Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm jenes göttliche Moment, woran Kirche, Kunst, Wissenschaft, alle Gebiete unserer höchsten Geistesfähigkeiten ihre Wahrheit hätten. Als ich aber unter diesen lieblichen Blumen wandeln wollte, da sah' ich ein, daß es nur hölzerne Blöcke sein müßten, weil ich mir an ihnen den Kopf blutig stieß. Das Interesse des Augenblicks, die gehinderte Befriedigung eines Wunsches meines arglosen Herzens öffnete mir die Augen. Wenn ich die Verfasser der positiven Wirklichkeit einst beklagte, daß sie das von der Phantasie der Völker ihnen dargebotene Ruder, einen zarten Lilienstengel, nicht ergriffen, so dank' ich ihnen jetzt dafür, seitdem ich jede Mondscheinbeleuchtung in Sachen der Vernunft und Erfahrung verabscheue.

Ich hatte mich einmal auf die Teufelscanzel des Brockens gesetzt, und ließ die Weltgeschichte in ihren erhabensten Repräsentanten an mir vorübergehen. Ich erstaunte über jene Ordnung, jene unverkennbare Weisheit, mit der selbst das kleinste Beiwerk angelegt schien. Von den Hochgebirgen Asiens bis zu den Höhen Scandinaviens lag das weite Feld wie in systematischer Symmetrie. Einer sprach zu dem Andern, und die im Leben mit tödtlichem Hasse gegen sich gewüthet, reichten sich freundlich die Hand. Da lag Cato in Cäsars Armen, Gregor weinte an Heinrichs Brust, Ro-

ihm jenes göttliche Moment, woran Kirche, Kunst, Wissenschaft, alle Gebiete unserer höchsten Geistesfähigkeiten ihre Wahrheit hätten. Als ich aber unter diesen lieblichen Blumen wandeln wollte, da sah’ ich ein, daß es nur hölzerne Blöcke sein müßten, weil ich mir an ihnen den Kopf blutig stieß. Das Interesse des Augenblicks, die gehinderte Befriedigung eines Wunsches meines arglosen Herzens öffnete mir die Augen. Wenn ich die Verfasser der positiven Wirklichkeit einst beklagte, daß sie das von der Phantasie der Völker ihnen dargebotene Ruder, einen zarten Lilienstengel, nicht ergriffen, so dank’ ich ihnen jetzt dafür, seitdem ich jede Mondscheinbeleuchtung in Sachen der Vernunft und Erfahrung verabscheue.

Ich hatte mich einmal auf die Teufelscanzel des Brockens gesetzt, und ließ die Weltgeschichte in ihren erhabensten Repräsentanten an mir vorübergehen. Ich erstaunte über jene Ordnung, jene unverkennbare Weisheit, mit der selbst das kleinste Beiwerk angelegt schien. Von den Hochgebirgen Asiens bis zu den Höhen Scandinaviens lag das weite Feld wie in systematischer Symmetrie. Einer sprach zu dem Andern, und die im Leben mit tödtlichem Hasse gegen sich gewüthet, reichten sich freundlich die Hand. Da lag Cato in Cäsars Armen, Gregor weinte an Heinrichs Brust, Ro-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0222" n="209"/>
ihm jenes göttliche Moment, woran Kirche, Kunst, Wissenschaft, alle Gebiete unserer höchsten Geistesfähigkeiten ihre Wahrheit hätten. Als ich aber unter diesen lieblichen Blumen wandeln wollte, da sah&#x2019; ich ein, daß es nur hölzerne Blöcke sein müßten, weil ich mir an ihnen den Kopf blutig stieß. Das Interesse des Augenblicks, die gehinderte Befriedigung eines Wunsches meines arglosen Herzens öffnete mir die Augen. Wenn ich die Verfasser der positiven Wirklichkeit einst beklagte, daß sie das von der Phantasie der Völker ihnen dargebotene Ruder, einen zarten Lilienstengel, nicht ergriffen, so dank&#x2019; ich ihnen jetzt dafür, seitdem ich jede Mondscheinbeleuchtung in Sachen der Vernunft und Erfahrung verabscheue.</p>
        <p>Ich hatte mich einmal auf die Teufelscanzel des Brockens gesetzt, und ließ die Weltgeschichte in ihren erhabensten Repräsentanten an mir vorübergehen. Ich erstaunte über jene Ordnung, jene unverkennbare Weisheit, mit der selbst das kleinste Beiwerk angelegt schien. Von den Hochgebirgen Asiens bis zu den Höhen Scandinaviens lag das weite Feld wie in systematischer Symmetrie. Einer sprach zu dem Andern, und die im Leben mit tödtlichem Hasse gegen sich gewüthet, reichten sich freundlich die Hand. Da lag Cato in Cäsars Armen, Gregor weinte an Heinrichs Brust, Ro-
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0222] ihm jenes göttliche Moment, woran Kirche, Kunst, Wissenschaft, alle Gebiete unserer höchsten Geistesfähigkeiten ihre Wahrheit hätten. Als ich aber unter diesen lieblichen Blumen wandeln wollte, da sah’ ich ein, daß es nur hölzerne Blöcke sein müßten, weil ich mir an ihnen den Kopf blutig stieß. Das Interesse des Augenblicks, die gehinderte Befriedigung eines Wunsches meines arglosen Herzens öffnete mir die Augen. Wenn ich die Verfasser der positiven Wirklichkeit einst beklagte, daß sie das von der Phantasie der Völker ihnen dargebotene Ruder, einen zarten Lilienstengel, nicht ergriffen, so dank’ ich ihnen jetzt dafür, seitdem ich jede Mondscheinbeleuchtung in Sachen der Vernunft und Erfahrung verabscheue. Ich hatte mich einmal auf die Teufelscanzel des Brockens gesetzt, und ließ die Weltgeschichte in ihren erhabensten Repräsentanten an mir vorübergehen. Ich erstaunte über jene Ordnung, jene unverkennbare Weisheit, mit der selbst das kleinste Beiwerk angelegt schien. Von den Hochgebirgen Asiens bis zu den Höhen Scandinaviens lag das weite Feld wie in systematischer Symmetrie. Einer sprach zu dem Andern, und die im Leben mit tödtlichem Hasse gegen sich gewüthet, reichten sich freundlich die Hand. Da lag Cato in Cäsars Armen, Gregor weinte an Heinrichs Brust, Ro-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/222
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/222>, abgerufen am 22.11.2024.