Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.De prudentia aulica. er nun zu affairen kommen, hat ihm noch immer was angehangen vonchimaeren. Wer eine grosse Wissenschafft hat und kein judicium pra- cticum, dem gehets, wie dem Philippo Melanchthoni, der konnte vortreff- lich predigen, wenn keine Leute in der Kirche waren, waren aber Leute da, so fehlete er. Mancher kan perfect in abstracto raisonniren, von dem AEdilitio interdicto, wenn aber disputiret wird: Ob das interdictum in diesem oder jenem Fall statt habe, so ist er nicht capable ein decisum zu machen in Jure, und noch viel weniger in Politicis, da es geschwinder zu- gehet. Lernen kan man einem diese Dinge nicht, sondern es muß einer von Natur was haben. Mazarini hat ein besser Judicium practicum ge- habt, als Richelieu. Vassor ist dem Richelieu auch Spinnne-feind, und wo er was enthusiastisches gefunden, hat ers allezeit durchgezogen. Dieses kan ich nicht sagen, daß er gar keine imagination haben sollte, sondern es sagt Gracian gar wohl, moderer son imagination. Eine mode- rate imaginatio hilfft viel: Denn wer keine imagination hat, ist nicht geschickt zu Erfindungen; Bisweilen aber kömmt auf die Geschwindig- keit was an, da kan er alsdenn nichts thun. Es muß einer offt reden, hat er keine imagination, so kan er nicht reden, laß mir einen melancho- licum reden, der wird immer anstossen, und ist keine Anmuth, keine Klar- heit in seinen Reden. Es kan keiner nicht reden, der nicht aliquid inge- nii hat. Das ingenium aber bestehet in Erfindungen, daß einer gleich etwas erfinden kan, die Sache deutlich zu machen, er muß das medium zu treffen wissen in periodis, gleich exempla, similia finden können. Baeck- ler in seiner Dissertation de Eloquentia viri politici hat dieses artig gewie- sen. Philippus Mornaeus, der war homo eloquentissimus, der Advocat aller Reformirten schrieb admirable, hatte die Historie studirt, und konn- te alles das, was er schrieb, mit exemplis erläutern. Fuchsius ist von Friderico VVilhelmo sehr aestimiret worden, weil er ein admirable inge- nium gehabt, und schöne schreiben konnte. Er war erst Professor, da er aber nach Hof kam, hat er seinen stilum attemperirt nach dem Hof; Bey allen war er beliebt. Puffendorff lobt ihn auch sehr, er war etwas commoder, und kam bisweilen spät, so hat der Churfürst allezeit gesagt: Er wolle nicht eher fort fahren, bis Fuchs da wäre. Das ingenium bringt einem promtitudinem zu wege. Wenn man acht giebt, wie Mel- ville der Königin Elisabeth auf alles können antworten, so wird man rech- te plaissante Dinge finden. Diese Leute schicken sich gut zu Ambassa- deurs. Die Leute sind meist in der Jugend so beschaffen, daß sie sich persuadiren lassen, es wäre die memorie nichts nütze. Vor diesem ist gar eine Secte hier gewesen, welche Antimemoristen genennet worden, die P p p
De prudentia aulica. er nun zu affairen kommen, hat ihm noch immer was angehangen vonchimæren. Wer eine groſſe Wiſſenſchafft hat und kein judicium pra- cticum, dem gehets, wie dem Philippo Melanchthoni, der konnte vortreff- lich predigen, wenn keine Leute in der Kirche waren, waren aber Leute da, ſo fehlete er. Mancher kan perfect in abſtracto raiſonniren, von dem Ædilitio interdicto, wenn aber diſputiret wird: Ob das interdictum in dieſem oder jenem Fall ſtatt habe, ſo iſt er nicht capable ein deciſum zu machen in Jure, und noch viel weniger in Politicis, da es geſchwinder zu- gehet. Lernen kan man einem dieſe Dinge nicht, ſondern es muß einer von Natur was haben. Mazarini hat ein beſſer Judicium practicum ge- habt, als Richelieu. Vaſſor iſt dem Richelieu auch Spinnne-feind, und wo er was enthuſiaſtiſches gefunden, hat ers allezeit durchgezogen. Dieſes kan ich nicht ſagen, daß er gar keine imagination haben ſollte, ſondern es ſagt Gracian gar wohl, moderer ſon imagination. Eine mode- rate imaginatio hilfft viel: Denn wer keine imagination hat, iſt nicht geſchickt zu Erfindungen; Bisweilen aber koͤmmt auf die Geſchwindig- keit was an, da kan er alsdenn nichts thun. Es muß einer offt reden, hat er keine imagination, ſo kan