Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

behandelt wird. Nun, ich denke an Gott; aber
warum gab er uns nicht die Fähigkeit, ihn be¬
greifen zu können? Verlangt er die Folgen,
warum ließ er mich ohne die Voraussetzungen?
Alle Nationen kommen darin überein, daß man
von Gott nichts wissen könne. Dann weiß ich
auch nicht, warum sie an ihn glauben. Oder
es darf mich niemand tadeln, wenn ich denke,
die Existenz Gottes anzunehmen, war eine ganz
äußerliche, politische und polizeiliche Ueberein¬
kunft der Völker. Denn warum haben wir
halbe Vernunft, halbe Erkenntniß, halben Geist?
Warum zu allem nur die Elemente? Und wir
sind so vermessen, und bauen auf diesen trüben
Boden Systeme, welche den Schein der Vol¬
lendung tragen, und uns mit Verpflichtungen
willkürlich belasten!

Und zuletzt der Tod! Dieser Schrecken des
Tods! Die Krankheit mit ihrer unsäglichen
Hülflosigkeit! Das allmälige Verschwinden des

behandelt wird. Nun, ich denke an Gott; aber
warum gab er uns nicht die Fähigkeit, ihn be¬
greifen zu können? Verlangt er die Folgen,
warum ließ er mich ohne die Vorausſetzungen?
Alle Nationen kommen darin überein, daß man
von Gott nichts wiſſen könne. Dann weiß ich
auch nicht, warum ſie an ihn glauben. Oder
es darf mich niemand tadeln, wenn ich denke,
die Exiſtenz Gottes anzunehmen, war eine ganz
äußerliche, politiſche und polizeiliche Ueberein¬
kunft der Völker. Denn warum haben wir
halbe Vernunft, halbe Erkenntniß, halben Geiſt?
Warum zu allem nur die Elemente? Und wir
ſind ſo vermeſſen, und bauen auf dieſen trüben
Boden Syſteme, welche den Schein der Vol¬
lendung tragen, und uns mit Verpflichtungen
willkürlich belaſten!

Und zuletzt der Tod! Dieſer Schrecken des
Tods! Die Krankheit mit ihrer unſäglichen
Hülfloſigkeit! Das allmälige Verſchwinden des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0233" n="224"/>
behandelt wird. Nun, ich denke an Gott; aber<lb/>
warum gab er uns nicht die Fähigkeit, ihn be¬<lb/>
greifen zu können? Verlangt er die Folgen,<lb/>
warum ließ er mich ohne die Voraus&#x017F;etzungen?<lb/>
Alle Nationen kommen darin überein, daß man<lb/>
von Gott nichts wi&#x017F;&#x017F;en könne. Dann weiß ich<lb/>
auch nicht, warum &#x017F;ie an ihn glauben. Oder<lb/>
es darf mich niemand tadeln, wenn ich denke,<lb/>
die Exi&#x017F;tenz Gottes anzunehmen, war eine ganz<lb/>
äußerliche, politi&#x017F;che und polizeiliche Ueberein¬<lb/>
kunft der Völker. Denn warum haben wir<lb/>
halbe Vernunft, halbe Erkenntniß, halben Gei&#x017F;t?<lb/>
Warum zu allem nur die Elemente? Und wir<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;o verme&#x017F;&#x017F;en, und bauen auf die&#x017F;en trüben<lb/>
Boden Sy&#x017F;teme, welche den Schein der Vol¬<lb/>
lendung tragen, und uns mit Verpflichtungen<lb/>
willkürlich bela&#x017F;ten!</p><lb/>
          <p>Und zuletzt der Tod! Die&#x017F;er Schrecken des<lb/>
Tods! Die Krankheit mit ihrer un&#x017F;äglichen<lb/>
Hülflo&#x017F;igkeit! Das allmälige Ver&#x017F;chwinden des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0233] behandelt wird. Nun, ich denke an Gott; aber warum gab er uns nicht die Fähigkeit, ihn be¬ greifen zu können? Verlangt er die Folgen, warum ließ er mich ohne die Vorausſetzungen? Alle Nationen kommen darin überein, daß man von Gott nichts wiſſen könne. Dann weiß ich auch nicht, warum ſie an ihn glauben. Oder es darf mich niemand tadeln, wenn ich denke, die Exiſtenz Gottes anzunehmen, war eine ganz äußerliche, politiſche und polizeiliche Ueberein¬ kunft der Völker. Denn warum haben wir halbe Vernunft, halbe Erkenntniß, halben Geiſt? Warum zu allem nur die Elemente? Und wir ſind ſo vermeſſen, und bauen auf dieſen trüben Boden Syſteme, welche den Schein der Vol¬ lendung tragen, und uns mit Verpflichtungen willkürlich belaſten! Und zuletzt der Tod! Dieſer Schrecken des Tods! Die Krankheit mit ihrer unſäglichen Hülfloſigkeit! Das allmälige Verſchwinden des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/233
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/233>, abgerufen am 22.11.2024.