mächtige Nazion an der vielleicht eben vorhabenden Er- werbung mehrerer Länder mit Gewalt zu hindern o].
Meinem Ermessen nach ist des Gleichgewichts wegen kein anderer, als vertheidigender Krieg, und zwar nur in dem Falle zu unternehmen, wenn eine schon mächtige Nazion von Erlangung einer Uebermacht durch neue Erwerbungen, auf keine andere gütliche Art abzubrin- gen ist.
Der Krieg setzt allerdings entweder eine schon würk- lich zugefügte, oder doch die moralische Gewisheit einer bevorstehenden Beleidigung voraus. Die Möglichkeit derselben und die Furcht davor sind allein keinesweges hinlängliche Ursachen, so lange der Gegentheil im Noth- fall noch Kräfte genug zum Widerstande hat. Wenn daher unter diesen Umständen ein Volk seine bereits erlangte Macht zum Nachtheil anderer nicht mis- braucht, und den übrigen keine Gelegenheit zu gerechten Beschwerden giebt, so würde ieder angreifende Krieg wider dasselbe ungerecht seyn. Läßt es sich aber Belei- digungen anderer zu Schulden kommen, so ist die dage- gen erlaubte Ahndung durch vertheidigenden Krieg nicht sowohl eine Folge des Gleichgewichts, als der zugefüg- ten oder noch vorhabenden Beleidigung; wiewohl die Größe der Macht, als eine der häufigsten Quellen der Beleidigungen, zuweilen anrathen kan, die Waffen, zugleich zu Verringerung derselben, eher, als sonst geschehen seyn würde, zu ergreifen, damit man sich desto mehrere Sicherheit für die Zukunft verschaffe.
Im Gegentheil handeln mindermächtige Staaten den Grundsätzen ihrer eignen Erhaltung und der Sicherheit der ganzen Völkergeselschaft gemäs, wenn sie die Ver- größerungsabsichten einer schon gar zu mächtigen Nazion, selbst die sonst rechtmässigen Erweiterungen ihrer Reiche und Provinzen durch Erbfolge, Heirath p], Wahl, Entdeckung, Eroberung, Tausch q], oder auf
an-
und deren Gleichgewicht.
maͤchtige Nazion an der vielleicht eben vorhabenden Er- werbung mehrerer Laͤnder mit Gewalt zu hindern o].
Meinem Ermeſſen nach iſt des Gleichgewichts wegen kein anderer, als vertheidigender Krieg, und zwar nur in dem Falle zu unternehmen, wenn eine ſchon maͤchtige Nazion von Erlangung einer Uebermacht durch neue Erwerbungen, auf keine andere guͤtliche Art abzubrin- gen iſt.
Der Krieg ſetzt allerdings entweder eine ſchon wuͤrk- lich zugefuͤgte, oder doch die moraliſche Gewisheit einer bevorſtehenden Beleidigung voraus. Die Moͤglichkeit derſelben und die Furcht davor ſind allein keinesweges hinlaͤngliche Urſachen, ſo lange der Gegentheil im Noth- fall noch Kraͤfte genug zum Widerſtande hat. Wenn daher unter dieſen Umſtaͤnden ein Volk ſeine bereits erlangte Macht zum Nachtheil anderer nicht mis- braucht, und den uͤbrigen keine Gelegenheit zu gerechten Beſchwerden giebt, ſo wuͤrde ieder angreifende Krieg wider daſſelbe ungerecht ſeyn. Laͤßt es ſich aber Belei- digungen anderer zu Schulden kommen, ſo iſt die dage- gen erlaubte Ahndung durch vertheidigenden Krieg nicht ſowohl eine Folge des Gleichgewichts, als der zugefuͤg- ten oder noch vorhabenden Beleidigung; wiewohl die Groͤße der Macht, als eine der haͤufigſten Quellen der Beleidigungen, zuweilen anrathen kan, die Waffen, zugleich zu Verringerung derſelben, eher, als ſonſt geſchehen ſeyn wuͤrde, zu ergreifen, damit man ſich deſto mehrere Sicherheit fuͤr die Zukunft verſchaffe.
Im Gegentheil handeln mindermaͤchtige Staaten den Grundſaͤtzen ihrer eignen Erhaltung und der Sicherheit der ganzen Voͤlkergeſelſchaft gemaͤs, wenn ſie die Ver- groͤßerungsabſichten einer ſchon gar zu maͤchtigen Nazion, ſelbſt die ſonſt rechtmaͤſſigen Erweiterungen ihrer Reiche und Provinzen durch Erbfolge, Heirath p], Wahl, Entdeckung, Eroberung, Tauſch q], oder auf
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und deren Gleichgewicht.
maͤchtige Nazion an der vielleicht eben vorhabenden Er-
werbung mehrerer Laͤnder mit Gewalt zu hindern o].
Meinem Ermeſſen nach iſt des Gleichgewichts wegen
kein anderer, als vertheidigender Krieg, und zwar nur
in dem Falle zu unternehmen, wenn eine ſchon maͤchtige
Nazion von Erlangung einer Uebermacht durch neue
Erwerbungen, auf keine andere guͤtliche Art abzubrin-
gen iſt.
Der Krieg ſetzt allerdings entweder eine ſchon wuͤrk-
lich zugefuͤgte, oder doch die moraliſche Gewisheit einer
bevorſtehenden Beleidigung voraus. Die Moͤglichkeit
derſelben und die Furcht davor ſind allein keinesweges
hinlaͤngliche Urſachen, ſo lange der Gegentheil im Noth-
fall noch Kraͤfte genug zum Widerſtande hat. Wenn
daher unter dieſen Umſtaͤnden ein Volk ſeine bereits
erlangte Macht zum Nachtheil anderer nicht mis-
braucht, und den uͤbrigen keine Gelegenheit zu gerechten
Beſchwerden giebt, ſo wuͤrde ieder angreifende Krieg
wider daſſelbe ungerecht ſeyn. Laͤßt es ſich aber Belei-
digungen anderer zu Schulden kommen, ſo iſt die dage-
gen erlaubte Ahndung durch vertheidigenden Krieg nicht
ſowohl eine Folge des Gleichgewichts, als der zugefuͤg-
ten oder noch vorhabenden Beleidigung; wiewohl die
Groͤße der Macht, als eine der haͤufigſten Quellen der
Beleidigungen, zuweilen anrathen kan, die Waffen,
zugleich zu Verringerung derſelben, eher, als ſonſt
geſchehen ſeyn wuͤrde, zu ergreifen, damit man ſich deſto
mehrere Sicherheit fuͤr die Zukunft verſchaffe.
Im Gegentheil handeln mindermaͤchtige Staaten den
Grundſaͤtzen ihrer eignen Erhaltung und der Sicherheit
der ganzen Voͤlkergeſelſchaft gemaͤs, wenn ſie die Ver-
groͤßerungsabſichten einer ſchon gar zu maͤchtigen Nazion,
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/391>, abgerufen am 16.02.2025.
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