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[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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Weihrauchdüfte galten. Die Größe des Jahrhunderts wollte sehen, wie sie sich wohl im Tode ausnähme, und hielt darum ihre Pseudoexsequien.

Es war Nacht geworden. Die Sterne blieben hinter dem Himmel, der heut' auch zur vorläufigen Probe seinen Trauerflor angelegt hatte, verborgen. Ich ließ Dich an den Stufen des Hochaltars neben dem offnen, leeren Sarge, ging auf den Kirchhof hinaus, und suchte in den Beinhäusern Surrogate zur Ironie der Weltgeschichte. Wie ein von wilden Afrikanern aufgepflanztes Schädelhaus kehrt' ich zurück, warf mein anatomisches Museum neben Dich hin, daß die klappernden Gebeine Dich aus den Träumen über Jahrhundertshelden aufweckten. Mit fließendem Silber füllt' ich die hohlen Schädel. Wie schön, wie ausstudirt verstanden sie den provisorischen Leichenzug nachzuäffen?

Jetzt glaubt' ich meinen Zweck erreicht. Statt Stolz hattest Du Reue, für Großes Gräßliches gefunden. Du sahest, daß die glänzendsten Thaten dem, der sie vollbracht, nur ein drückendes Joch waren, daß selbst die höchstgestellten Geister das Bedürfniß fühlten, gegen die Masse sich zu vernichten, und in dieser Trost und Ruhe zu suchen. Ich war schon nahe daran zu erklären, daß unsere Reise nur eine Satyre, und ihre Beschreibung

Weihrauchdüfte galten. Die Größe des Jahrhunderts wollte sehen, wie sie sich wohl im Tode ausnähme, und hielt darum ihre Pseudoexsequien.

Es war Nacht geworden. Die Sterne blieben hinter dem Himmel, der heut’ auch zur vorläufigen Probe seinen Trauerflor angelegt hatte, verborgen. Ich ließ Dich an den Stufen des Hochaltars neben dem offnen, leeren Sarge, ging auf den Kirchhof hinaus, und suchte in den Beinhäusern Surrogate zur Ironie der Weltgeschichte. Wie ein von wilden Afrikanern aufgepflanztes Schädelhaus kehrt’ ich zurück, warf mein anatomisches Museum neben Dich hin, daß die klappernden Gebeine Dich aus den Träumen über Jahrhundertshelden aufweckten. Mit fließendem Silber füllt’ ich die hohlen Schädel. Wie schön, wie ausstudirt verstanden sie den provisorischen Leichenzug nachzuäffen?

Jetzt glaubt’ ich meinen Zweck erreicht. Statt Stolz hattest Du Reue, für Großes Gräßliches gefunden. Du sahest, daß die glänzendsten Thaten dem, der sie vollbracht, nur ein drückendes Joch waren, daß selbst die höchstgestellten Geister das Bedürfniß fühlten, gegen die Masse sich zu vernichten, und in dieser Trost und Ruhe zu suchen. Ich war schon nahe daran zu erklären, daß unsere Reise nur eine Satyre, und ihre Beschreibung

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[143/0156] Weihrauchdüfte galten. Die Größe des Jahrhunderts wollte sehen, wie sie sich wohl im Tode ausnähme, und hielt darum ihre Pseudoexsequien. Es war Nacht geworden. Die Sterne blieben hinter dem Himmel, der heut’ auch zur vorläufigen Probe seinen Trauerflor angelegt hatte, verborgen. Ich ließ Dich an den Stufen des Hochaltars neben dem offnen, leeren Sarge, ging auf den Kirchhof hinaus, und suchte in den Beinhäusern Surrogate zur Ironie der Weltgeschichte. Wie ein von wilden Afrikanern aufgepflanztes Schädelhaus kehrt’ ich zurück, warf mein anatomisches Museum neben Dich hin, daß die klappernden Gebeine Dich aus den Träumen über Jahrhundertshelden aufweckten. Mit fließendem Silber füllt’ ich die hohlen Schädel. Wie schön, wie ausstudirt verstanden sie den provisorischen Leichenzug nachzuäffen? Jetzt glaubt’ ich meinen Zweck erreicht. Statt Stolz hattest Du Reue, für Großes Gräßliches gefunden. Du sahest, daß die glänzendsten Thaten dem, der sie vollbracht, nur ein drückendes Joch waren, daß selbst die höchstgestellten Geister das Bedürfniß fühlten, gegen die Masse sich zu vernichten, und in dieser Trost und Ruhe zu suchen. Ich war schon nahe daran zu erklären, daß unsere Reise nur eine Satyre, und ihre Beschreibung

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/156>, abgerufen am 17.05.2024.