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[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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der Verstand der Verständigen? ob ein Mädchen, das sich eine Rose bricht, die Lieder, die in der göttlichen Blumensprache gedichtet sind, besser vernähme, als der Sänger eines westöstlichen Divans?

Die Stellung mancher Fragen deutet schon oft auf die kommende Antwort. Laß Dich aber dadurch nicht bestimmen, mein Urtheil schon für entschieden zu halten.

Den Begriff des Menschen hat man ausgekleidet bis auf die nackte, natürliche Unschuld. Die Menschen selbst bleiben dabei so verhüllt, wie sie es bisher waren. Wenn ich Gelüst in mir fühlte, auch meinerseits der Menschheit den Rock aufzuheben, so würd' ich mich über mich selbst ärgern. In der That, schon aus Grundsätzen der Kunst, geht mir Nichts über den Reiz des Verhüllten, wenn sich zumal nasse Gazegewänder so recht schimmernd an die rosenfarbenen Glieder anschmiegen. In das Reich der Gedanken haben die Empfindungen unserer Dichter und besonders der dichtenden Philosophen eine solche aufgestreifte prüde Unschuld eingeführt, daß mir seitdem die ganze Welt nervenschwach und somnambül vorkommt. Ist es nicht lächerlich, zu modischen Cravatten, Frack und Manschetten vorn einen mächtigen Blumenstrauß zu stecken? Welche Inconsequenz, Niemand glaubt an den Teufel, und Alles ist Allen

der Verstand der Verständigen? ob ein Mädchen, das sich eine Rose bricht, die Lieder, die in der göttlichen Blumensprache gedichtet sind, besser vernähme, als der Sänger eines westöstlichen Divans?

Die Stellung mancher Fragen deutet schon oft auf die kommende Antwort. Laß Dich aber dadurch nicht bestimmen, mein Urtheil schon für entschieden zu halten.

Den Begriff des Menschen hat man ausgekleidet bis auf die nackte, natürliche Unschuld. Die Menschen selbst bleiben dabei so verhüllt, wie sie es bisher waren. Wenn ich Gelüst in mir fühlte, auch meinerseits der Menschheit den Rock aufzuheben, so würd’ ich mich über mich selbst ärgern. In der That, schon aus Grundsätzen der Kunst, geht mir Nichts über den Reiz des Verhüllten, wenn sich zumal nasse Gazegewänder so recht schimmernd an die rosenfarbenen Glieder anschmiegen. In das Reich der Gedanken haben die Empfindungen unserer Dichter und besonders der dichtenden Philosophen eine solche aufgestreifte prüde Unschuld eingeführt, daß mir seitdem die ganze Welt nervenschwach und somnambül vorkommt. Ist es nicht lächerlich, zu modischen Cravatten, Frack und Manschetten vorn einen mächtigen Blumenstrauß zu stecken? Welche Inconsequenz, Niemand glaubt an den Teufel, und Alles ist Allen

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[153/0166] der Verstand der Verständigen? ob ein Mädchen, das sich eine Rose bricht, die Lieder, die in der göttlichen Blumensprache gedichtet sind, besser vernähme, als der Sänger eines westöstlichen Divans? Die Stellung mancher Fragen deutet schon oft auf die kommende Antwort. Laß Dich aber dadurch nicht bestimmen, mein Urtheil schon für entschieden zu halten. Den Begriff des Menschen hat man ausgekleidet bis auf die nackte, natürliche Unschuld. Die Menschen selbst bleiben dabei so verhüllt, wie sie es bisher waren. Wenn ich Gelüst in mir fühlte, auch meinerseits der Menschheit den Rock aufzuheben, so würd’ ich mich über mich selbst ärgern. In der That, schon aus Grundsätzen der Kunst, geht mir Nichts über den Reiz des Verhüllten, wenn sich zumal nasse Gazegewänder so recht schimmernd an die rosenfarbenen Glieder anschmiegen. In das Reich der Gedanken haben die Empfindungen unserer Dichter und besonders der dichtenden Philosophen eine solche aufgestreifte prüde Unschuld eingeführt, daß mir seitdem die ganze Welt nervenschwach und somnambül vorkommt. Ist es nicht lächerlich, zu modischen Cravatten, Frack und Manschetten vorn einen mächtigen Blumenstrauß zu stecken? Welche Inconsequenz, Niemand glaubt an den Teufel, und Alles ist Allen

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Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/166>, abgerufen am 19.05.2024.