er nicht reden, laß mir einen melancho- licum reden, der wird immer anſtoſſen, und iſt keine Anmuth, keine Klar- heit in ſeinen Reden. Es kan keiner nicht reden, der nicht aliquid inge- nii hat. Das ingenium aber beſtehet in Erfindungen, daß einer gleich etwas erfinden kan, die Sache deutlich zu machen, er muß das medium zu treffen wiſſen in periodis, gleich exempla, ſimilia finden koͤnnen. Bæck- ler in ſeiner Diſſertation de Eloquentia viri politici hat dieſes artig gewie- ſen. Philippus Mornæus, der war homo eloquentiſſimus, der Advocat aller Reformirten ſchrieb admirable, hatte die Hiſtorie ſtudirt, und konn- te alles das, was er ſchrieb, mit exemplis erlaͤutern. Fuchſius iſt von Friderico VVilhelmo ſehr æſtimiret worden, weil er ein admirable inge- nium gehabt, und ſchoͤne ſchreiben konnte. Er war erſt Profeſſor, da er aber nach Hof kam, hat er ſeinen ſtilum attemperirt nach dem Hof; Bey allen war er beliebt. Puffendorff lobt ihn auch ſehr, er war etwas commoder, und kam bisweilen ſpaͤt, ſo hat der Churfuͤrſt allezeit geſagt: Er wolle nicht eher fort fahren, bis Fuchs da waͤre. Das ingenium bringt einem promtitudinem zu wege. Wenn man acht giebt, wie Mel- ville der Koͤnigin Eliſabeth auf alles koͤnnen antworten, ſo wird man rech- te plaiſſante Dinge finden. Dieſe Leute ſchicken ſich gut zu Ambaſſa- deurs. Die Leute ſind meiſt in der Jugend ſo beſchaffen, daß ſie ſich perſuadiren laſſen, es waͤre die memorie nichts nuͤtze. Vor dieſem iſt gar eine Secte hier geweſen, welche Antimemoriſten genennet worden, die P p p
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cticum, dem gehets, wie dem Philippo Melanchthoni, der konnte vortreff-
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ſo fehlete er. Mancher kan perfect in abſtracto raiſonniren, von dem
Ædilitio interdicto, wenn aber diſputiret wird: Ob das interdictum in
dieſem oder jenem Fall ſtatt habe, ſo iſt er nicht capable ein deciſum zu
machen in Jure, und noch viel weniger in Politicis, da es geſchwinder zu-
gehet. Lernen kan man einem dieſe Dinge nicht, ſondern es muß einer
von Natur was haben. Mazarini hat ein beſſer Judicium practicum ge-
habt, als Richelieu. Vaſſor iſt dem Richelieu auch Spinnne-feind, und
wo er was enthuſiaſtiſches gefunden, hat ers allezeit durchgezogen. Dieſes
kan ich nicht ſagen, daß er gar keine imagination haben ſollte, ſondern
es ſagt Gracian gar wohl, moderer ſon imagination. Eine mode-
rate imaginatio hilfft viel: Denn wer keine imagination hat, iſt nicht
geſchickt zu Erfindungen; Bisweilen aber koͤmmt auf die Geſchwindig-
keit was an, da kan er alsdenn nichts thun. Es muß einer offt reden,
hat er keine imagination, ſo kan er nicht reden, laß mir einen melancho-
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heit in ſeinen Reden. Es kan keiner nicht reden, der nicht aliquid inge-
nii hat. Das ingenium aber beſtehet in Erfindungen, daß einer gleich
etwas erfinden kan, die Sache deutlich zu machen, er muß das medium
zu treffen wiſſen in periodis, gleich exempla, ſimilia finden koͤnnen. Bæck-
ler in ſeiner Diſſertation de Eloquentia viri politici hat dieſes artig gewie-
ſen. Philippus Mornæus, der war homo eloquentiſſimus, der Advocat
aller Reformirten ſchrieb admirable, hatte die Hiſtorie ſtudirt, und konn-
te alles das, was er ſchrieb, mit exemplis erlaͤutern. Fuchſius iſt von
Friderico VVilhelmo ſehr æſtimiret worden, weil er ein admirable inge-
nium gehabt, und ſchoͤne ſchreiben konnte. Er war erſt Profeſſor, da er
aber nach Hof kam, hat er ſeinen ſtilum attemperirt nach dem Hof;
Bey allen war er beliebt. Puffendorff lobt ihn auch ſehr, er war etwas
commoder, und kam bisweilen ſpaͤt, ſo hat der Churfuͤrſt allezeit geſagt:
Er wolle nicht eher fort fahren, bis Fuchs da waͤre. Das ingenium
bringt einem promtitudinem zu wege. Wenn man acht giebt, wie Mel-
ville der Koͤnigin Eliſabeth auf alles koͤnnen antworten, ſo wird man rech-
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deurs. Die Leute ſind meiſt in der Jugend ſo beſchaffen, daß ſie ſich
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