Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.zu keck, so athmet doch Alles Frische, Leben, Frohsinn! Und haben die Leute Kummer, so unterdrücken sie ihn weit mehr, als früher dergleichen Sitte gewesen -! Das ist ein Fortschritt unserer Zeit! Vielleicht, sagte die Gräfin gutmüthig neckend, Etwas von der neuen Religion, lieber Herr Pfarrer! Aber sie lobte ihn dabei für den Vollzug einiger empfangenen Aufträge so, daß er nicht schmollen konnte. Wenn sie aus der Gefühls- in die Gedankenwelt gerieth, stockte ihre Mittheilungslust ohnehin. Die Bosheit siegte aber. Der gemeine plebejische, von Humanitätssinn nie wahrhaft angewehte Theologengeist war in Weilheim vollends verbauert. Mit schmunzelndem Lächeln und sich der stetig von ihm innegehaltenen, von der Gräfin oft abgelehnten Anrede bedienend, sagte der von Neid und Mißgunst regierte Diener am Wort, der nun in der Stadt wieder die Martha-Herrschaft eintreten sah: Nein, woher kommt das, Durchlaucht? Ich sage, von dem allgemein herrschenden Uebermuth! Das Prahlen, Prunken, Parademachen, Fahnenaushängen, Flaggen ist im Geistigen, ich sage im Reiche Satans, eben so gestiegen und eben so im Schwunge, wie im politischen! Alles glaubt jetzt am besten zu thun, immer in das allgemeine Halloh, in die wilde Jagd miteinzustimmen und die Pflege seines geistigen und moralischen Menschen zu vernachlässigen! Darum erzieht auch zu keck, so athmet doch Alles Frische, Leben, Frohsinn! Und haben die Leute Kummer, so unterdrücken sie ihn weit mehr, als früher dergleichen Sitte gewesen –! Das ist ein Fortschritt unserer Zeit! Vielleicht, sagte die Gräfin gutmüthig neckend, Etwas von der neuen Religion, lieber Herr Pfarrer! Aber sie lobte ihn dabei für den Vollzug einiger empfangenen Aufträge so, daß er nicht schmollen konnte. Wenn sie aus der Gefühls- in die Gedankenwelt gerieth, stockte ihre Mittheilungslust ohnehin. Die Bosheit siegte aber. Der gemeine plebejische, von Humanitätssinn nie wahrhaft angewehte Theologengeist war in Weilheim vollends verbauert. Mit schmunzelndem Lächeln und sich der stetig von ihm innegehaltenen, von der Gräfin oft abgelehnten Anrede bedienend, sagte der von Neid und Mißgunst regierte Diener am Wort, der nun in der Stadt wieder die Martha-Herrschaft eintreten sah: Nein, woher kommt das, Durchlaucht? Ich sage, von dem allgemein herrschenden Uebermuth! Das Prahlen, Prunken, Parademachen, Fahnenaushängen, Flaggen ist im Geistigen, ich sage im Reiche Satans, eben so gestiegen und eben so im Schwunge, wie im politischen! Alles glaubt jetzt am besten zu thun, immer in das allgemeine Halloh, in die wilde Jagd miteinzustimmen und die Pflege seines geistigen und moralischen Menschen zu vernachlässigen! Darum erzieht auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0102" n="96"/> zu keck, so athmet doch Alles Frische, Leben, Frohsinn! Und haben die Leute Kummer, so unterdrücken sie ihn weit mehr, als früher dergleichen Sitte gewesen –! Das ist ein Fortschritt unserer Zeit! Vielleicht, sagte die Gräfin gutmüthig neckend, Etwas von der neuen Religion, lieber Herr Pfarrer! Aber sie lobte ihn dabei für den Vollzug einiger empfangenen Aufträge so, daß er nicht schmollen konnte. Wenn sie aus der Gefühls- in die Gedankenwelt gerieth, stockte ihre Mittheilungslust ohnehin.</p> <p>Die Bosheit siegte aber. Der gemeine plebejische, von Humanitätssinn nie wahrhaft angewehte Theologengeist war in Weilheim vollends verbauert. Mit schmunzelndem Lächeln und sich der stetig von ihm innegehaltenen, von der Gräfin oft abgelehnten Anrede bedienend, sagte der von Neid und Mißgunst regierte Diener am Wort, der nun in der Stadt wieder die Martha-Herrschaft eintreten sah: Nein, woher kommt das, Durchlaucht? Ich sage, von dem allgemein herrschenden Uebermuth! Das Prahlen, Prunken, Parademachen, Fahnenaushängen, Flaggen ist im Geistigen, ich sage im Reiche Satans, eben so gestiegen und eben so im Schwunge, wie im politischen! Alles glaubt jetzt am besten zu thun, immer in das allgemeine Halloh, in die wilde Jagd miteinzustimmen und die Pflege seines geistigen und moralischen Menschen zu vernachlässigen! Darum erzieht auch </p> </div> </body> </text> </TEI> [96/0102]
zu keck, so athmet doch Alles Frische, Leben, Frohsinn! Und haben die Leute Kummer, so unterdrücken sie ihn weit mehr, als früher dergleichen Sitte gewesen –! Das ist ein Fortschritt unserer Zeit! Vielleicht, sagte die Gräfin gutmüthig neckend, Etwas von der neuen Religion, lieber Herr Pfarrer! Aber sie lobte ihn dabei für den Vollzug einiger empfangenen Aufträge so, daß er nicht schmollen konnte. Wenn sie aus der Gefühls- in die Gedankenwelt gerieth, stockte ihre Mittheilungslust ohnehin.
Die Bosheit siegte aber. Der gemeine plebejische, von Humanitätssinn nie wahrhaft angewehte Theologengeist war in Weilheim vollends verbauert. Mit schmunzelndem Lächeln und sich der stetig von ihm innegehaltenen, von der Gräfin oft abgelehnten Anrede bedienend, sagte der von Neid und Mißgunst regierte Diener am Wort, der nun in der Stadt wieder die Martha-Herrschaft eintreten sah: Nein, woher kommt das, Durchlaucht? Ich sage, von dem allgemein herrschenden Uebermuth! Das Prahlen, Prunken, Parademachen, Fahnenaushängen, Flaggen ist im Geistigen, ich sage im Reiche Satans, eben so gestiegen und eben so im Schwunge, wie im politischen! Alles glaubt jetzt am besten zu thun, immer in das allgemeine Halloh, in die wilde Jagd miteinzustimmen und die Pflege seines geistigen und moralischen Menschen zu vernachlässigen! Darum erzieht auch
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/102>, abgerufen am 16.02.2025. |