Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

aus freiem Antriebe so zurückgezogen hielt: er fand, daß er zwar dem Herzen der Mutter nicht fremd war, daß aber ein regierender Hausgeist es gern dahin gebracht hätte. In jüdischen Familien fand man vor etwa dreißig Jahren noch oft einen ältern weiblichen Dienstboten, der von einer Generation zur andern hinüber vererbt wird und eine Herrschaft im Hause führt, der sich oft die Brodherren selbst nicht zu widersetzen wagen. Diese alten Rebecken, Rachel, Rosinen, Täubchen u. s. w. haben schon die Eltern auf dem Schooß getragen, wie viel größer ist ihre Macht über die Kinder und die Enkel! Sie lenken die Ordnung des Hauses, sie passen dem übrigen Gesinde auf den Dienst, sie wachen, daß bei der Zubereitung und Auswahl der Speisen nichts dem Gesetz Zuwiderlaufendes vorkommt. Sie sorgen dafür, daß sich die Kinder den religiösen Vorschriften in keinem Falle entziehen dürfen und nehmen die Angebereien gerne an, wenn eines das andre verklagt, daß dieser am Sabbath sich den Rock gebürstet, jener von einer unerlaubten Speise gegessen oder an einem Fasttage heimlich genascht hätte. Ein solcher höchst streng und eigenmächtig waltender Hausgeist war in der Baruch'schen Familie die alte Elle. Sie hatte wenig Neigung zu dem mittleren, minder

aus freiem Antriebe so zurückgezogen hielt: er fand, daß er zwar dem Herzen der Mutter nicht fremd war, daß aber ein regierender Hausgeist es gern dahin gebracht hätte. In jüdischen Familien fand man vor etwa dreißig Jahren noch oft einen ältern weiblichen Dienstboten, der von einer Generation zur andern hinüber vererbt wird und eine Herrschaft im Hause führt, der sich oft die Brodherren selbst nicht zu widersetzen wagen. Diese alten Rebecken, Rachel, Rosinen, Täubchen u. s. w. haben schon die Eltern auf dem Schooß getragen, wie viel größer ist ihre Macht über die Kinder und die Enkel! Sie lenken die Ordnung des Hauses, sie passen dem übrigen Gesinde auf den Dienst, sie wachen, daß bei der Zubereitung und Auswahl der Speisen nichts dem Gesetz Zuwiderlaufendes vorkommt. Sie sorgen dafür, daß sich die Kinder den religiösen Vorschriften in keinem Falle entziehen dürfen und nehmen die Angebereien gerne an, wenn eines das andre verklagt, daß dieser am Sabbath sich den Rock gebürstet, jener von einer unerlaubten Speise gegessen oder an einem Fasttage heimlich genascht hätte. Ein solcher höchst streng und eigenmächtig waltender Hausgeist war in der Baruch’schen Familie die alte Elle. Sie hatte wenig Neigung zu dem mittleren, minder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0077" n="35"/>
aus freiem Antriebe so zurückgezogen hielt: er fand, daß er zwar dem Herzen der Mutter nicht fremd war, daß aber ein regierender Hausgeist es gern dahin gebracht hätte. In jüdischen Familien fand man vor etwa dreißig Jahren noch oft einen ältern weiblichen Dienstboten, der von einer Generation zur andern hinüber vererbt wird und eine Herrschaft im Hause führt, der sich oft die Brodherren selbst nicht zu widersetzen wagen. Diese alten Rebecken, Rachel, Rosinen, Täubchen u. s. w. haben schon die Eltern auf dem Schooß getragen, wie viel größer ist ihre Macht über die Kinder und die Enkel! Sie lenken die Ordnung des Hauses, sie passen dem übrigen Gesinde auf den Dienst, sie wachen, daß bei der Zubereitung und Auswahl der Speisen nichts dem Gesetz Zuwiderlaufendes vorkommt. Sie sorgen dafür, daß sich die Kinder den religiösen Vorschriften in keinem Falle entziehen dürfen und nehmen die Angebereien gerne an, wenn eines das andre verklagt, daß dieser am Sabbath sich den Rock gebürstet, jener von einer unerlaubten Speise gegessen oder an einem Fasttage heimlich genascht hätte. Ein solcher höchst streng und eigenmächtig waltender Hausgeist war in der Baruch&#x2019;schen Familie die alte <hi rendition="#g">Elle</hi>. Sie hatte wenig Neigung zu dem mittleren, minder
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0077] aus freiem Antriebe so zurückgezogen hielt: er fand, daß er zwar dem Herzen der Mutter nicht fremd war, daß aber ein regierender Hausgeist es gern dahin gebracht hätte. In jüdischen Familien fand man vor etwa dreißig Jahren noch oft einen ältern weiblichen Dienstboten, der von einer Generation zur andern hinüber vererbt wird und eine Herrschaft im Hause führt, der sich oft die Brodherren selbst nicht zu widersetzen wagen. Diese alten Rebecken, Rachel, Rosinen, Täubchen u. s. w. haben schon die Eltern auf dem Schooß getragen, wie viel größer ist ihre Macht über die Kinder und die Enkel! Sie lenken die Ordnung des Hauses, sie passen dem übrigen Gesinde auf den Dienst, sie wachen, daß bei der Zubereitung und Auswahl der Speisen nichts dem Gesetz Zuwiderlaufendes vorkommt. Sie sorgen dafür, daß sich die Kinder den religiösen Vorschriften in keinem Falle entziehen dürfen und nehmen die Angebereien gerne an, wenn eines das andre verklagt, daß dieser am Sabbath sich den Rock gebürstet, jener von einer unerlaubten Speise gegessen oder an einem Fasttage heimlich genascht hätte. Ein solcher höchst streng und eigenmächtig waltender Hausgeist war in der Baruch’schen Familie die alte Elle. Sie hatte wenig Neigung zu dem mittleren, minder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-03T11:49:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-03T11:49:31Z)
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-07-03T11:49:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/77
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/77>, abgerufen am 19.05.2024.