Sie hatte zum erstenmale einige Beobachtun¬ gen über ihren Zustand in eine zusammenhän¬ gende Kette aufgereiht. Sie war vor ihren Gedanken nicht scheu zurückgeschreckt, sondern hatte sie diesmal scharf ins Auge gefaßt. In einem Brief an eine Freundin suchte sie ihrer Angst Luft zu machen.
Der Brief war vielleicht vollendet. Sie wagte nicht, was sie hatte, wieder durchzule¬ sen. Auch verzweifelte sie während des Schrei¬ bens ihn abzusenden. Sie zerriß ihn.
Einige Minuten blickte sie die Reste an; dann ordnete sie mechanisch, was davon noch vor ihr lag. Die Linien und Buchstaben pa߬ ten zusammen. Jetzt erst las sie ihn, wo sie gleichsam wußte, daß er ihr nichts mehr scha¬ den könne.
"Meine theure Antonie," hatte sie geschrie¬ ben; "deine geschmackvollen Muster, das sehr hübsche Diadem, was aber wohl zu meinem
Sie hatte zum erſtenmale einige Beobachtun¬ gen über ihren Zuſtand in eine zuſammenhän¬ gende Kette aufgereiht. Sie war vor ihren Gedanken nicht ſcheu zurückgeſchreckt, ſondern hatte ſie diesmal ſcharf ins Auge gefaßt. In einem Brief an eine Freundin ſuchte ſie ihrer Angſt Luft zu machen.
Der Brief war vielleicht vollendet. Sie wagte nicht, was ſie hatte, wieder durchzule¬ ſen. Auch verzweifelte ſie während des Schrei¬ bens ihn abzuſenden. Sie zerriß ihn.
Einige Minuten blickte ſie die Reſte an; dann ordnete ſie mechaniſch, was davon noch vor ihr lag. Die Linien und Buchſtaben pa߬ ten zuſammen. Jetzt erſt las ſie ihn, wo ſie gleichſam wußte, daß er ihr nichts mehr ſcha¬ den könne.
„Meine theure Antonie,“ hatte ſie geſchrie¬ ben; „deine geſchmackvollen Muſter, das ſehr hübſche Diadem, was aber wohl zu meinem
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[92/0101]
Sie hatte zum erſtenmale einige Beobachtun¬
gen über ihren Zuſtand in eine zuſammenhän¬
gende Kette aufgereiht. Sie war vor ihren
Gedanken nicht ſcheu zurückgeſchreckt, ſondern
hatte ſie diesmal ſcharf ins Auge gefaßt. In
einem Brief an eine Freundin ſuchte ſie ihrer
Angſt Luft zu machen.
Der Brief war vielleicht vollendet. Sie
wagte nicht, was ſie hatte, wieder durchzule¬
ſen. Auch verzweifelte ſie während des Schrei¬
bens ihn abzuſenden. Sie zerriß ihn.
Einige Minuten blickte ſie die Reſte an;
dann ordnete ſie mechaniſch, was davon noch
vor ihr lag. Die Linien und Buchſtaben pa߬
ten zuſammen. Jetzt erſt las ſie ihn, wo ſie
gleichſam wußte, daß er ihr nichts mehr ſcha¬
den könne.
„Meine theure Antonie,“ hatte ſie geſchrie¬
ben; „deine geſchmackvollen Muſter, das ſehr
hübſche Diadem, was aber wohl zu meinem
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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/101>, abgerufen am 23.05.2024.
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