ein glückliches Naturell sich gründeten, oder die doch immer eingestehen mußten, daß für sie der klassische Ausdruck des Bischofs von Meaux unerreichbar blieb.
Aber Ancillon horchte mit Theilnahme in die phi¬ losophische Revolution, welche mit Kant über Deutsch¬ land kam, und entschied sich für die Gironde derselben, für die Philosophie Jakobis.
Das Prinzip der Unmittelbarkeit mußte einem Geiste zusagen, der sich von dem kalten Deismus sei¬ ner Zeit mit Unbehagen abwandte, und von Dogmen, welche er auf sich beruhen ließ, wenigstens an die le¬ bendige Kraft des Christenthums und die Wahrheit, welche sie für das Gemüth haben, appellirte.
Jene wunderliche Zeit, wo die Leute ihre Köpfe so anstrengten, daß Mendelssohn gestand, er müßte nach seinen Forschungen die Ziegelsteine auf den Dä¬ chern zählen, um sich nur wieder zu sammeln; ging mit allen ihren Erscheinungen an Ancillon nicht ohne Revolution vorüber; doch war er Feind des Formalis¬ mus, und scheute sich vor den Systemen, die sich blutige Schlachten lieferten und in einen unerträglichen philosophischen Terrorismus ausarteten.
Ancillon.
ein gluͤckliches Naturell ſich gruͤndeten, oder die doch immer eingeſtehen mußten, daß fuͤr ſie der klaſſiſche Ausdruck des Biſchofs von Meaux unerreichbar blieb.
Aber Ancillon horchte mit Theilnahme in die phi¬ loſophiſche Revolution, welche mit Kant uͤber Deutſch¬ land kam, und entſchied ſich fuͤr die Gironde derſelben, fuͤr die Philoſophie Jakobis.
Das Prinzip der Unmittelbarkeit mußte einem Geiſte zuſagen, der ſich von dem kalten Deismus ſei¬ ner Zeit mit Unbehagen abwandte, und von Dogmen, welche er auf ſich beruhen ließ, wenigſtens an die le¬ bendige Kraft des Chriſtenthums und die Wahrheit, welche ſie fuͤr das Gemuͤth haben, appellirte.
Jene wunderliche Zeit, wo die Leute ihre Koͤpfe ſo anſtrengten, daß Mendelsſohn geſtand, er muͤßte nach ſeinen Forſchungen die Ziegelſteine auf den Daͤ¬ chern zaͤhlen, um ſich nur wieder zu ſammeln; ging mit allen ihren Erſcheinungen an Ancillon nicht ohne Revolution voruͤber; doch war er Feind des Formalis¬ mus, und ſcheute ſich vor den Syſtemen, die ſich blutige Schlachten lieferten und in einen unertraͤglichen philoſophiſchen Terrorismus ausarteten.
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Ancillon.
ein gluͤckliches Naturell ſich gruͤndeten, oder die doch
immer eingeſtehen mußten, daß fuͤr ſie der klaſſiſche
Ausdruck des Biſchofs von Meaux unerreichbar
blieb.
Aber Ancillon horchte mit Theilnahme in die phi¬
loſophiſche Revolution, welche mit Kant uͤber Deutſch¬
land kam, und entſchied ſich fuͤr die Gironde derſelben,
fuͤr die Philoſophie Jakobis.
Das Prinzip der Unmittelbarkeit mußte einem
Geiſte zuſagen, der ſich von dem kalten Deismus ſei¬
ner Zeit mit Unbehagen abwandte, und von Dogmen,
welche er auf ſich beruhen ließ, wenigſtens an die le¬
bendige Kraft des Chriſtenthums und die Wahrheit,
welche ſie fuͤr das Gemuͤth haben, appellirte.
Jene wunderliche Zeit, wo die Leute ihre Koͤpfe
ſo anſtrengten, daß Mendelsſohn geſtand, er muͤßte
nach ſeinen Forſchungen die Ziegelſteine auf den Daͤ¬
chern zaͤhlen, um ſich nur wieder zu ſammeln; ging
mit allen ihren Erſcheinungen an Ancillon nicht ohne
Revolution voruͤber; doch war er Feind des Formalis¬
mus, und ſcheute ſich vor den Syſtemen, die ſich
blutige Schlachten lieferten und in einen unertraͤglichen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/272>, abgerufen am 24.07.2024.
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