Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.aufnehmen, theils aber auch an der Art, wie sie der Dichter uns recht vergegenwärtigen will, mitschaffen und unser eignes, kleines Schöpfungsvermögen anstrengen müssen. Indessen hat Börne etwas voraus. Er vermied die Fehler seines Lehrers. Ob ihm dies der Geschmack eingab, oder ob ihm der übergroße Reichthum an Phantasie, in dem grade Jean Pauls Fehler liegt, mangelte, oder ob ihn seine entschlossene Gesinnung zwang, immer den Leser en face anzusehen und sein Visier, nicht einmal mit Blumen, zu verhängen: er vermied dasjenige, was die Art Jean Pauls nur zu sehr zur Manier gemacht hat. Er selbst sagt von den jean-paulisirenden Nachahmern seines Meisters: "Sie dünken sich frey, weil sie mit ihren Ketten rasseln, kühn, weil sie in ihrem Gefängnisse toben, und freimüthig, weil sie ihre Kerkermeister schelten. Sie springen vom Kopfe zum Herzen, vom Herzen zum Kopfe - sie sind hier oder dort; aber der Abgrund ist geblieben; sie verstanden keine Brücke über die Trennungen des Lebens zu bauen. Verrenkung ist ihnen Gewandheit der Glieder, Verzerrung Ausdruck des Gesichts, sie klappern prahlend mit Blechpfenningen, als wenn es Goldstücke wären, und wirft ihnen ja einmal der Schiffbruch des Zufalls irgend ein Kleinod zu, wissen sie es aufnehmen, theils aber auch an der Art, wie sie der Dichter uns recht vergegenwärtigen will, mitschaffen und unser eignes, kleines Schöpfungsvermögen anstrengen müssen. Indessen hat Börne etwas voraus. Er vermied die Fehler seines Lehrers. Ob ihm dies der Geschmack eingab, oder ob ihm der übergroße Reichthum an Phantasie, in dem grade Jean Pauls Fehler liegt, mangelte, oder ob ihn seine entschlossene Gesinnung zwang, immer den Leser en face anzusehen und sein Visier, nicht einmal mit Blumen, zu verhängen: er vermied dasjenige, was die Art Jean Pauls nur zu sehr zur Manier gemacht hat. Er selbst sagt von den jean-paulisirenden Nachahmern seines Meisters: „Sie dünken sich frey, weil sie mit ihren Ketten rasseln, kühn, weil sie in ihrem Gefängnisse toben, und freimüthig, weil sie ihre Kerkermeister schelten. Sie springen vom Kopfe zum Herzen, vom Herzen zum Kopfe – sie sind hier oder dort; aber der Abgrund ist geblieben; sie verstanden keine Brücke über die Trennungen des Lebens zu bauen. Verrenkung ist ihnen Gewandheit der Glieder, Verzerrung Ausdruck des Gesichts, sie klappern prahlend mit Blechpfenningen, als wenn es Goldstücke wären, und wirft ihnen ja einmal der Schiffbruch des Zufalls irgend ein Kleinod zu, wissen sie es <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0203" n="161"/> aufnehmen, theils aber auch an der Art, wie sie der Dichter uns recht vergegenwärtigen will, mitschaffen und unser eignes, kleines Schöpfungsvermögen anstrengen müssen. Indessen hat Börne etwas voraus. Er vermied die <hi rendition="#g">Fehler</hi> seines Lehrers. Ob ihm dies der Geschmack eingab, oder ob ihm der übergroße Reichthum an Phantasie, in dem grade Jean Pauls Fehler liegt, mangelte, oder ob ihn seine entschlossene Gesinnung zwang, immer den Leser <hi rendition="#aq">en face</hi> anzusehen und sein Visier, nicht einmal mit Blumen, zu verhängen: er vermied dasjenige, was die Art Jean Pauls nur zu sehr zur Manier gemacht hat. Er selbst sagt von den jean-paulisirenden Nachahmern seines Meisters: „Sie dünken sich frey, weil sie mit ihren Ketten rasseln, kühn, weil sie in ihrem Gefängnisse toben, und freimüthig, weil sie ihre Kerkermeister schelten. Sie springen vom Kopfe zum Herzen, vom Herzen zum Kopfe – sie sind hier oder dort; aber der Abgrund ist geblieben; sie verstanden keine Brücke über die Trennungen des Lebens zu bauen. Verrenkung ist ihnen Gewandheit der Glieder, Verzerrung Ausdruck des Gesichts, sie klappern prahlend mit Blechpfenningen, als wenn es Goldstücke wären, und wirft ihnen ja einmal der Schiffbruch des Zufalls irgend ein Kleinod zu, wissen sie es </p> </div> </body> </text> </TEI> [161/0203]
aufnehmen, theils aber auch an der Art, wie sie der Dichter uns recht vergegenwärtigen will, mitschaffen und unser eignes, kleines Schöpfungsvermögen anstrengen müssen. Indessen hat Börne etwas voraus. Er vermied die Fehler seines Lehrers. Ob ihm dies der Geschmack eingab, oder ob ihm der übergroße Reichthum an Phantasie, in dem grade Jean Pauls Fehler liegt, mangelte, oder ob ihn seine entschlossene Gesinnung zwang, immer den Leser en face anzusehen und sein Visier, nicht einmal mit Blumen, zu verhängen: er vermied dasjenige, was die Art Jean Pauls nur zu sehr zur Manier gemacht hat. Er selbst sagt von den jean-paulisirenden Nachahmern seines Meisters: „Sie dünken sich frey, weil sie mit ihren Ketten rasseln, kühn, weil sie in ihrem Gefängnisse toben, und freimüthig, weil sie ihre Kerkermeister schelten. Sie springen vom Kopfe zum Herzen, vom Herzen zum Kopfe – sie sind hier oder dort; aber der Abgrund ist geblieben; sie verstanden keine Brücke über die Trennungen des Lebens zu bauen. Verrenkung ist ihnen Gewandheit der Glieder, Verzerrung Ausdruck des Gesichts, sie klappern prahlend mit Blechpfenningen, als wenn es Goldstücke wären, und wirft ihnen ja einmal der Schiffbruch des Zufalls irgend ein Kleinod zu, wissen sie es
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/203>, abgerufen am 22.07.2024. |