Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Wären meine Ideen nicht immer fix, sie müßten mir jetzt vor Erstaunen im Kopfe still stehen. Du bist so die beste Acquisition für einen deutschen Zeitungsschreiber. Wie der Koloß von Rhodus stehst Du in partieller Allgegenwart mit dem einen Fuße in London, mit dem andern in Paris. Da Dir dabei die Hände an den alten Oertern Deines Körpers werden sitzen geblieben sein, so müßtest Du zu gleicher Zeit aus beiden Städten correspondiren können. Aber ich mag bei der Bewunderung dieses unerhörten Phänomens nicht stehen bleiben, sondern wie jede kometenartige Erscheinung am Nachthimmel der Gedankenwelt einen langen Schweif von Folgen und Ergebnissen nach sich trägt, so mach' ich daraus eine Nutzanwendung.

Ich trage mich mit dem Vorhaben, die ganze Weltgeschichte von Adam und Eva bis auf mich und Dich in einer neuen Weise zu bearbeiten. Man erzählt mir zu viel in der Geschichte, man schildert nicht. Man verwechselt das Bequeme in der Methode mit dem Passenden. Ich sage, die Gleichzeitigkeit, das Nebeneinander muß das Hauptziel der Darstellung bleiben. Die Geschichte ist kein Drama, sondern ein Epos. Der Historiker muß seine Personen zu lebenden Bildern ordnen. Darum stehst Du mit dem einen Beine in Lon-

Wären meine Ideen nicht immer fix, sie müßten mir jetzt vor Erstaunen im Kopfe still stehen. Du bist so die beste Acquisition für einen deutschen Zeitungsschreiber. Wie der Koloß von Rhodus stehst Du in partieller Allgegenwart mit dem einen Fuße in London, mit dem andern in Paris. Da Dir dabei die Hände an den alten Oertern Deines Körpers werden sitzen geblieben sein, so müßtest Du zu gleicher Zeit aus beiden Städten correspondiren können. Aber ich mag bei der Bewunderung dieses unerhörten Phänomens nicht stehen bleiben, sondern wie jede kometenartige Erscheinung am Nachthimmel der Gedankenwelt einen langen Schweif von Folgen und Ergebnissen nach sich trägt, so mach’ ich daraus eine Nutzanwendung.

Ich trage mich mit dem Vorhaben, die ganze Weltgeschichte von Adam und Eva bis auf mich und Dich in einer neuen Weise zu bearbeiten. Man erzählt mir zu viel in der Geschichte, man schildert nicht. Man verwechselt das Bequeme in der Methode mit dem Passenden. Ich sage, die Gleichzeitigkeit, das Nebeneinander muß das Hauptziel der Darstellung bleiben. Die Geschichte ist kein Drama, sondern ein Epos. Der Historiker muß seine Personen zu lebenden Bildern ordnen. Darum stehst Du mit dem einen Beine in Lon-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0195" n="182"/>
Wären meine Ideen nicht immer fix, sie müßten mir jetzt vor Erstaunen im Kopfe still stehen. Du bist so die beste Acquisition für einen deutschen Zeitungsschreiber. <ref xml:id="TEXTWiederKolossBIScorrespondirenkoennen"/>Wie der Koloß von Rhodus stehst Du in partieller Allgegenwart mit dem einen Fuße in London, mit dem andern in Paris. Da Dir dabei die Hände an den alten Oertern Deines Körpers werden sitzen geblieben sein, so müßtest Du zu gleicher Zeit aus beiden Städten correspondiren können. Aber ich mag bei der Bewunderung dieses unerhörten Phänomens nicht stehen bleiben, sondern wie jede kometenartige Erscheinung am Nachthimmel der Gedankenwelt einen langen Schweif von Folgen und Ergebnissen nach sich trägt, so mach&#x2019; ich daraus eine Nutzanwendung.</p>
        <p>Ich trage mich mit dem Vorhaben, die ganze Weltgeschichte von Adam und Eva bis auf mich und Dich in einer neuen Weise zu bearbeiten. Man erzählt mir zu viel in der Geschichte, man schildert nicht. Man verwechselt das Bequeme in der Methode mit dem Passenden. Ich sage, die Gleichzeitigkeit, das Nebeneinander muß das Hauptziel der Darstellung bleiben. Die Geschichte ist kein Drama, sondern ein Epos. Der Historiker muß seine Personen zu lebenden Bildern ordnen. Darum stehst Du mit dem einen Beine in Lon-
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0195] Wären meine Ideen nicht immer fix, sie müßten mir jetzt vor Erstaunen im Kopfe still stehen. Du bist so die beste Acquisition für einen deutschen Zeitungsschreiber. Wie der Koloß von Rhodus stehst Du in partieller Allgegenwart mit dem einen Fuße in London, mit dem andern in Paris. Da Dir dabei die Hände an den alten Oertern Deines Körpers werden sitzen geblieben sein, so müßtest Du zu gleicher Zeit aus beiden Städten correspondiren können. Aber ich mag bei der Bewunderung dieses unerhörten Phänomens nicht stehen bleiben, sondern wie jede kometenartige Erscheinung am Nachthimmel der Gedankenwelt einen langen Schweif von Folgen und Ergebnissen nach sich trägt, so mach’ ich daraus eine Nutzanwendung. Ich trage mich mit dem Vorhaben, die ganze Weltgeschichte von Adam und Eva bis auf mich und Dich in einer neuen Weise zu bearbeiten. Man erzählt mir zu viel in der Geschichte, man schildert nicht. Man verwechselt das Bequeme in der Methode mit dem Passenden. Ich sage, die Gleichzeitigkeit, das Nebeneinander muß das Hauptziel der Darstellung bleiben. Die Geschichte ist kein Drama, sondern ein Epos. Der Historiker muß seine Personen zu lebenden Bildern ordnen. Darum stehst Du mit dem einen Beine in Lon-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/195
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/195>, abgerufen am 23.11.2024.