[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.einem seiner Person freilich ausgeschiedenen, seiner Idee aber integrirenden Bestandtheile anerkennt. Nun aber die Erinnerung. In jener Zeit, als die Liebe noch wie mit süßem Kindeslallen an der Wiege unserer Jugend stand, bracht' ich Dir wohl öfter dichtbeschriebene Blätter, scheinbar in ungebundener Rede, die ich Dir zum Binden in gereimte Sträuße aufgab. Wie freuten wir uns, wenn Du bis auf Reim und Maßbewegung das in Prosa aufgelöste Original wiederherstelltest! Auf der lateinischen Schule hatt' ich diese Kunst von einem Lehrer gelernt, der einem Schüler Apollo's freilich wenig ähnlich sah. Solche Turbatverse sind alle Dinge unserer irdischen Anschauung. Gott sitzt auf seinem Throne, und spielt auf der Harfe, deren Saiten Himmelssphären sind, die Harmonie der Welt. Jede Blume, der Krystall, ein leuchtender Edelstein sind die zerworfenen Glieder eines großen Gedichts. An sich nur einzelne Worte, ohne Zusammenhang, auch ohne Sinn und tonlos; wem es aber gelingt, ihre erste Fügung, wie sie der Dichter oben einst geordnet hat, wiederzufinden, an dessen Ohr mag es wohl wie himmlische Sphären klingen. Du wirst mich fragen, ob der Dichter den Dichter, oder der Philosoph ihn besser verstünde? ob ein kindlich Gemüth in Einfalt mehr sähe, als einem seiner Person freilich ausgeschiedenen, seiner Idee aber integrirenden Bestandtheile anerkennt. Nun aber die Erinnerung. In jener Zeit, als die Liebe noch wie mit süßem Kindeslallen an der Wiege unserer Jugend stand, bracht’ ich Dir wohl öfter dichtbeschriebene Blätter, scheinbar in ungebundener Rede, die ich Dir zum Binden in gereimte Sträuße aufgab. Wie freuten wir uns, wenn Du bis auf Reim und Maßbewegung das in Prosa aufgelöste Original wiederherstelltest! Auf der lateinischen Schule hatt’ ich diese Kunst von einem Lehrer gelernt, der einem Schüler Apollo’s freilich wenig ähnlich sah. Solche Turbatverse sind alle Dinge unserer irdischen Anschauung. Gott sitzt auf seinem Throne, und spielt auf der Harfe, deren Saiten Himmelssphären sind, die Harmonie der Welt. Jede Blume, der Krystall, ein leuchtender Edelstein sind die zerworfenen Glieder eines großen Gedichts. An sich nur einzelne Worte, ohne Zusammenhang, auch ohne Sinn und tonlos; wem es aber gelingt, ihre erste Fügung, wie sie der Dichter oben einst geordnet hat, wiederzufinden, an dessen Ohr mag es wohl wie himmlische Sphären klingen. Du wirst mich fragen, ob der Dichter den Dichter, oder der Philosoph ihn besser verstünde? ob ein kindlich Gemüth in Einfalt mehr sähe, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0165" n="152"/> einem seiner Person freilich ausgeschiedenen, seiner Idee aber integrirenden Bestandtheile anerkennt.</p> <p>Nun aber die Erinnerung. In jener Zeit, als die Liebe noch wie mit süßem Kindeslallen an der Wiege unserer Jugend stand, bracht’ ich Dir wohl öfter dichtbeschriebene Blätter, scheinbar in ungebundener Rede, die ich Dir zum Binden in gereimte Sträuße aufgab. Wie freuten wir uns, wenn Du bis auf Reim und Maßbewegung das in Prosa aufgelöste Original wiederherstelltest! Auf der lateinischen Schule hatt’ ich diese Kunst von einem Lehrer gelernt, der einem Schüler Apollo’s freilich wenig ähnlich sah.</p> <p>Solche Turbatverse sind alle Dinge unserer irdischen Anschauung. Gott sitzt auf seinem Throne, und spielt auf der Harfe, deren Saiten Himmelssphären sind, die Harmonie der Welt. Jede Blume, der Krystall, ein leuchtender Edelstein sind die zerworfenen Glieder eines großen Gedichts. An sich nur einzelne Worte, ohne Zusammenhang, auch ohne Sinn und tonlos; wem es aber gelingt, ihre erste Fügung, wie sie der Dichter oben einst geordnet hat, wiederzufinden, an dessen Ohr mag es wohl wie himmlische Sphären klingen.</p> <p>Du wirst mich fragen, ob der Dichter den Dichter, oder der Philosoph ihn besser verstünde? ob ein kindlich Gemüth in Einfalt mehr sähe, als </p> </div> </body> </text> </TEI> [152/0165]
einem seiner Person freilich ausgeschiedenen, seiner Idee aber integrirenden Bestandtheile anerkennt.
Nun aber die Erinnerung. In jener Zeit, als die Liebe noch wie mit süßem Kindeslallen an der Wiege unserer Jugend stand, bracht’ ich Dir wohl öfter dichtbeschriebene Blätter, scheinbar in ungebundener Rede, die ich Dir zum Binden in gereimte Sträuße aufgab. Wie freuten wir uns, wenn Du bis auf Reim und Maßbewegung das in Prosa aufgelöste Original wiederherstelltest! Auf der lateinischen Schule hatt’ ich diese Kunst von einem Lehrer gelernt, der einem Schüler Apollo’s freilich wenig ähnlich sah.
Solche Turbatverse sind alle Dinge unserer irdischen Anschauung. Gott sitzt auf seinem Throne, und spielt auf der Harfe, deren Saiten Himmelssphären sind, die Harmonie der Welt. Jede Blume, der Krystall, ein leuchtender Edelstein sind die zerworfenen Glieder eines großen Gedichts. An sich nur einzelne Worte, ohne Zusammenhang, auch ohne Sinn und tonlos; wem es aber gelingt, ihre erste Fügung, wie sie der Dichter oben einst geordnet hat, wiederzufinden, an dessen Ohr mag es wohl wie himmlische Sphären klingen.
Du wirst mich fragen, ob der Dichter den Dichter, oder der Philosoph ihn besser verstünde? ob ein kindlich Gemüth in Einfalt mehr sähe, als
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