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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. V. De prudentia
sie dazu, ut resciscant veritatem, denn sagt man im Sprüchwort: Kin-
der und Narren reden die Wahrheit. Gratian in seinem Critico sagt,
grosse Herren hätten keine bessern Conseillers, als Pasquille und Narren.
Man muß bey Pasquillen nicht alles glauben, denn die Histoire scanda-
leuse
bringet viel falsches bey, aber es ist auch viel wahres drunter.
Der Pabst, ob er gleich ein schlauer Kerl ist, so hat er doch die statuam
Pasquini
nicht abgeschafft, weil er dadurch vieles kan erhalten. Nur
muß man die Cautel beobachten, daß man nicht gleich alles glaubet.
Könnten grosse Herren die Wahrheit so erfahren, so brauchte man kei-
ne statuam Pasquini, und auch keine bouffons, da aber dieses nicht ist, so
muß man freylich die media extraordinaria erwehlen.

Von Erblich-
keit der char-
gen.

§. 18. Wenn man mit Verstand will hievon urtheilen, so muß
man die formas rerum publicarum distinguiren. Daher kommt es eben,
daß die Scriptores politici diversas opiniones haben, und nicht allemahl
mit behörigem judicio von dieser Frage geurtheilet. In polyarchicis re-
bus publicis
ist nicht convenable, daß die Magistratus perpetui superbire
enim incipiunt,
wenn die potestas diuturna. Man muß sie da lassen ab-
wechseln, damit sie sich nicht können fortificiren, und allerhand Künste
ausdencken, wie sie sich können bereichern illicitis modis. Man hat ge-
sehen, daß, wenn auch die Magistrats-Personen nur ihr Amt lange ge-
habt, nicht eben in perpetuum, so haben sie sich schon gesucht souverain
zu machen. Suetonius erzehlet, daß, da man den Julium Caesarem so
lange in Gallia gelassen, habe er sich aggrandiret, sey mit einer Armee
nach Italien kommen, habe den Römern Gesetze vorgeschrieben, und die
libertatem aufgehoben. Einige chargen aber können nicht abwechseln.
e. g. Wenn einer Secretaire ist, oder in Venedig Procuratar St. Marci,
das ist der Kirchen-Pfleger, so über das Kirchen-Wesen gesetzet ist,
diese müssen beständig bleiben, weil dazu eine grosse Erfahrung gehöret,
und andere nicht so gleich dazu geschickt sind. Consideriret man nun
aber eine Monarchie, und fraget: Ob die Magistratus können perpetui
seyn? So dienet zur Antwort, daß man grosse Magistratus auch nicht
einen kan beständig lassen. Das ist eben die Ursach, warum sie getrach-
tet die chargen erblich zu machen, und ad posteros zu transferiren. Wir
haben dieses in unserm Teutschland erfahren. Es würde auch in Franck-
reich geschehen seyn, wenn nicht Richelieu die Gouvernements theils cas-
si
ret, theils aber alterniren lassen. Daher wird kein Vice-Roy in Nea-
polis,
Mayland, Indien etc. auf Lebens-Zeit gelassen. Es giebt aber
auch in der Monarchie gewisse munera, worzu eine grosse Wissenschafft
erfordert wird. e. g. Wenn einer Staats-Secretaire wird, solchen muß

man

Cap. V. De prudentia
ſie dazu, ut reſciſcant veritatem, denn ſagt man im Spruͤchwort: Kin-
der und Narren reden die Wahrheit. Gratian in ſeinem Critico ſagt,
groſſe Herren haͤtten keine beſſern Conſeillers, als Pasquille und Narren.
Man muß bey Paſquillen nicht alles glauben, denn die Hiſtoire ſcanda-
leuſe
bringet viel falſches bey, aber es iſt auch viel wahres drunter.
Der Pabſt, ob er gleich ein ſchlauer Kerl iſt, ſo hat er doch die ſtatuam
Paſquini
nicht abgeſchafft, weil er dadurch vieles kan erhalten. Nur
muß man die Cautel beobachten, daß man nicht gleich alles glaubet.
Koͤnnten groſſe Herren die Wahrheit ſo erfahren, ſo brauchte man kei-
ne ſtatuam Paſquini, und auch keine bouffons, da aber dieſes nicht iſt, ſo
muß man freylich die media extraordinaria erwehlen.

Von Erblich-
keit der char-
gen.

