Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht, woher er seine Kraft nimmt! Er nimmt sie von der Wahrheit, vom Irrthum, vom Wahn! Ja, von noch viel gewöhnlichern Gegenständen, vom Lichterglanz, vom Beginn einer Tanzmusik, von einem neuen Kleide, das er trägt!

Ein Wirth, der einen Ball giebt, hat nicht Zeit, seine angefangenen Sätze zu vollenden. Auch Wolnys zu einem Geistlichen gesprochenen Worte brachen ab, da eine Gruppe nach der andern zu begrüßen war. Die Commerzienräthin suchte sich neben ihm aufrecht zu erhalten, lächelte Jedem holdselig und meinte es in der That freundlich und wohlwollend im Gemüth gegen Jedermann. Sie hatte gefunden, daß Haß und Zorn die Menschen entstellten und das bis auf den Eindruck ihrer Gesichtszüge. Und wie oft hatten ihr die ständigen Freunde des Hauses, in frühern Zeiten sogar mehr Geistliche als jetzt, gesagt, daß sie die schönste Erscheinung einer Priesterin auf der Bühne, einer Iphigenie, einer Sappho gewesen sein würde! Sie hatte das auch heute noch nicht vergessen. Sie hatte geträumt, es sei Alles wie sonst. Die böse Dora, die ihren Bund mit Wolny nicht gewollt hatte, erweckte mehr ihren Unmuth als ihren Dank, wenn sie die Ermahnung flüsterte, sich zu schonen. Fräulein Dora war einfach gekleidet. Sie hätte sich viel lieber in den Mühlbach'schen Kaiser Joseph vertieft.

nicht, woher er seine Kraft nimmt! Er nimmt sie von der Wahrheit, vom Irrthum, vom Wahn! Ja, von noch viel gewöhnlichern Gegenständen, vom Lichterglanz, vom Beginn einer Tanzmusik, von einem neuen Kleide, das er trägt!

Ein Wirth, der einen Ball giebt, hat nicht Zeit, seine angefangenen Sätze zu vollenden. Auch Wolnys zu einem Geistlichen gesprochenen Worte brachen ab, da eine Gruppe nach der andern zu begrüßen war. Die Commerzienräthin suchte sich neben ihm aufrecht zu erhalten, lächelte Jedem holdselig und meinte es in der That freundlich und wohlwollend im Gemüth gegen Jedermann. Sie hatte gefunden, daß Haß und Zorn die Menschen entstellten und das bis auf den Eindruck ihrer Gesichtszüge. Und wie oft hatten ihr die ständigen Freunde des Hauses, in frühern Zeiten sogar mehr Geistliche als jetzt, gesagt, daß sie die schönste Erscheinung einer Priesterin auf der Bühne, einer Iphigenie, einer Sappho gewesen sein würde! Sie hatte das auch heute noch nicht vergessen. Sie hatte geträumt, es sei Alles wie sonst. Die böse Dora, die ihren Bund mit Wolny nicht gewollt hatte, erweckte mehr ihren Unmuth als ihren Dank, wenn sie die Ermahnung flüsterte, sich zu schonen. Fräulein Dora war einfach gekleidet. Sie hätte sich viel lieber in den Mühlbach’schen Kaiser Joseph vertieft.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="237"/>
nicht, woher er seine Kraft nimmt! Er nimmt sie von der Wahrheit, vom Irrthum, vom Wahn! Ja, von noch viel gewöhnlichern Gegenständen, vom Lichterglanz, vom Beginn einer Tanzmusik, von einem neuen Kleide, das er trägt! </p>
        <p>Ein Wirth, der einen Ball giebt, hat nicht Zeit, seine angefangenen Sätze zu vollenden. Auch Wolnys zu einem Geistlichen gesprochenen Worte brachen ab, da eine Gruppe nach der andern zu begrüßen war. Die Commerzienräthin suchte sich neben ihm aufrecht zu erhalten, lächelte Jedem holdselig und meinte es in der That freundlich und wohlwollend im Gemüth gegen Jedermann. Sie hatte gefunden, daß Haß und Zorn die Menschen entstellten und das bis auf den Eindruck ihrer Gesichtszüge. Und wie oft hatten ihr die ständigen Freunde des Hauses, in frühern Zeiten sogar mehr Geistliche als jetzt, gesagt, daß sie die <ref xml:id="TEXTdieschoensteBISSappho" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLdieschoensteBISSappho">schönste Erscheinung einer Priesterin auf der Bühne, einer Iphigenie, einer Sappho</ref> gewesen sein würde! Sie hatte das auch heute noch nicht vergessen. Sie hatte geträumt, es sei Alles wie sonst. Die böse Dora, die ihren Bund mit Wolny nicht gewollt hatte, erweckte mehr ihren Unmuth als ihren Dank, wenn sie die Ermahnung flüsterte, sich zu schonen. Fräulein Dora war einfach gekleidet. Sie hätte sich viel lieber in den <ref xml:id="TEXTMuehlbachschenKaiserJoseph" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLMuehlbachschenKaiserJoseph">Mühlbach&#x2019;schen Kaiser Joseph</ref> vertieft. </p>
        <p>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0243] nicht, woher er seine Kraft nimmt! Er nimmt sie von der Wahrheit, vom Irrthum, vom Wahn! Ja, von noch viel gewöhnlichern Gegenständen, vom Lichterglanz, vom Beginn einer Tanzmusik, von einem neuen Kleide, das er trägt! Ein Wirth, der einen Ball giebt, hat nicht Zeit, seine angefangenen Sätze zu vollenden. Auch Wolnys zu einem Geistlichen gesprochenen Worte brachen ab, da eine Gruppe nach der andern zu begrüßen war. Die Commerzienräthin suchte sich neben ihm aufrecht zu erhalten, lächelte Jedem holdselig und meinte es in der That freundlich und wohlwollend im Gemüth gegen Jedermann. Sie hatte gefunden, daß Haß und Zorn die Menschen entstellten und das bis auf den Eindruck ihrer Gesichtszüge. Und wie oft hatten ihr die ständigen Freunde des Hauses, in frühern Zeiten sogar mehr Geistliche als jetzt, gesagt, daß sie die schönste Erscheinung einer Priesterin auf der Bühne, einer Iphigenie, einer Sappho gewesen sein würde! Sie hatte das auch heute noch nicht vergessen. Sie hatte geträumt, es sei Alles wie sonst. Die böse Dora, die ihren Bund mit Wolny nicht gewollt hatte, erweckte mehr ihren Unmuth als ihren Dank, wenn sie die Ermahnung flüsterte, sich zu schonen. Fräulein Dora war einfach gekleidet. Sie hätte sich viel lieber in den Mühlbach’schen Kaiser Joseph vertieft.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-02-19T12:27:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-02-19T12:27:44Z)
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Yx 17781-1<a>) (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/243
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/243>, abgerufen am 24.11.2024.