Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Ungeachtet der Lehrer alles aufbot, zwischen seinen drei Zöglingen jeden Unterschied der Bevorzugung aufzuheben, so gelang es ihm doch nicht, dem Knaben die Neigung zum Isoliren und Entferntstehen, die einmal in ihm vorherrschte, gänzlich zu nehmen. Ungern schloß er sich anderen Knaben an; selten, daß er Theil an ihren Spielen nahm. Er hatte keinen Sinn dafür; kaum, daß man ihn bewegen konnte, auf der Pfingstweide vor den Thoren Frankfurts so wie andre Knaben seinen Drachen steigen zu lassen. Er wurde des Spieles bald überdrüssig und begnügte sich, zuzusehen oder mit seinem Lehrer sich zu unterhalten. Seine Wißbegierde und Aufmerksamkeit war musterhaft. Eben so glücklich war er im Auffassen; doch gieng die geistige Selbstthätigkeit bei ihm etwas langsam von Statten; dafür haftete das einmal Erfaßte desto dauernder und diente wirklich dazu, seine Denkkraft zu stärken. Sein Lehrer konnte früh abnehmen, daß unter den drei Brüdern der mittlere den meisten Beruf zum einstigen Gelehrten haben würde.

Bei dieser Wahrnehmung mußt' es Jacob Sachs nur um so schmerzlicher sein, daß der Vater den Umfang seines Unterrichts nur auf den Bereich des jüdischen Wissens ausgedehnt hatte. Man denke sich einen

Ungeachtet der Lehrer alles aufbot, zwischen seinen drei Zöglingen jeden Unterschied der Bevorzugung aufzuheben, so gelang es ihm doch nicht, dem Knaben die Neigung zum Isoliren und Entferntstehen, die einmal in ihm vorherrschte, gänzlich zu nehmen. Ungern schloß er sich anderen Knaben an; selten, daß er Theil an ihren Spielen nahm. Er hatte keinen Sinn dafür; kaum, daß man ihn bewegen konnte, auf der Pfingstweide vor den Thoren Frankfurts so wie andre Knaben seinen Drachen steigen zu lassen. Er wurde des Spieles bald überdrüssig und begnügte sich, zuzusehen oder mit seinem Lehrer sich zu unterhalten. Seine Wißbegierde und Aufmerksamkeit war musterhaft. Eben so glücklich war er im Auffassen; doch gieng die geistige Selbstthätigkeit bei ihm etwas langsam von Statten; dafür haftete das einmal Erfaßte desto dauernder und diente wirklich dazu, seine Denkkraft zu stärken. Sein Lehrer konnte früh abnehmen, daß unter den drei Brüdern der mittlere den meisten Beruf zum einstigen Gelehrten haben würde.

Bei dieser Wahrnehmung mußt’ es Jacob Sachs nur um so schmerzlicher sein, daß der Vater den Umfang seines Unterrichts nur auf den Bereich des jüdischen Wissens ausgedehnt hatte. Man denke sich einen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0080" n="38"/>
        <p> Ungeachtet der Lehrer alles aufbot, zwischen seinen drei Zöglingen jeden Unterschied der Bevorzugung aufzuheben, so gelang es ihm doch nicht, dem Knaben die Neigung zum Isoliren und Entferntstehen, die einmal in ihm vorherrschte, gänzlich zu nehmen. Ungern schloß er sich anderen Knaben an; selten, daß er Theil an ihren Spielen nahm. Er hatte keinen Sinn dafür; kaum, daß man ihn bewegen konnte, auf der Pfingstweide vor den Thoren Frankfurts so wie andre Knaben seinen Drachen steigen zu lassen. Er wurde des Spieles bald überdrüssig und begnügte sich, zuzusehen oder mit seinem Lehrer sich zu unterhalten. Seine Wißbegierde und Aufmerksamkeit war musterhaft. Eben so glücklich war er im Auffassen; doch gieng die geistige Selbstthätigkeit bei ihm etwas langsam von Statten; dafür haftete das einmal Erfaßte desto dauernder und diente wirklich dazu, seine Denkkraft zu stärken. Sein Lehrer konnte früh abnehmen, daß unter den drei Brüdern der mittlere den meisten Beruf zum einstigen Gelehrten haben würde.</p>
        <p>Bei dieser Wahrnehmung mußt&#x2019; es Jacob Sachs nur um so schmerzlicher sein, daß der Vater den Umfang seines Unterrichts nur auf den Bereich des <hi rendition="#g">jüdischen</hi> Wissens ausgedehnt hatte. Man denke sich einen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0080] Ungeachtet der Lehrer alles aufbot, zwischen seinen drei Zöglingen jeden Unterschied der Bevorzugung aufzuheben, so gelang es ihm doch nicht, dem Knaben die Neigung zum Isoliren und Entferntstehen, die einmal in ihm vorherrschte, gänzlich zu nehmen. Ungern schloß er sich anderen Knaben an; selten, daß er Theil an ihren Spielen nahm. Er hatte keinen Sinn dafür; kaum, daß man ihn bewegen konnte, auf der Pfingstweide vor den Thoren Frankfurts so wie andre Knaben seinen Drachen steigen zu lassen. Er wurde des Spieles bald überdrüssig und begnügte sich, zuzusehen oder mit seinem Lehrer sich zu unterhalten. Seine Wißbegierde und Aufmerksamkeit war musterhaft. Eben so glücklich war er im Auffassen; doch gieng die geistige Selbstthätigkeit bei ihm etwas langsam von Statten; dafür haftete das einmal Erfaßte desto dauernder und diente wirklich dazu, seine Denkkraft zu stärken. Sein Lehrer konnte früh abnehmen, daß unter den drei Brüdern der mittlere den meisten Beruf zum einstigen Gelehrten haben würde. Bei dieser Wahrnehmung mußt’ es Jacob Sachs nur um so schmerzlicher sein, daß der Vater den Umfang seines Unterrichts nur auf den Bereich des jüdischen Wissens ausgedehnt hatte. Man denke sich einen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-03T11:49:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-03T11:49:31Z)
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-07-03T11:49:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/80
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/80>, abgerufen am 22.11.2024.