Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.Von der Macht der Nazionen blos von Teutschland, sondern zugleich von ganz Europagelegt, und er wird noch heutzutage mit Recht für das erste geheiligte Gesetz aller europäischen Nazionen ange- sehn, welche, selbst ohne eine glückliche Ausführung der Plane Heinrich IV. und des Abt St. Pierre, eine alge- meine Republick des weitläuftigen europäischen Welt- theils ausmachen, die stilschweigend durch das große wechselseitige Interesse, ein rechtmäsiges Gleichgewicht der Macht unter sich zu erhalten, zusammen verbunden ist. Nachdem die Macht der beiden Linien des Hauses Oesterreich durch diese langen unglücklichen Kriege und durch den schwachen Karakter der Regenten äusserst ver- mindert worden war, die französische hingegen durch die geschickte Staatskunst und Staatsverwaltung der Kardi- näle Richelieu und Mazarin und nachher Ludwig XIV. verhältnismäsig zugenommen hatte, richtete dieser Mon- arch furchtbare und zalreiche Kriegsheere auf einen be- ständigen Fuß ein, und wandte bey dem Einfall in die spanischen Niederlande, in Holland und in die Pfalz sowohl, als durch die algemein bekante Reunionskam- mer seine Macht dergestalt an, daß er fast durchgängig dafür angesehn ward, als trachte er, an die Stelle des Hauses Oesterreich, nach der Universalmonarchie. Nun- mehr kehrte man gegen ihn den Namen und die Waffen des Gleichgewichts. Daher hatten alle die großen Bünd- nisse, welche gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts wider ihn geschlossen wurden, ingleichen die Kriege, die sich 1679 durch den Nimweger und 1697 durch den Rys- wicker Frieden endigten, ihren Ursprung. Man beschleu- nigte den leztern, weil die nahe Erlöschung der österrei- chisch-spanischen Linie vorauszusehen war. Die beiden Seemächte, England und Holland, deren Vereinigung König Wilhelm, ein Prinz von Oranien, bewürkt hat- te, die eben damals den Namen und die Rolle der See- mächte annahmen, und das Gleichgewicht von Europa in Händen
Von der Macht der Nazionen blos von Teutſchland, ſondern zugleich von ganz Europagelegt, und er wird noch heutzutage mit Recht fuͤr das erſte geheiligte Geſetz aller europaͤiſchen Nazionen ange- ſehn, welche, ſelbſt ohne eine gluͤckliche Ausfuͤhrung der Plane Heinrich IV. und des Abt St. Pierre, eine alge- meine Republick des weitlaͤuftigen europaͤiſchen Welt- theils ausmachen, die ſtilſchweigend durch das große wechſelſeitige Intereſſe, ein rechtmaͤſiges Gleichgewicht der Macht unter ſich zu erhalten, zuſammen verbunden iſt. Nachdem die Macht der beiden Linien des Hauſes Oeſterreich durch dieſe langen ungluͤcklichen Kriege und durch den ſchwachen Karakter der Regenten aͤuſſerſt ver- mindert worden war, die franzoͤſiſche hingegen durch die geſchickte Staatskunſt und Staatsverwaltung der Kardi- naͤle Richelieu und Mazarin und nachher Ludwig XIV. verhaͤltnismaͤſig zugenommen hatte, richtete dieſer Mon- arch furchtbare und zalreiche Kriegsheere auf einen be- ſtaͤndigen Fuß ein, und wandte bey dem Einfall in die ſpaniſchen Niederlande, in Holland und in die Pfalz ſowohl, als durch die algemein bekante Reunionskam- mer ſeine Macht dergeſtalt an, daß er faſt durchgaͤngig dafuͤr angeſehn ward, als trachte er, an die Stelle des Hauſes Oeſterreich, nach der Univerſalmonarchie. Nun- mehr kehrte man gegen ihn den Namen und die Waffen des Gleichgewichts. Daher hatten alle die großen Buͤnd- niſſe, welche gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts wider ihn geſchloſſen wurden, ingleichen die Kriege, die ſich 1679 durch den Nimweger und 1697 durch den Rys- wicker Frieden endigten, ihren Urſprung. Man beſchleu- nigte den leztern, weil die nahe Erloͤſchung der oͤſterrei- chiſch-ſpaniſchen Linie vorauszuſehen war. Die beiden Seemaͤchte, England und Holland, deren Vereinigung Koͤnig Wilhelm, ein Prinz von Oranien, bewuͤrkt hat- te, die eben damals den Namen und die Rolle der See- maͤchte annahmen, und das Gleichgewicht von Europa in Haͤnden
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Von der Macht der Nazionen
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erſte geheiligte Geſetz aller europaͤiſchen Nazionen ange-
ſehn, welche, ſelbſt ohne eine gluͤckliche Ausfuͤhrung der
Plane Heinrich IV. und des Abt St. Pierre, eine alge-
meine Republick des weitlaͤuftigen europaͤiſchen Welt-
theils ausmachen, die ſtilſchweigend durch das große
wechſelſeitige Intereſſe, ein rechtmaͤſiges Gleichgewicht
der Macht unter ſich zu erhalten, zuſammen verbunden
iſt. Nachdem die Macht der beiden Linien des Hauſes
Oeſterreich durch dieſe langen ungluͤcklichen Kriege und
durch den ſchwachen Karakter der Regenten aͤuſſerſt ver-
mindert worden war, die franzoͤſiſche hingegen durch die
geſchickte Staatskunſt und Staatsverwaltung der Kardi-
naͤle Richelieu und Mazarin und nachher Ludwig XIV.
verhaͤltnismaͤſig zugenommen hatte, richtete dieſer Mon-
arch furchtbare und zalreiche Kriegsheere auf einen be-
ſtaͤndigen Fuß ein, und wandte bey dem Einfall in die
ſpaniſchen Niederlande, in Holland und in die Pfalz
ſowohl, als durch die algemein bekante Reunionskam-
mer ſeine Macht dergeſtalt an, daß er faſt durchgaͤngig
dafuͤr angeſehn ward, als trachte er, an die Stelle des
Hauſes Oeſterreich, nach der Univerſalmonarchie. Nun-
mehr kehrte man gegen ihn den Namen und die Waffen
des Gleichgewichts. Daher hatten alle die großen Buͤnd-
niſſe, welche gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts
wider ihn geſchloſſen wurden, ingleichen die Kriege, die
ſich 1679 durch den Nimweger und 1697 durch den Rys-
wicker Frieden endigten, ihren Urſprung. Man beſchleu-
nigte den leztern, weil die nahe Erloͤſchung der oͤſterrei-
chiſch-ſpaniſchen Linie vorauszuſehen war. Die beiden
Seemaͤchte, England und Holland, deren Vereinigung
Koͤnig Wilhelm, ein Prinz von Oranien, bewuͤrkt hat-
te, die eben damals den Namen und die Rolle der See-
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