§. 18. Wenn man mit Verſtand will hievon urtheilen, ſo muß
man die formas rerum publicarum diſtinguiren. Daher kommt es eben,
daß die Scriptores politici diverſas opiniones haben, und nicht allemahl
mit behoͤrigem judicio von dieſer Frage geurtheilet. In polyarchicis re-
bus publicis
iſt nicht convenable, daß die Magiſtratus perpetui ſuperbire
enim incipiunt,
wenn die poteſtas diuturna. Man muß ſie da laſſen ab-
wechſeln, damit ſie ſich nicht koͤnnen fortificiren, und allerhand Kuͤnſte
ausdencken, wie ſie ſich koͤnnen bereichern illicitis modis. Man hat ge-
ſehen, daß, wenn auch die Magiſtrats-Perſonen nur ihr Amt lange ge-
habt, nicht eben in perpetuum, ſo haben ſie ſich ſchon geſucht ſouverain
zu machen. Suetonius erzehlet, daß, da man den Julium Cæſarem ſo
lange in Gallia gelaſſen, habe er ſich aggrandiret, ſey mit einer Armee
nach Italien kommen, habe den Roͤmern Geſetze vorgeſchrieben, und die
libertatem aufgehoben. Einige chargen aber koͤnnen nicht abwechſeln.
e. g. Wenn einer Secretaire iſt, oder in Venedig Procuratar St. Marci,
das iſt der Kirchen-Pfleger, ſo uͤber das Kirchen-Weſen geſetzet iſt,
dieſe muͤſſen beſtaͤndig bleiben, weil dazu eine groſſe Erfahrung gehoͤret,
und andere nicht ſo gleich dazu geſchickt ſind. Conſideriret man nun
aber eine Monarchie, und fraget: Ob die Magiſtratus koͤnnen perpetui
ſeyn? So dienet zur Antwort, daß man groſſe Magiſtratus auch nicht
einen kan beſtaͤndig laſſen. Das iſt eben die Urſach, warum ſie getrach-
tet die chargen erblich zu machen, und ad poſteros zu transferiren. Wir
haben dieſes in unſerm Teutſchland erfahren. Es wuͤrde auch in Franck-
reich geſchehen ſeyn, wenn nicht Richelieu die Gouvernements theils cas-
ſi
ret, theils aber alterniren laſſen. Daher wird kein Vice-Roy in Nea-
polis,
Mayland, Indien ꝛc. auf Lebens-Zeit gelaſſen. Es giebt aber
auch in der Monarchie gewiſſe munera, worzu eine groſſe Wiſſenſchafft
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[250/0270] Cap. V. De prudentia ſie dazu, ut reſciſcant veritatem, denn ſagt man im Spruͤchwort: Kin- der und Narren reden die Wahrheit. Gratian in ſeinem Critico ſagt, groſſe Herren haͤtten keine beſſern Conſeillers, als Pasquille und Narren. Man muß bey Paſquillen nicht alles glauben, denn die Hiſtoire ſcanda- leuſe bringet viel falſches bey, aber es iſt auch viel wahres drunter. Der Pabſt, ob er gleich ein ſchlauer Kerl iſt, ſo hat er doch die ſtatuam Paſquini nicht abgeſchafft, weil er dadurch vieles kan erhalten. Nur muß man die Cautel beobachten, daß man nicht gleich alles glaubet. Koͤnnten groſſe Herren die Wahrheit ſo erfahren, ſo brauchte man kei- ne ſtatuam Paſquini, und auch keine bouffons, da aber dieſes nicht iſt, ſo muß man freylich die media extraordinaria erwehlen. §. 18. Wenn man mit Verſtand will hievon urtheilen, ſo muß man die formas rerum publicarum diſtinguiren. Daher kommt es eben, daß die Scriptores politici diverſas opiniones haben, und nicht allemahl mit behoͤrigem judicio von dieſer Frage geurtheilet. In polyarchicis re- bus publicis iſt nicht convenable, daß die Magiſtratus perpetui ſuperbire enim incipiunt, wenn die poteſtas diuturna. Man muß ſie da laſſen ab- wechſeln, damit ſie ſich nicht koͤnnen fortificiren, und allerhand Kuͤnſte ausdencken, wie ſie ſich koͤnnen bereichern illicitis modis. Man hat ge- ſehen, daß, wenn auch die Magiſtrats-Perſonen nur ihr Amt lange ge- habt, nicht eben in perpetuum, ſo haben ſie ſich ſchon geſucht ſouverain zu machen. Suetonius erzehlet, daß, da man den Julium Cæſarem ſo lange in Gallia gelaſſen, habe er ſich aggrandiret, ſey mit einer Armee nach Italien kommen, habe den Roͤmern Geſetze vorgeſchrieben, und die libertatem aufgehoben. Einige chargen aber koͤnnen nicht abwechſeln. e. g. Wenn einer Secretaire iſt, oder in Venedig Procuratar St. Marci, das iſt der Kirchen-Pfleger, ſo uͤber das Kirchen-Weſen geſetzet iſt, dieſe muͤſſen beſtaͤndig bleiben, weil dazu eine groſſe Erfahrung gehoͤret, und andere nicht ſo gleich dazu geſchickt ſind. Conſideriret man nun aber eine Monarchie, und fraget: Ob die Magiſtratus koͤnnen perpetui ſeyn? So dienet zur Antwort, daß man groſſe Magiſtratus auch nicht einen kan beſtaͤndig laſſen. Das iſt eben die Urſach, warum ſie getrach- tet die chargen erblich zu machen, und ad poſteros zu transferiren. Wir haben dieſes in unſerm Teutſchland erfahren. Es wuͤrde auch in Franck- reich geſchehen ſeyn, wenn nicht Richelieu die Gouvernements theils cas- ſiret, theils aber alterniren laſſen. Daher wird kein Vice-Roy in Nea- polis, Mayland, Indien ꝛc. auf Lebens-Zeit gelaſſen. Es giebt aber auch in der Monarchie gewiſſe munera, worzu eine groſſe Wiſſenſchafft erfordert wird. e. g. Wenn einer Staats-Secretaire wird, ſolchen muß man

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/270>, abgerufen am 23.11.2024.