[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.Sie beklagte mich, daß ich nur an der Vorhalle zum Tempel des Verständnisses der Welt stehen geblieben sei. Welch thörichter Glaube! Theilweis Haltbares fassen die Menschen zusammen, und lassen sich dadurch in ihren Handlungen bestimmen. Viele halbe Wahrheiten zusammen genommen, geben ihnen zuletzt die vollkommene Wahrheit. Wenn ich an der Vorhalle des Heiligthums, wo meine Zeitgenossen anbeten, schon meine Hand in ein Becken tauchen muß, um mich mit magischem Wasser zu segnen, so wag' ich auch keinen Schritt weiter, bleibe draußen und bete lieber die todten Steinbilder an, die vor dem Eingange Wind und Wetter getrotzt haben. Einst ließ ich mir einen Schädel als Pocal zurichten, und hab' aus ihm die reine ewige Lust des Lebens getrunken. Das nannte man bizarr, und rechnete mich unter jene kleinen Geister, die sich die Welt als Widerstand ihres Willens dichten, um nur unter den Titanen aller Zeiten mitgenannt zu werden. Dann floh' ich meine Heimath. Die schwachen Nerven meiner Zeitgenossen wollten gesehen haben, daß ich von den brennenden Fackeln meiner Reue unstät getrieben würde. Ich hab's wohl tiefer, als man es geahnt hat, selbst gefühlt, daß ich in mir keinen Frieden fand; aber ich sah, daß der Geist dieser Zeit in eben solchem Drange sich selbst verfolgte, Sie beklagte mich, daß ich nur an der Vorhalle zum Tempel des Verständnisses der Welt stehen geblieben sei. Welch thörichter Glaube! Theilweis Haltbares fassen die Menschen zusammen, und lassen sich dadurch in ihren Handlungen bestimmen. Viele halbe Wahrheiten zusammen genommen, geben ihnen zuletzt die vollkommene Wahrheit. Wenn ich an der Vorhalle des Heiligthums, wo meine Zeitgenossen anbeten, schon meine Hand in ein Becken tauchen muß, um mich mit magischem Wasser zu segnen, so wag’ ich auch keinen Schritt weiter, bleibe draußen und bete lieber die todten Steinbilder an, die vor dem Eingange Wind und Wetter getrotzt haben. Einst ließ ich mir einen Schädel als Pocal zurichten, und hab’ aus ihm die reine ewige Lust des Lebens getrunken. Das nannte man bizarr, und rechnete mich unter jene kleinen Geister, die sich die Welt als Widerstand ihres Willens dichten, um nur unter den Titanen aller Zeiten mitgenannt zu werden. Dann floh’ ich meine Heimath. Die schwachen Nerven meiner Zeitgenossen wollten gesehen haben, daß ich von den brennenden Fackeln meiner Reue unstät getrieben würde. Ich hab’s wohl tiefer, als man es geahnt hat, selbst gefühlt, daß ich in mir keinen Frieden fand; aber ich sah, daß der Geist dieser Zeit in eben solchem Drange sich selbst verfolgte, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0243" n="230"/> Sie beklagte mich, daß ich nur an der Vorhalle zum Tempel des Verständnisses der Welt stehen geblieben sei. Welch thörichter Glaube! Theilweis Haltbares fassen die Menschen zusammen, und lassen sich dadurch in ihren Handlungen bestimmen. Viele halbe Wahrheiten zusammen genommen, geben ihnen zuletzt die vollkommene Wahrheit. Wenn ich an der Vorhalle des Heiligthums, wo meine Zeitgenossen anbeten, schon meine Hand in ein Becken tauchen muß, um mich mit magischem Wasser zu segnen, so wag’ ich auch keinen Schritt weiter, bleibe draußen und bete lieber die todten Steinbilder an, die vor dem Eingange Wind und Wetter getrotzt haben. Einst ließ ich mir einen Schädel als Pocal zurichten, und hab’ aus ihm die reine ewige Lust des Lebens getrunken. Das nannte man bizarr, und rechnete mich unter jene kleinen Geister, die sich die Welt als Widerstand ihres Willens dichten, um nur unter den Titanen aller Zeiten mitgenannt zu werden. Dann floh’ ich meine Heimath. Die schwachen Nerven meiner Zeitgenossen wollten gesehen haben, daß ich von den brennenden Fackeln meiner Reue unstät getrieben würde. Ich hab’s wohl tiefer, als man es geahnt hat, selbst gefühlt, daß ich in mir keinen Frieden fand; aber ich sah, daß der Geist dieser Zeit in eben solchem Drange sich selbst verfolgte, </p> </div> </body> </text> </TEI> [230/0243]
Sie beklagte mich, daß ich nur an der Vorhalle zum Tempel des Verständnisses der Welt stehen geblieben sei. Welch thörichter Glaube! Theilweis Haltbares fassen die Menschen zusammen, und lassen sich dadurch in ihren Handlungen bestimmen. Viele halbe Wahrheiten zusammen genommen, geben ihnen zuletzt die vollkommene Wahrheit. Wenn ich an der Vorhalle des Heiligthums, wo meine Zeitgenossen anbeten, schon meine Hand in ein Becken tauchen muß, um mich mit magischem Wasser zu segnen, so wag’ ich auch keinen Schritt weiter, bleibe draußen und bete lieber die todten Steinbilder an, die vor dem Eingange Wind und Wetter getrotzt haben. Einst ließ ich mir einen Schädel als Pocal zurichten, und hab’ aus ihm die reine ewige Lust des Lebens getrunken. Das nannte man bizarr, und rechnete mich unter jene kleinen Geister, die sich die Welt als Widerstand ihres Willens dichten, um nur unter den Titanen aller Zeiten mitgenannt zu werden. Dann floh’ ich meine Heimath. Die schwachen Nerven meiner Zeitgenossen wollten gesehen haben, daß ich von den brennenden Fackeln meiner Reue unstät getrieben würde. Ich hab’s wohl tiefer, als man es geahnt hat, selbst gefühlt, daß ich in mir keinen Frieden fand; aber ich sah, daß der Geist dieser Zeit in eben solchem Drange sich selbst verfolgte,
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/243>, abgerufen am 16.02.2025. |