Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein Christenthum erfinden, das sich gründete
auf falscher Exegese, schlechten kritischen Hülfs¬
mitteln, auf Interpolationen und frommen Be¬
trügereien, auf einer ungestörten und sorglosen
Verbindung des alten und neuen Testamentes,
endlich aber auf jener heillosen Verwechselung
zwischen dem Kanon. als einer Richtschnur des
Christenthums, statt daß der Kanon, wie wir
zeigten, nur erste Erscheinung, die ganz prekäre
und subjectiv überall beanstandete Erscheinung
des Christenthums war. Der Protestantismus
bekam seine symbolischen Bücher, welche die Leh¬
rer beschwören mußten, seine Katechismen, den
großen und den kleinen, nach welchen die Un¬
mündigen an einen Glauben geschmiedet wur¬
den, dem sie schon als Säuglinge durch die
Taufe willenlos sich hingeben mußten. Was
muß ich glauben? Ich muß glauben, daß Gott,
die Welt erschaffen hat -- als wenn ein Gott,
der sich in so endlichen Werken, wie die Erde

Ein Chriſtenthum erfinden, das ſich gründete
auf falſcher Exegeſe, ſchlechten kritiſchen Hülfs¬
mitteln, auf Interpolationen und frommen Be¬
trügereien, auf einer ungeſtörten und ſorgloſen
Verbindung des alten und neuen Teſtamentes,
endlich aber auf jener heilloſen Verwechſelung
zwiſchen dem Kanon. als einer Richtſchnur des
Chriſtenthums, ſtatt daß der Kanon, wie wir
zeigten, nur erſte Erſcheinung, die ganz prekäre
und ſubjectiv überall beanſtandete Erſcheinung
des Chriſtenthums war. Der Proteſtantismus
bekam ſeine ſymboliſchen Bücher, welche die Leh¬
rer beſchwören mußten, ſeine Katechismen, den
großen und den kleinen, nach welchen die Un¬
mündigen an einen Glauben geſchmiedet wur¬
den, dem ſie ſchon als Säuglinge durch die
Taufe willenlos ſich hingeben mußten. Was
muß ich glauben? Ich muß glauben, daß Gott,
die Welt erſchaffen hat — als wenn ein Gott,
der ſich in ſo endlichen Werken, wie die Erde

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0296" n="289[287]"/>
Ein Chri&#x017F;tenthum erfinden, das &#x017F;ich gründete<lb/>
auf fal&#x017F;cher Exege&#x017F;e, &#x017F;chlechten kriti&#x017F;chen Hülfs¬<lb/>
mitteln, auf Interpolationen und frommen Be¬<lb/>
trügereien, auf einer unge&#x017F;törten und &#x017F;orglo&#x017F;en<lb/>
Verbindung des alten und neuen Te&#x017F;tamentes,<lb/>
endlich aber auf jener heillo&#x017F;en Verwech&#x017F;elung<lb/>
zwi&#x017F;chen dem Kanon. als einer Richt&#x017F;chnur des<lb/>
Chri&#x017F;tenthums, &#x017F;tatt daß der Kanon, wie wir<lb/>
zeigten, nur er&#x017F;te Er&#x017F;cheinung, die ganz prekäre<lb/>
und &#x017F;ubjectiv überall bean&#x017F;tandete Er&#x017F;cheinung<lb/>
des Chri&#x017F;tenthums war. Der Prote&#x017F;tantismus<lb/>
bekam &#x017F;eine &#x017F;ymboli&#x017F;chen Bücher, welche die Leh¬<lb/>
rer be&#x017F;chwören mußten, &#x017F;eine Katechismen, den<lb/>
großen und den kleinen, nach welchen die Un¬<lb/>
mündigen an einen Glauben ge&#x017F;chmiedet wur¬<lb/>
den, dem &#x017F;ie &#x017F;chon als Säuglinge durch die<lb/>
Taufe willenlos &#x017F;ich hingeben mußten. Was<lb/>
muß ich glauben? Ich muß glauben, daß Gott,<lb/>
die Welt er&#x017F;chaffen hat &#x2014; als wenn ein Gott,<lb/>
der &#x017F;ich in &#x017F;o endlichen Werken, wie die Erde<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289[287]/0296] Ein Chriſtenthum erfinden, das ſich gründete auf falſcher Exegeſe, ſchlechten kritiſchen Hülfs¬ mitteln, auf Interpolationen und frommen Be¬ trügereien, auf einer ungeſtörten und ſorgloſen Verbindung des alten und neuen Teſtamentes, endlich aber auf jener heilloſen Verwechſelung zwiſchen dem Kanon. als einer Richtſchnur des Chriſtenthums, ſtatt daß der Kanon, wie wir zeigten, nur erſte Erſcheinung, die ganz prekäre und ſubjectiv überall beanſtandete Erſcheinung des Chriſtenthums war. Der Proteſtantismus bekam ſeine ſymboliſchen Bücher, welche die Leh¬ rer beſchwören mußten, ſeine Katechismen, den großen und den kleinen, nach welchen die Un¬ mündigen an einen Glauben geſchmiedet wur¬ den, dem ſie ſchon als Säuglinge durch die Taufe willenlos ſich hingeben mußten. Was muß ich glauben? Ich muß glauben, daß Gott, die Welt erſchaffen hat — als wenn ein Gott, der ſich in ſo endlichen Werken, wie die Erde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/296
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 289[287]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/296>, abgerufen am 24.11.2024.