[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.was ihr nicht gelungen oder verborgen geblieben ist? Im dreizehnten Jahrhundert wollte man das Revolutionswerk, wie es bei Brutus und Cassius einst stehen geblieben, in Rom unmittelbar fortsetzen. Das war eben so thöricht, als wenn man im neunzehnten die Reformation im Sinne Luthers vollendet. Im funfzehnten Jahrhundert gaben die pedantischen Narren, die man die Wiederhersteller der Wissenschaften zu nennen pflegt, beständig vor, sie kämen eben von den Brüsten des classischen Alterthums und hätten vor einer Viertelstunde mit Cicero gesprochen. Nicht besser haben vor einigen zwanzig Jahren poetische Phantasten solche Töne auf ihren Lauten angeschlagen, als könnten sie stündlich an den Hof des Landgrafen von Thüringen, oder gar an Artus Tafelrunde gerufen werden. Du ahnst gewiß nicht, daß Du dergleichen durch Dein Beispiel geheiligt hast. Du vergissest außerdem, daß eine einzige Frage den Schlüssel zu Deinem so kostbaren Cabinette verbirgt. Wer hat von irgend einer Zeit ein Schema, das anzeigen könnte, was sie an sich selbst vergessen, was im Gedächtniß der Nachwelt sich von ihr verloren hat? Wenn wir ein altes Bild restauriren, welches ist die Probe, daß wir die erste Fassung vollständig wieder gegeben haben? Wer bürgt Dir dafür, daß Du mit Deinen Armen und Beinen die Welt was ihr nicht gelungen oder verborgen geblieben ist? Im dreizehnten Jahrhundert wollte man das Revolutionswerk, wie es bei Brutus und Cassius einst stehen geblieben, in Rom unmittelbar fortsetzen. Das war eben so thöricht, als wenn man im neunzehnten die Reformation im Sinne Luthers vollendet. Im funfzehnten Jahrhundert gaben die pedantischen Narren, die man die Wiederhersteller der Wissenschaften zu nennen pflegt, beständig vor, sie kämen eben von den Brüsten des classischen Alterthums und hätten vor einer Viertelstunde mit Cicero gesprochen. Nicht besser haben vor einigen zwanzig Jahren poetische Phantasten solche Töne auf ihren Lauten angeschlagen, als könnten sie stündlich an den Hof des Landgrafen von Thüringen, oder gar an Artus Tafelrunde gerufen werden. Du ahnst gewiß nicht, daß Du dergleichen durch Dein Beispiel geheiligt hast. Du vergissest außerdem, daß eine einzige Frage den Schlüssel zu Deinem so kostbaren Cabinette verbirgt. Wer hat von irgend einer Zeit ein Schema, das anzeigen könnte, was sie an sich selbst vergessen, was im Gedächtniß der Nachwelt sich von ihr verloren hat? Wenn wir ein altes Bild restauriren, welches ist die Probe, daß wir die erste Fassung vollständig wieder gegeben haben? Wer bürgt Dir dafür, daß Du mit Deinen Armen und Beinen die Welt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0236" n="223"/> was ihr nicht gelungen oder verborgen geblieben ist? Im dreizehnten Jahrhundert wollte man das Revolutionswerk, wie es bei Brutus und Cassius einst stehen geblieben, in Rom unmittelbar fortsetzen. Das war eben so thöricht, als wenn man im neunzehnten die Reformation im Sinne Luthers vollendet. Im funfzehnten Jahrhundert gaben die pedantischen Narren, die man die Wiederhersteller der Wissenschaften zu nennen pflegt, beständig vor, sie kämen eben von den Brüsten des classischen Alterthums und hätten vor einer Viertelstunde mit Cicero gesprochen. Nicht besser haben vor einigen zwanzig Jahren poetische Phantasten solche Töne auf ihren Lauten angeschlagen, als könnten sie stündlich an den Hof des Landgrafen von Thüringen, oder gar an Artus Tafelrunde gerufen werden.</p> <p>Du ahnst gewiß nicht, daß Du dergleichen durch Dein Beispiel geheiligt hast. Du vergissest außerdem, daß eine einzige Frage den Schlüssel zu Deinem so kostbaren Cabinette verbirgt. Wer hat von irgend einer Zeit ein Schema, das anzeigen könnte, was sie an sich selbst vergessen, was im Gedächtniß der Nachwelt sich von ihr verloren hat? Wenn wir ein altes Bild restauriren, welches ist die Probe, daß wir die erste Fassung vollständig wieder gegeben haben? Wer bürgt Dir dafür, daß Du mit Deinen Armen und Beinen die Welt </p> </div> </body> </text> </TEI> [223/0236]
was ihr nicht gelungen oder verborgen geblieben ist? Im dreizehnten Jahrhundert wollte man das Revolutionswerk, wie es bei Brutus und Cassius einst stehen geblieben, in Rom unmittelbar fortsetzen. Das war eben so thöricht, als wenn man im neunzehnten die Reformation im Sinne Luthers vollendet. Im funfzehnten Jahrhundert gaben die pedantischen Narren, die man die Wiederhersteller der Wissenschaften zu nennen pflegt, beständig vor, sie kämen eben von den Brüsten des classischen Alterthums und hätten vor einer Viertelstunde mit Cicero gesprochen. Nicht besser haben vor einigen zwanzig Jahren poetische Phantasten solche Töne auf ihren Lauten angeschlagen, als könnten sie stündlich an den Hof des Landgrafen von Thüringen, oder gar an Artus Tafelrunde gerufen werden.
Du ahnst gewiß nicht, daß Du dergleichen durch Dein Beispiel geheiligt hast. Du vergissest außerdem, daß eine einzige Frage den Schlüssel zu Deinem so kostbaren Cabinette verbirgt. Wer hat von irgend einer Zeit ein Schema, das anzeigen könnte, was sie an sich selbst vergessen, was im Gedächtniß der Nachwelt sich von ihr verloren hat? Wenn wir ein altes Bild restauriren, welches ist die Probe, daß wir die erste Fassung vollständig wieder gegeben haben? Wer bürgt Dir dafür, daß Du mit Deinen Armen und Beinen die Welt
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/236>, abgerufen am 16.02.2025. |