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[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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Stamme gefallen. Du sahst mich auch gar nicht. Deine irren Blicke schweiften in der Ferne, und kaum magst Du die Worte vernommen haben, die ich im liebevollsten Tone zu Dir sprach.

"Unvergeßliche," sprach ich, "merken Sie denn nicht, es ist heute Sonntag. Die Liebe tönt so durch die Weite. Sehen Sie, Fräulein, das sind die Blumen, die ihre Häupter schütteln, Schneeglocken, Tulpen, Hyacinthen. Ist nicht in jedem Augenblicke auf der weiten Erde ein Simultangottesdienst? Ich frage Sie, bedarf es der ehernen Zungen, die hoch von verwitterten Holzthürmen, der Wohnung des Habichts und dem Sitze des Geiers reden? Ach, Verehrteste, wenn hier ein Aug' in Thränen schwimmt, dort ein glücklicher Blick in das blaue Meer des Himmels taucht, wenn ein verirrter Wanderer wieder die geliebte Scholle der Heimath küßt, wenn durch Rosenhecken die Nachtigall ruft und das leise Geflüster zweier Liebenden lispelt, ja, meine Theure, wenn die Treue am Grabe ihrer Hoffnung Blumen pflanzt, das ist ein Gottesdienst, da die Erde die Kirche und Engel die Priester sind. Wissen Sie nun, warum es läutet und wie Stimmen der Seligen schallt?"

"Ach, Herr Hofrath," -- sagtest Du damals zu mir -- "wie gut Sie die Rolle eines Mädchens

Stamme gefallen. Du sahst mich auch gar nicht. Deine irren Blicke schweiften in der Ferne, und kaum magst Du die Worte vernommen haben, die ich im liebevollsten Tone zu Dir sprach.

»Unvergeßliche,« sprach ich, »merken Sie denn nicht, es ist heute Sonntag. Die Liebe tönt so durch die Weite. Sehen Sie, Fräulein, das sind die Blumen, die ihre Häupter schütteln, Schneeglocken, Tulpen, Hyacinthen. Ist nicht in jedem Augenblicke auf der weiten Erde ein Simultangottesdienst? Ich frage Sie, bedarf es der ehernen Zungen, die hoch von verwitterten Holzthürmen, der Wohnung des Habichts und dem Sitze des Geiers reden? Ach, Verehrteste, wenn hier ein Aug’ in Thränen schwimmt, dort ein glücklicher Blick in das blaue Meer des Himmels taucht, wenn ein verirrter Wanderer wieder die geliebte Scholle der Heimath küßt, wenn durch Rosenhecken die Nachtigall ruft und das leise Geflüster zweier Liebenden lispelt, ja, meine Theure, wenn die Treue am Grabe ihrer Hoffnung Blumen pflanzt, das ist ein Gottesdienst, da die Erde die Kirche und Engel die Priester sind. Wissen Sie nun, warum es läutet und wie Stimmen der Seligen schallt?«

»Ach, Herr Hofrath,« — sagtest Du damals zu mir — "wie gut Sie die Rolle eines Mädchens

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[141/0154] Stamme gefallen. Du sahst mich auch gar nicht. Deine irren Blicke schweiften in der Ferne, und kaum magst Du die Worte vernommen haben, die ich im liebevollsten Tone zu Dir sprach. »Unvergeßliche,« sprach ich, »merken Sie denn nicht, es ist heute Sonntag. Die Liebe tönt so durch die Weite. Sehen Sie, Fräulein, das sind die Blumen, die ihre Häupter schütteln, Schneeglocken, Tulpen, Hyacinthen. Ist nicht in jedem Augenblicke auf der weiten Erde ein Simultangottesdienst? Ich frage Sie, bedarf es der ehernen Zungen, die hoch von verwitterten Holzthürmen, der Wohnung des Habichts und dem Sitze des Geiers reden? Ach, Verehrteste, wenn hier ein Aug’ in Thränen schwimmt, dort ein glücklicher Blick in das blaue Meer des Himmels taucht, wenn ein verirrter Wanderer wieder die geliebte Scholle der Heimath küßt, wenn durch Rosenhecken die Nachtigall ruft und das leise Geflüster zweier Liebenden lispelt, ja, meine Theure, wenn die Treue am Grabe ihrer Hoffnung Blumen pflanzt, das ist ein Gottesdienst, da die Erde die Kirche und Engel die Priester sind. Wissen Sie nun, warum es läutet und wie Stimmen der Seligen schallt?« »Ach, Herr Hofrath,« — sagtest Du damals zu mir — "wie gut Sie die Rolle eines Mädchens

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Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/154>, abgerufen am 17.05.2024.