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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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geführt werden. Was aber Alle wollen, macht sich von selbst. Jch sehe voraus, daß diese Sublimation unserer künstlichen Bildung nicht so fortsteigen darf. Dieser Wettlauf des Geistes, den alle Nationen gegen einander anstellen, kann nur damit enden, daß sie den Athem verlieren und es wohl fühlen, daß sie für den Körper auch etwas thun müssen: nämlich für den Körper, welcher gleich ist dem Leben, der Allgemeinheit, der Nationalität, oder wie man es nennen mag. Mit dem Dualismus, der die Bildung des neunzehnten Jahrhunderts ist, werden wir gerade so weit kommen, daß wir ihn endlich einsehen und nicht mehr ertragen werden. Wir werden entweder das Leben nach unserer Bildung modeln oder die Bildung nach unserm Leben. Wir werden entweder unsere Anstandsmeinungen, Sitten und gesetzlichen Gewohnheiten gerade so einrichten, daß sie die bloße Praxis unserer theoretischen Bildung sind, oder wir werden unsere theoretische Bildung trennen müssen in Laien- und in Tempelweisheit, in Weisheit für Einige und in Volksweisheit; und dasjenige, was dann zunächst geschehen müßte, wäre eine ganz neue Begründung des ersten Unterrichtes der Jugend, des Unterrichtes in den Wissenschaften, in der Moral und der dann sehr zu verallgemeinernden positiven Religion. Vielleicht ist diese Alternative nur ein verschiedener Ausdruck für eine und dieselbe Sache. Weiter zu schwärmen, verbietet vielleicht die Besonnenheit.

Jch kehre auf unser Jahrhundert zurück. Dort liegt

geführt werden. Was aber Alle wollen, macht sich von selbst. Jch sehe voraus, daß diese Sublimation unserer künstlichen Bildung nicht so fortsteigen darf. Dieser Wettlauf des Geistes, den alle Nationen gegen einander anstellen, kann nur damit enden, daß sie den Athem verlieren und es wohl fühlen, daß sie für den Körper auch etwas thun müssen: nämlich für den Körper, welcher gleich ist dem Leben, der Allgemeinheit, der Nationalität, oder wie man es nennen mag. Mit dem Dualismus, der die Bildung des neunzehnten Jahrhunderts ist, werden wir gerade so weit kommen, daß wir ihn endlich einsehen und nicht mehr ertragen werden. Wir werden entweder das Leben nach unserer Bildung modeln oder die Bildung nach unserm Leben. Wir werden entweder unsere Anstandsmeinungen, Sitten und gesetzlichen Gewohnheiten gerade so einrichten, daß sie die bloße Praxis unserer theoretischen Bildung sind, oder wir werden unsere theoretische Bildung trennen müssen in Laien- und in Tempelweisheit, in Weisheit für Einige und in Volksweisheit; und dasjenige, was dann zunächst geschehen müßte, wäre eine ganz neue Begründung des ersten Unterrichtes der Jugend, des Unterrichtes in den Wissenschaften, in der Moral und der dann sehr zu verallgemeinernden positiven Religion. Vielleicht ist diese Alternative nur ein verschiedener Ausdruck für eine und dieselbe Sache. Weiter zu schwärmen, verbietet vielleicht die Besonnenheit.

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[73/0101] geführt werden. Was aber Alle wollen, macht sich von selbst. Jch sehe voraus, daß diese Sublimation unserer künstlichen Bildung nicht so fortsteigen darf. Dieser Wettlauf des Geistes, den alle Nationen gegen einander anstellen, kann nur damit enden, daß sie den Athem verlieren und es wohl fühlen, daß sie für den Körper auch etwas thun müssen: nämlich für den Körper, welcher gleich ist dem Leben, der Allgemeinheit, der Nationalität, oder wie man es nennen mag. Mit dem Dualismus, der die Bildung des neunzehnten Jahrhunderts ist, werden wir gerade so weit kommen, daß wir ihn endlich einsehen und nicht mehr ertragen werden. Wir werden entweder das Leben nach unserer Bildung modeln oder die Bildung nach unserm Leben. Wir werden entweder unsere Anstandsmeinungen, Sitten und gesetzlichen Gewohnheiten gerade so einrichten, daß sie die bloße Praxis unserer theoretischen Bildung sind, oder wir werden unsere theoretische Bildung trennen müssen in Laien- und in Tempelweisheit, in Weisheit für Einige und in Volksweisheit; und dasjenige, was dann zunächst geschehen müßte, wäre eine ganz neue Begründung des ersten Unterrichtes der Jugend, des Unterrichtes in den Wissenschaften, in der Moral und der dann sehr zu verallgemeinernden positiven Religion. Vielleicht ist diese Alternative nur ein verschiedener Ausdruck für eine und dieselbe Sache. Weiter zu schwärmen, verbietet vielleicht die Besonnenheit. Jch kehre auf unser Jahrhundert zurück. Dort liegt

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/101>, abgerufen am 21.11.2024.