Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Jetzt weiß ich, wie in Indien die Bonzen
ihre Büßungen möglich machen. Die Abstrac¬
tion hebt ihren Stolz; aber sie würden es nicht
aushalten können, wenn nicht die Erde für sie
gleichsam verschwände und sie nichts übrig be¬
hielten, als den gestirnten Himmel und das
Gefühl der großen Wesenkette. Ich müßte in
die Einsamkeit ziehen. Wenn mich nur Eines
nicht verfolgte! Nämlich die Natur und das
Grün. Das Siderische und Tellurische im
Menschen bekämpfen sich, und wer poetische
Stimmungen hat, wird immer der Erde unter¬
liegen. Das Meer, Gebirge und Ströme wir¬
ken noch immer siderisch auf uns; denn sie sind
das Rückgrat und die großen Zellgewebe der
Erde, und veranschaulichen die Kugel. Aber
das Peinigende ist die stille Nachbarschaft der
Blume, die Bescheidenheit der Idylle, die kleine
Existenz mit ihren Kornährenkränzen und Abend¬
glocken und Alles, was so nahe zu unserm Her¬

Jetzt weiß ich, wie in Indien die Bonzen
ihre Büßungen möglich machen. Die Abſtrac¬
tion hebt ihren Stolz; aber ſie würden es nicht
aushalten können, wenn nicht die Erde für ſie
gleichſam verſchwände und ſie nichts übrig be¬
hielten, als den geſtirnten Himmel und das
Gefühl der großen Weſenkette. Ich müßte in
die Einſamkeit ziehen. Wenn mich nur Eines
nicht verfolgte! Nämlich die Natur und das
Grün. Das Sideriſche und Telluriſche im
Menſchen bekämpfen ſich, und wer poetiſche
Stimmungen hat, wird immer der Erde unter¬
liegen. Das Meer, Gebirge und Ströme wir¬
ken noch immer ſideriſch auf uns; denn ſie ſind
das Rückgrat und die großen Zellgewebe der
Erde, und veranſchaulichen die Kugel. Aber
das Peinigende iſt die ſtille Nachbarſchaft der
Blume, die Beſcheidenheit der Idylle, die kleine
Exiſtenz mit ihren Kornährenkränzen und Abend¬
glocken und Alles, was ſo nahe zu unſerm Her¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0264" n="255"/>
          <p>Jetzt weiß ich, wie in Indien die Bonzen<lb/>
ihre Büßungen möglich machen. Die Ab&#x017F;trac¬<lb/>
tion hebt ihren Stolz; aber &#x017F;ie würden es nicht<lb/>
aushalten können, wenn nicht die Erde für &#x017F;ie<lb/>
gleich&#x017F;am ver&#x017F;chwände und &#x017F;ie nichts übrig be¬<lb/>
hielten, als den ge&#x017F;tirnten Himmel und das<lb/>
Gefühl der großen We&#x017F;enkette. Ich müßte in<lb/>
die Ein&#x017F;amkeit ziehen. Wenn mich nur Eines<lb/>
nicht verfolgte! Nämlich die Natur und das<lb/>
Grün. Das Sideri&#x017F;che und Telluri&#x017F;che im<lb/>
Men&#x017F;chen bekämpfen &#x017F;ich, und wer poeti&#x017F;che<lb/>
Stimmungen hat, wird immer der Erde unter¬<lb/>
liegen. Das Meer, Gebirge und Ströme wir¬<lb/>
ken noch immer &#x017F;ideri&#x017F;ch auf uns; denn &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
das Rückgrat und die großen Zellgewebe der<lb/>
Erde, und veran&#x017F;chaulichen die Kugel. Aber<lb/>
das Peinigende i&#x017F;t die &#x017F;tille Nachbar&#x017F;chaft der<lb/>
Blume, die Be&#x017F;cheidenheit der Idylle, die kleine<lb/>
Exi&#x017F;tenz mit ihren Kornährenkränzen und Abend¬<lb/>
glocken und Alles, was &#x017F;o nahe zu un&#x017F;erm Her¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0264] Jetzt weiß ich, wie in Indien die Bonzen ihre Büßungen möglich machen. Die Abſtrac¬ tion hebt ihren Stolz; aber ſie würden es nicht aushalten können, wenn nicht die Erde für ſie gleichſam verſchwände und ſie nichts übrig be¬ hielten, als den geſtirnten Himmel und das Gefühl der großen Weſenkette. Ich müßte in die Einſamkeit ziehen. Wenn mich nur Eines nicht verfolgte! Nämlich die Natur und das Grün. Das Sideriſche und Telluriſche im Menſchen bekämpfen ſich, und wer poetiſche Stimmungen hat, wird immer der Erde unter¬ liegen. Das Meer, Gebirge und Ströme wir¬ ken noch immer ſideriſch auf uns; denn ſie ſind das Rückgrat und die großen Zellgewebe der Erde, und veranſchaulichen die Kugel. Aber das Peinigende iſt die ſtille Nachbarſchaft der Blume, die Beſcheidenheit der Idylle, die kleine Exiſtenz mit ihren Kornährenkränzen und Abend¬ glocken und Alles, was ſo nahe zu unſerm Her¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/264
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/264>, abgerufen am 22.11.2024.