Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

fürchtete sie, etwas zu verstimmen, und blieb
unwillkürlich in einer Weite stehen, daß ihr
von dem Gesprochenen nichts entgieng und sie
dabei doch ungesehen blieb. Sie fühlte das
Mißliche dieser Situation in einem Augenblicke
nicht, wo alle ihre Seelenfäden Gespinnste zu
schießen begannen, in die sie sich immer tiefer
verstrickte, wo es einer Untersuchung über die
Religion galt.

"Hätt' ich einen größeren Wirkungskreis,"
sagte Waldemar, "vielleicht gelänge es mir
dann, den Unmuth meiner Seele zu zerstreuen,
wie auch jene Berge, auf welchen viel Wald¬
leben herrscht, Tannen rauschen und die Natur
in einer steten Bewegung ist, die Nebel sich
leichter zerstreuen. Ich bin ein kahler Hügel,
jedem Windzuge offen, und von jeder Wolke
gleich bis tief unter die Augen bedeckt. Nach
ideellen Schutzwehren such' ich eben so verge¬
bens. Die Politik ist nur im Stande, meine

fürchtete ſie, etwas zu verſtimmen, und blieb
unwillkürlich in einer Weite ſtehen, daß ihr
von dem Geſprochenen nichts entgieng und ſie
dabei doch ungeſehen blieb. Sie fühlte das
Mißliche dieſer Situation in einem Augenblicke
nicht, wo alle ihre Seelenfäden Geſpinnſte zu
ſchießen begannen, in die ſie ſich immer tiefer
verſtrickte, wo es einer Unterſuchung über die
Religion galt.

„Hätt' ich einen größeren Wirkungskreis,“
ſagte Waldemar, „vielleicht gelänge es mir
dann, den Unmuth meiner Seele zu zerſtreuen,
wie auch jene Berge, auf welchen viel Wald¬
leben herrſcht, Tannen rauſchen und die Natur
in einer ſteten Bewegung iſt, die Nebel ſich
leichter zerſtreuen. Ich bin ein kahler Hügel,
jedem Windzuge offen, und von jeder Wolke
gleich bis tief unter die Augen bedeckt. Nach
ideellen Schutzwehren ſuch' ich eben ſo verge¬
bens. Die Politik iſt nur im Stande, meine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0091" n="82"/>
fürchtete &#x017F;ie, etwas zu ver&#x017F;timmen, und blieb<lb/>
unwillkürlich in einer Weite &#x017F;tehen, daß ihr<lb/>
von dem Ge&#x017F;prochenen nichts entgieng und &#x017F;ie<lb/>
dabei doch unge&#x017F;ehen blieb. Sie fühlte das<lb/>
Mißliche die&#x017F;er Situation in einem Augenblicke<lb/>
nicht, wo alle ihre Seelenfäden Ge&#x017F;pinn&#x017F;te zu<lb/>
&#x017F;chießen begannen, in die &#x017F;ie &#x017F;ich immer tiefer<lb/>
ver&#x017F;trickte, wo es einer Unter&#x017F;uchung über die<lb/>
Religion galt.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Hätt' ich einen größeren Wirkungskreis,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte Waldemar, &#x201E;vielleicht gelänge es mir<lb/>
dann, den Unmuth meiner Seele zu zer&#x017F;treuen,<lb/>
wie auch jene Berge, auf welchen viel Wald¬<lb/>
leben herr&#x017F;cht, Tannen rau&#x017F;chen und die Natur<lb/>
in einer &#x017F;teten Bewegung i&#x017F;t, die Nebel &#x017F;ich<lb/>
leichter zer&#x017F;treuen. Ich bin ein kahler Hügel,<lb/>
jedem Windzuge offen, und von jeder Wolke<lb/>
gleich bis tief unter die Augen bedeckt. Nach<lb/>
ideellen Schutzwehren &#x017F;uch' ich eben &#x017F;o verge¬<lb/>
bens. Die Politik i&#x017F;t nur im Stande, meine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0091] fürchtete ſie, etwas zu verſtimmen, und blieb unwillkürlich in einer Weite ſtehen, daß ihr von dem Geſprochenen nichts entgieng und ſie dabei doch ungeſehen blieb. Sie fühlte das Mißliche dieſer Situation in einem Augenblicke nicht, wo alle ihre Seelenfäden Geſpinnſte zu ſchießen begannen, in die ſie ſich immer tiefer verſtrickte, wo es einer Unterſuchung über die Religion galt. „Hätt' ich einen größeren Wirkungskreis,“ ſagte Waldemar, „vielleicht gelänge es mir dann, den Unmuth meiner Seele zu zerſtreuen, wie auch jene Berge, auf welchen viel Wald¬ leben herrſcht, Tannen rauſchen und die Natur in einer ſteten Bewegung iſt, die Nebel ſich leichter zerſtreuen. Ich bin ein kahler Hügel, jedem Windzuge offen, und von jeder Wolke gleich bis tief unter die Augen bedeckt. Nach ideellen Schutzwehren ſuch' ich eben ſo verge¬ bens. Die Politik iſt nur im Stande, meine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/91
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/91>, abgerufen am 24.11.2024.