ergrauten Staatsdiener fast alle gemacht haben. Die¬ ser Gang ist friedlich, ohne Stürme, man hat Zeit, sich einen Privatcharakter für den Umgang nach be¬ liebigem Gefallen zu bilden, und darf darauf rechnen, für sein geduldiges Fortziehen der Staatsmaschine eine Menge geräuschloser, kleiner Freuden zu genießen, seine Söhne heranwachsen zu sehen, seine Töchter an solide Eidame zu verheirathen, seine Witwe zu versorgen, und sonst die Zukunft und alle ihre Wechselfälle mit ruhiger Gewißheit abzuwarten.
Nimmt diese politische Idylle einmal einen Auf¬ schwung, so hat man eine Commission in kürzerer Zeit beendet, als die Diäten gezahlt worden wären; man entdeckt ein Complott oder einen finanziellen Rech¬ nungsfehler, mit welchem über das ganze System der vaterländischen Büreaukratie auf einen Monat hätte Verwirrung kommen können; man hat gesunde Staats¬ schuldentilgungseinfälle, geistreiche Reduktionspläne; man hat feine Manieren, diplomatisches Talent, man erhält eine zarte Mission an einen benachbarten Hof, um für hohe unverheirathete Personen eine Lebensgefährtin zu werben; kurz dis sind die Epochen und Einschnitte in das Leben eines deutschen Staatsmannes im Frieden.
Es kann sich lange von einem solchen Ereignisse
Ancillon.
ergrauten Staatsdiener faſt alle gemacht haben. Die¬ ſer Gang iſt friedlich, ohne Stuͤrme, man hat Zeit, ſich einen Privatcharakter fuͤr den Umgang nach be¬ liebigem Gefallen zu bilden, und darf darauf rechnen, fuͤr ſein geduldiges Fortziehen der Staatsmaſchine eine Menge geraͤuſchloſer, kleiner Freuden zu genießen, ſeine Soͤhne heranwachſen zu ſehen, ſeine Toͤchter an ſolide Eidame zu verheirathen, ſeine Witwe zu verſorgen, und ſonſt die Zukunft und alle ihre Wechſelfaͤlle mit ruhiger Gewißheit abzuwarten.
Nimmt dieſe politiſche Idylle einmal einen Auf¬ ſchwung, ſo hat man eine Commiſſion in kuͤrzerer Zeit beendet, als die Diaͤten gezahlt worden waͤren; man entdeckt ein Complott oder einen finanziellen Rech¬ nungsfehler, mit welchem uͤber das ganze Syſtem der vaterlaͤndiſchen Buͤreaukratie auf einen Monat haͤtte Verwirrung kommen koͤnnen; man hat geſunde Staats¬ ſchuldentilgungseinfaͤlle, geiſtreiche Reduktionsplaͤne; man hat feine Manieren, diplomatiſches Talent, man erhaͤlt eine zarte Miſſion an einen benachbarten Hof, um fuͤr hohe unverheirathete Perſonen eine Lebensgefaͤhrtin zu werben; kurz dis ſind die Epochen und Einſchnitte in das Leben eines deutſchen Staatsmannes im Frieden.
Es kann ſich lange von einem ſolchen Ereigniſſe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0260"n="242"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Ancillon</hi>.<lb/></fw>ergrauten Staatsdiener faſt alle gemacht haben. Die¬<lb/>ſer Gang iſt friedlich, ohne Stuͤrme, man hat Zeit,<lb/>ſich einen Privatcharakter fuͤr den Umgang nach be¬<lb/>
liebigem Gefallen zu bilden, und darf darauf rechnen,<lb/>
fuͤr ſein geduldiges Fortziehen der Staatsmaſchine eine<lb/>
Menge geraͤuſchloſer, kleiner Freuden zu genießen, ſeine<lb/>
Soͤhne heranwachſen zu ſehen, ſeine Toͤchter an ſolide<lb/>
Eidame zu verheirathen, ſeine Witwe zu verſorgen,<lb/>
und ſonſt die Zukunft und alle ihre Wechſelfaͤlle mit<lb/>
ruhiger Gewißheit abzuwarten.</p><lb/><p>Nimmt dieſe politiſche Idylle einmal einen Auf¬<lb/>ſchwung, ſo hat man eine Commiſſion in kuͤrzerer<lb/>
Zeit beendet, als die Diaͤten gezahlt worden waͤren;<lb/>
man entdeckt ein Complott oder einen finanziellen Rech¬<lb/>
nungsfehler, mit welchem uͤber das ganze Syſtem der<lb/>
vaterlaͤndiſchen Buͤreaukratie auf einen Monat haͤtte<lb/>
Verwirrung kommen koͤnnen; man hat geſunde Staats¬<lb/>ſchuldentilgungseinfaͤlle, geiſtreiche Reduktionsplaͤne; man<lb/>
hat feine Manieren, diplomatiſches Talent, man erhaͤlt<lb/>
eine zarte Miſſion an einen benachbarten Hof, um fuͤr<lb/>
hohe unverheirathete Perſonen eine Lebensgefaͤhrtin zu<lb/>
werben; kurz dis ſind die Epochen und Einſchnitte in<lb/>
das Leben eines deutſchen Staatsmannes im Frieden.</p><lb/><p>Es kann ſich lange von einem ſolchen Ereigniſſe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[242/0260]
Ancillon.
ergrauten Staatsdiener faſt alle gemacht haben. Die¬
ſer Gang iſt friedlich, ohne Stuͤrme, man hat Zeit,
ſich einen Privatcharakter fuͤr den Umgang nach be¬
liebigem Gefallen zu bilden, und darf darauf rechnen,
fuͤr ſein geduldiges Fortziehen der Staatsmaſchine eine
Menge geraͤuſchloſer, kleiner Freuden zu genießen, ſeine
Soͤhne heranwachſen zu ſehen, ſeine Toͤchter an ſolide
Eidame zu verheirathen, ſeine Witwe zu verſorgen,
und ſonſt die Zukunft und alle ihre Wechſelfaͤlle mit
ruhiger Gewißheit abzuwarten.
Nimmt dieſe politiſche Idylle einmal einen Auf¬
ſchwung, ſo hat man eine Commiſſion in kuͤrzerer
Zeit beendet, als die Diaͤten gezahlt worden waͤren;
man entdeckt ein Complott oder einen finanziellen Rech¬
nungsfehler, mit welchem uͤber das ganze Syſtem der
vaterlaͤndiſchen Buͤreaukratie auf einen Monat haͤtte
Verwirrung kommen koͤnnen; man hat geſunde Staats¬
ſchuldentilgungseinfaͤlle, geiſtreiche Reduktionsplaͤne; man
hat feine Manieren, diplomatiſches Talent, man erhaͤlt
eine zarte Miſſion an einen benachbarten Hof, um fuͤr
hohe unverheirathete Perſonen eine Lebensgefaͤhrtin zu
werben; kurz dis ſind die Epochen und Einſchnitte in
das Leben eines deutſchen Staatsmannes im Frieden.
Es kann ſich lange von einem ſolchen Ereigniſſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/260>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.