Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Die Napoleoniden. Madrid, in Kassel eine Depesche von Paris ankam, sozitterte man; denn die Brüder wußten, daß sie schon wieder Etwas nicht recht gemacht hatten. Niemand hatte von Napoleons Mißlaunen mehr Die Napoleoniden. Madrid, in Kaſſel eine Depeſche von Paris ankam, ſozitterte man; denn die Bruͤder wußten, daß ſie ſchon wieder Etwas nicht recht gemacht hatten. Niemand hatte von Napoleons Mißlaunen mehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0143" n="125"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Napoleoniden</hi>.<lb/></fw>Madrid, in Kaſſel eine Depeſche von Paris ankam, ſo<lb/> zitterte man; denn die Bruͤder wußten, daß ſie ſchon<lb/> wieder Etwas nicht recht gemacht hatten.</p><lb/> <p>Niemand hatte von Napoleons Mißlaunen mehr<lb/> zu dulden, als Ludwig, der hinter ſeinen Deichen und<lb/> Poldern, mit einem fuͤrchterlichen Defizit der Kaſſe, mit<lb/> Feuersbruͤnſten, auffliegenden Pulverſchiſſen, Ueberſchwem¬<lb/> mungen und republikaniſchen Tendenzen bemitleidens¬<lb/> werth geplagt war. Er war etwas weitlaͤuftig in ſei¬<lb/> nen Bewegungen, nahm zu den kleinen Spruͤngen, die<lb/> er machen durfte, immer große Anlaͤufe, und liebte es<lb/> freilich, mehr zu ſprechen, als Napoleons deſpotiſcher<lb/> Lakonismus gut hieß. Auf Ludwig haͤufte ſich des<lb/> Kaiſers Unmuth; er moraliſirte ihm zu viel; Napo¬<lb/> leon fand es laͤcherlich, wenn ſich ſein Bruder, ſtatt<lb/> gefuͤrchtet, populair machen wollte, wenn er von Na¬<lb/> tionalitaͤt und republikaniſchen Erinnerungen und allge¬<lb/> meiner Menſchenliebe ſprach; er nannte mit einem ſei¬<lb/> ner klaſſiſchen Ausdruͤcke dieſe Dinge an ſeinem Bru¬<lb/> der „Humanitaͤtswahnſinn“ und ſchrieb ihm Einmal<lb/> uͤber das Andre, jetzt moͤcht' er nur machen, daß er<lb/> bald zu den Englaͤndern uͤberginge. Ludwig verließ<lb/> Holland, und hat ſich mit ſeinem Bruder nie wieder<lb/> ausgeſoͤhnt.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [125/0143]
Die Napoleoniden.
Madrid, in Kaſſel eine Depeſche von Paris ankam, ſo
zitterte man; denn die Bruͤder wußten, daß ſie ſchon
wieder Etwas nicht recht gemacht hatten.
Niemand hatte von Napoleons Mißlaunen mehr
zu dulden, als Ludwig, der hinter ſeinen Deichen und
Poldern, mit einem fuͤrchterlichen Defizit der Kaſſe, mit
Feuersbruͤnſten, auffliegenden Pulverſchiſſen, Ueberſchwem¬
mungen und republikaniſchen Tendenzen bemitleidens¬
werth geplagt war. Er war etwas weitlaͤuftig in ſei¬
nen Bewegungen, nahm zu den kleinen Spruͤngen, die
er machen durfte, immer große Anlaͤufe, und liebte es
freilich, mehr zu ſprechen, als Napoleons deſpotiſcher
Lakonismus gut hieß. Auf Ludwig haͤufte ſich des
Kaiſers Unmuth; er moraliſirte ihm zu viel; Napo¬
leon fand es laͤcherlich, wenn ſich ſein Bruder, ſtatt
gefuͤrchtet, populair machen wollte, wenn er von Na¬
tionalitaͤt und republikaniſchen Erinnerungen und allge¬
meiner Menſchenliebe ſprach; er nannte mit einem ſei¬
ner klaſſiſchen Ausdruͤcke dieſe Dinge an ſeinem Bru¬
der „Humanitaͤtswahnſinn“ und ſchrieb ihm Einmal
uͤber das Andre, jetzt moͤcht' er nur machen, daß er
bald zu den Englaͤndern uͤberginge. Ludwig verließ
Holland, und hat ſich mit ſeinem Bruder nie wieder
ausgeſoͤhnt.
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