunft heben und hebeln wird, wenn auch unklar und gegensätzlich. Sie bilden ein wirres Chaos von Licht und Finsterniß, von Freiheit und Gewaltthätigkeit, von Ohnmacht und Kraft. Da sie aber Alles enthielten, so enthielten sie Nichts und sanken machtlos in sich selbst zusammen. Eine europäische Geschichte der Restauration würde eine eben so unerquickliche, wie lehrreiche Aufgabe seyn. Ein Franzose kann, ein Deutscher darf sie noch nicht schreiben, und vom Engländer fürcht’ ich, daß er weder alle Materialien besitzt, noch die ganze Tiefe des Gegenstandes zu erschöpfen weiß.
Ein Begriff, mit welchem man heute nicht mehr alle Beziehungen des öffentlichen Freimuthes erschöpfen würde, der aber der zweite Faktor und der gefürchtete Feind der Restaurationsperiode war, ist der Liberalismus. Unter Liberalismus verstand man mehr als Freisinnigkeit und weniger als Neuerungstrieb. Der Liberalismus war auf Grundsätze gebaut und konnte einer Religion gleich geachtet werden. Er enthielt eine Menge Anknüpfungspunkte an die Herrschaft der Fürsten, ob er dieselbe gleich, wie sie war, verwarf. Der Liberalismus nahm Vernunft an und ließ mit sich unterhandeln. Allmählich aber verlor er seine politische Farbe; da er zu
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/118>, abgerufen am 16.02.2025. |