Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.vorwurfsvoll sagte: Schäme dich, Liebe zu verlangen für Deine Dankbarkeit! Du solltest doch Nichts für den Edlen fühlen als Dank, daß er dich erkannte, dich weggeworfenen Kieselstein am Wege, der mit Füßen getreten wurde vom Unverstand, vom Dünkel, vom augenblicklichen Gewalthaber! Laß das doch genug sein, daß er Dir ein Engel gewesen, der Allen die Binde vom Auge riß, ein Retter, der das flammende Schwert zu deiner Befreiung aus den Banden einer unwürdigen Lage erhob! Ist es nicht ein unerlaubter Egoismus, der da noch von Liebe spricht! Ach, bei solchen Gedanken feuchteten sich ihr doch die Augen. Das Bild ihres Bruders trat ihr entgegen. Sie mußte sich mit ihm beschäftigen. Sie hatte einen langen, langen Brief von ihm bekommen. Als sie sich entschloß, ihn zu lesen, nahm sie gleichsam Abschied von allen guten Geistern, die sie umgaben und mit denen sie sonst verkehrte. Was um sie her schlummerte, Alles erschien ihr eben noch rein; jetzt verfinsterte sich der Mond. Der Tannenwald beherrschte allein den Horizont. Jetzt mochte der wilde Jäger durch den Forst rasen und seine Lagerstätten suchen. Er brauste nicht mit Sturmgeheul. Alles blieb ruhig und sanft. Aber Martha mußte sich doch die Kleider aufknüpfen, weil ihr schon beim langsamen Oeffnen des doppeltfrankirten Briefes das Herz fast vorwurfsvoll sagte: Schäme dich, Liebe zu verlangen für Deine Dankbarkeit! Du solltest doch Nichts für den Edlen fühlen als Dank, daß er dich erkannte, dich weggeworfenen Kieselstein am Wege, der mit Füßen getreten wurde vom Unverstand, vom Dünkel, vom augenblicklichen Gewalthaber! Laß das doch genug sein, daß er Dir ein Engel gewesen, der Allen die Binde vom Auge riß, ein Retter, der das flammende Schwert zu deiner Befreiung aus den Banden einer unwürdigen Lage erhob! Ist es nicht ein unerlaubter Egoismus, der da noch von Liebe spricht! Ach, bei solchen Gedanken feuchteten sich ihr doch die Augen. Das Bild ihres Bruders trat ihr entgegen. Sie mußte sich mit ihm beschäftigen. Sie hatte einen langen, langen Brief von ihm bekommen. Als sie sich entschloß, ihn zu lesen, nahm sie gleichsam Abschied von allen guten Geistern, die sie umgaben und mit denen sie sonst verkehrte. Was um sie her schlummerte, Alles erschien ihr eben noch rein; jetzt verfinsterte sich der Mond. Der Tannenwald beherrschte allein den Horizont. Jetzt mochte der wilde Jäger durch den Forst rasen und seine Lagerstätten suchen. Er brauste nicht mit Sturmgeheul. Alles blieb ruhig und sanft. Aber Martha mußte sich doch die Kleider aufknüpfen, weil ihr schon beim langsamen Oeffnen des doppeltfrankirten Briefes das Herz fast <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0039" n="33"/> vorwurfsvoll sagte: Schäme dich, Liebe zu verlangen für Deine Dankbarkeit! Du solltest doch Nichts für den Edlen fühlen als Dank, daß er dich erkannte, dich weggeworfenen Kieselstein am Wege, der mit Füßen getreten wurde vom Unverstand, vom Dünkel, vom augenblicklichen Gewalthaber! Laß das doch genug sein, daß er Dir ein Engel gewesen, der Allen die Binde vom Auge riß, ein Retter, der das flammende Schwert zu deiner Befreiung aus den Banden einer unwürdigen Lage erhob! Ist es nicht ein unerlaubter Egoismus, der da noch von Liebe spricht! Ach, bei solchen Gedanken feuchteten sich ihr doch die Augen.</p> <p>Das Bild ihres Bruders trat ihr entgegen. Sie mußte sich mit ihm beschäftigen. Sie hatte einen langen, langen Brief von ihm bekommen. Als sie sich entschloß, ihn zu lesen, nahm sie gleichsam Abschied von allen guten Geistern, die sie umgaben und mit denen sie sonst verkehrte. Was um sie her schlummerte, Alles erschien ihr eben noch rein; jetzt verfinsterte sich der Mond. Der Tannenwald beherrschte allein den Horizont. Jetzt mochte der wilde Jäger durch den Forst rasen und seine Lagerstätten suchen. Er brauste nicht mit Sturmgeheul. Alles blieb ruhig und sanft. Aber Martha mußte sich doch die Kleider aufknüpfen, weil ihr schon beim langsamen Oeffnen des doppeltfrankirten Briefes das Herz fast </p> </div> </body> </text> </TEI> [33/0039]
vorwurfsvoll sagte: Schäme dich, Liebe zu verlangen für Deine Dankbarkeit! Du solltest doch Nichts für den Edlen fühlen als Dank, daß er dich erkannte, dich weggeworfenen Kieselstein am Wege, der mit Füßen getreten wurde vom Unverstand, vom Dünkel, vom augenblicklichen Gewalthaber! Laß das doch genug sein, daß er Dir ein Engel gewesen, der Allen die Binde vom Auge riß, ein Retter, der das flammende Schwert zu deiner Befreiung aus den Banden einer unwürdigen Lage erhob! Ist es nicht ein unerlaubter Egoismus, der da noch von Liebe spricht! Ach, bei solchen Gedanken feuchteten sich ihr doch die Augen.
Das Bild ihres Bruders trat ihr entgegen. Sie mußte sich mit ihm beschäftigen. Sie hatte einen langen, langen Brief von ihm bekommen. Als sie sich entschloß, ihn zu lesen, nahm sie gleichsam Abschied von allen guten Geistern, die sie umgaben und mit denen sie sonst verkehrte. Was um sie her schlummerte, Alles erschien ihr eben noch rein; jetzt verfinsterte sich der Mond. Der Tannenwald beherrschte allein den Horizont. Jetzt mochte der wilde Jäger durch den Forst rasen und seine Lagerstätten suchen. Er brauste nicht mit Sturmgeheul. Alles blieb ruhig und sanft. Aber Martha mußte sich doch die Kleider aufknüpfen, weil ihr schon beim langsamen Oeffnen des doppeltfrankirten Briefes das Herz fast
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/39>, abgerufen am 16.07.2024. |