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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Die Napoleoniden.
gesellte sich die Laune. Napoleons Brüder wurden die
Abzugskanäle seines Unmuths.

Sie waren es schon in Paris; ein widerwärtiges Er¬
eigniß kam immer auf die Rechnung seiner Familie, zu
der er dann hinaufstürmte, die Thüren schlug, mit dem
Degen drohte, so lange bis ihn erst seine Schwestern
besänftigten.

Napoleon hatte nicht Unrecht; denn schon damals,
als er noch General der Republik und Konsul war, ga¬
ben seine Brüder vielfachen Anlaß zum Unwillen; sie
übernahmen die Lieferungen bei der Armee, um sich zu
bereichern, und machten Geschäfte an der Börse, zu wel¬
chen sie die Politik Napoleons als versteckte Wetterfahne
und Telegraphen brauchten. Joseph und Lucian leiste¬
ten in diesen Spekulationen das Mögliche, denn sie wa¬
ren älter und italienischer als die Andern.

Die spätern Könige mußten Napoleons Zuchtruthe
noch derber fühlen. An jedem militairischen Nachtheil,
an einer entdeckten Verschwörung, an jedem Mißge¬
schick des Kaisers waren sie Schuld; sie wären, sagte er,
keine Franzosen, sie unterhandelten mit den Engländern,
mit dem Papste, sie hätten immer andre Dinge im
Kopf als er, und er schwöre ihnen zu Gott, sie sollten
sich in Acht nehmen. Wenn im Haag, in Neapel, in

Die Napoleoniden.
geſellte ſich die Laune. Napoleons Bruͤder wurden die
Abzugskanaͤle ſeines Unmuths.

Sie waren es ſchon in Paris; ein widerwaͤrtiges Er¬
eigniß kam immer auf die Rechnung ſeiner Familie, zu
der er dann hinaufſtuͤrmte, die Thuͤren ſchlug, mit dem
Degen drohte, ſo lange bis ihn erſt ſeine Schweſtern
beſaͤnftigten.

Napoleon hatte nicht Unrecht; denn ſchon damals,
als er noch General der Republik und Konſul war, ga¬
ben ſeine Bruͤder vielfachen Anlaß zum Unwillen; ſie
uͤbernahmen die Lieferungen bei der Armee, um ſich zu
bereichern, und machten Geſchaͤfte an der Boͤrſe, zu wel¬
chen ſie die Politik Napoleons als verſteckte Wetterfahne
und Telegraphen brauchten. Joſeph und Lucian leiſte¬
ten in dieſen Spekulationen das Moͤgliche, denn ſie wa¬
ren aͤlter und italieniſcher als die Andern.

Die ſpaͤtern Koͤnige mußten Napoleons Zuchtruthe
noch derber fuͤhlen. An jedem militairiſchen Nachtheil,
an einer entdeckten Verſchwoͤrung, an jedem Mißge¬
ſchick des Kaiſers waren ſie Schuld; ſie waͤren, ſagte er,
keine Franzoſen, ſie unterhandelten mit den Englaͤndern,
mit dem Papſte, ſie haͤtten immer andre Dinge im
Kopf als er, und er ſchwoͤre ihnen zu Gott, ſie ſollten
ſich in Acht nehmen. Wenn im Haag, in Neapel, in

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[124/0142] Die Napoleoniden. geſellte ſich die Laune. Napoleons Bruͤder wurden die Abzugskanaͤle ſeines Unmuths. Sie waren es ſchon in Paris; ein widerwaͤrtiges Er¬ eigniß kam immer auf die Rechnung ſeiner Familie, zu der er dann hinaufſtuͤrmte, die Thuͤren ſchlug, mit dem Degen drohte, ſo lange bis ihn erſt ſeine Schweſtern beſaͤnftigten. Napoleon hatte nicht Unrecht; denn ſchon damals, als er noch General der Republik und Konſul war, ga¬ ben ſeine Bruͤder vielfachen Anlaß zum Unwillen; ſie uͤbernahmen die Lieferungen bei der Armee, um ſich zu bereichern, und machten Geſchaͤfte an der Boͤrſe, zu wel¬ chen ſie die Politik Napoleons als verſteckte Wetterfahne und Telegraphen brauchten. Joſeph und Lucian leiſte¬ ten in dieſen Spekulationen das Moͤgliche, denn ſie wa¬ ren aͤlter und italieniſcher als die Andern. Die ſpaͤtern Koͤnige mußten Napoleons Zuchtruthe noch derber fuͤhlen. An jedem militairiſchen Nachtheil, an einer entdeckten Verſchwoͤrung, an jedem Mißge¬ ſchick des Kaiſers waren ſie Schuld; ſie waͤren, ſagte er, keine Franzoſen, ſie unterhandelten mit den Englaͤndern, mit dem Papſte, ſie haͤtten immer andre Dinge im Kopf als er, und er ſchwoͤre ihnen zu Gott, ſie ſollten ſich in Acht nehmen. Wenn im Haag, in Neapel, in

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/142>, abgerufen am 24.11.2024.