Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.Von der Macht der Nazionen die einleuchtendste Art. Aus diesem anhaltenden Strei-te zwischen den beiden Systemen, der großen österreichi- schen Monarchie und dem entgegengesezten System des Gleichgewichts entsprangen die beständigen Kriege zwi- schen Karl V. und Franz I., zwischen Philip II. auf einer und den Franzosen, Holländern und Engländern auf der andern Seite, und endlich iener bekante teutsche, oder dreissigiährige Krieg, den die beiden Linien des Hauses Oesterreich gegen die teutschen Fürsten, Schweden, Frankreich und Holland führten. Während dieser wichti- gen Epoche des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts errichteten die Fürsten Teutschlands im Jahr 1530 den berühmten schmalkaldischen Bund, und 1610 und 1633 die beiden Unionen zu Halle und Heilbrunn, und zwar die leztere unter schwedischer Begünstigung: im Jahre 1690 endlich, bey Gelegenheit der Clevischen Erbfolge, ersann Heinrich IV. König von Frankreich den berüch- tigten Plan einer algemeinen Republick von Europa, der aber mit der Ermordung dieses großen Fürsten ein Ende nahm. Alle diese Plane wurden lediglich entwor- fen, um das Gleichgewicht in Europa und Teutschland gegen die gar zu große Macht und gegen die würklichen oder vermeintlichen Absichten des Hauses Oesterreich zu erhalten: Jedoch erduldeten nicht eben die beiden großen Monarchien Oesterreich und Frankreich die heftigsten Stösse; es waren vielmehr die Fürsten von mitler Macht, welche durch ihre Kräfte und persönliche Fähigkeiten in entscheidenden Zeitpunkten das bereits auf österreichische Seite überschlagende Gleichgewicht wiederherstelten. Der muthige Moriz, Herzog und Kurfürst von Sachsen, war es, der mit einer Handvoll seiner Vasallen Karl V. zu rechter Zeit in Tyrol angrif, ihm 1552 den Passauischen Vertrag und den ersten Religionsfrieden, nebst der Frei- heit seiner beiden erlauchten Gefangenen, des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und des Landgrafen von Hessen,
Von der Macht der Nazionen die einleuchtendſte Art. Aus dieſem anhaltenden Strei-te zwiſchen den beiden Syſtemen, der großen oͤſterreichi- ſchen Monarchie und dem entgegengeſezten Syſtem des Gleichgewichts entſprangen die beſtaͤndigen Kriege zwi- ſchen Karl V. und Franz I., zwiſchen Philip II. auf einer und den Franzoſen, Hollaͤndern und Englaͤndern auf der andern Seite, und endlich iener bekante teutſche, oder dreiſſigiaͤhrige Krieg, den die beiden Linien des Hauſes Oeſterreich gegen die teutſchen Fuͤrſten, Schweden, Frankreich und Holland fuͤhrten. Waͤhrend dieſer wichti- gen Epoche des ſechszehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts errichteten die Fuͤrſten Teutſchlands im Jahr 1530 den beruͤhmten ſchmalkaldiſchen Bund, und 1610 und 1633 die beiden Unionen zu Halle und Heilbrunn, und zwar die leztere unter ſchwediſcher Beguͤnſtigung: im Jahre 1690 endlich, bey Gelegenheit der Cleviſchen Erbfolge, erſann Heinrich IV. Koͤnig von Frankreich den beruͤch- tigten Plan einer algemeinen Republick von Europa, der aber mit der Ermordung dieſes großen Fuͤrſten ein Ende nahm. Alle dieſe Plane wurden lediglich entwor- fen, um das Gleichgewicht in Europa und Teutſchland gegen die gar zu große Macht und gegen die wuͤrklichen oder vermeintlichen Abſichten des Hauſes Oeſterreich zu erhalten: Jedoch erduldeten nicht eben die beiden großen Monarchien Oeſterreich und Frankreich die heftigſten Stoͤſſe; es waren vielmehr die Fuͤrſten von mitler Macht, welche durch ihre Kraͤfte und perſoͤnliche Faͤhigkeiten in entſcheidenden Zeitpunkten das bereits auf oͤſterreichiſche Seite uͤberſchlagende Gleichgewicht wiederherſtelten. Der muthige Moriz, Herzog und Kurfuͤrſt von Sachſen, war es, der mit einer Handvoll ſeiner Vaſallen Karl V. zu rechter Zeit in Tyrol angrif, ihm 1552 den Paſſauiſchen Vertrag und den erſten Religionsfrieden, nebſt der Frei- heit ſeiner beiden erlauchten Gefangenen, des Kurfuͤrſten Johann Friedrich von Sachſen und des Landgrafen von Heſſen,
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Von der Macht der Nazionen
die einleuchtendſte Art. Aus dieſem anhaltenden Strei-
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ſchen Monarchie und dem entgegengeſezten Syſtem des
Gleichgewichts entſprangen die beſtaͤndigen Kriege zwi-
ſchen Karl V. und Franz I., zwiſchen Philip II. auf einer
und den Franzoſen, Hollaͤndern und Englaͤndern auf
der andern Seite, und endlich iener bekante teutſche, oder
dreiſſigiaͤhrige Krieg, den die beiden Linien des Hauſes
Oeſterreich gegen die teutſchen Fuͤrſten, Schweden,
Frankreich und Holland fuͤhrten. Waͤhrend dieſer wichti-
gen Epoche des ſechszehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts
errichteten die Fuͤrſten Teutſchlands im Jahr 1530 den
beruͤhmten ſchmalkaldiſchen Bund, und 1610 und 1633
die beiden Unionen zu Halle und Heilbrunn, und zwar
die leztere unter ſchwediſcher Beguͤnſtigung: im Jahre
1690 endlich, bey Gelegenheit der Cleviſchen Erbfolge,
erſann Heinrich IV. Koͤnig von Frankreich den beruͤch-
tigten Plan einer algemeinen Republick von Europa,
der aber mit der Ermordung dieſes großen Fuͤrſten ein
Ende nahm. Alle dieſe Plane wurden lediglich entwor-
fen, um das Gleichgewicht in Europa und Teutſchland
gegen die gar zu große Macht und gegen die wuͤrklichen
oder vermeintlichen Abſichten des Hauſes Oeſterreich zu
erhalten: Jedoch erduldeten nicht eben die beiden großen
Monarchien Oeſterreich und Frankreich die heftigſten
Stoͤſſe; es waren vielmehr die Fuͤrſten von mitler Macht,
welche durch ihre Kraͤfte und perſoͤnliche Faͤhigkeiten in
entſcheidenden Zeitpunkten das bereits auf oͤſterreichiſche
Seite uͤberſchlagende Gleichgewicht wiederherſtelten. Der
muthige Moriz, Herzog und Kurfuͤrſt von Sachſen, war
es, der mit einer Handvoll ſeiner Vaſallen Karl V. zu
rechter Zeit in Tyrol angrif, ihm 1552 den Paſſauiſchen
Vertrag und den erſten Religionsfrieden, nebſt der Frei-
heit ſeiner beiden erlauchten Gefangenen, des Kurfuͤrſten
Johann Friedrich von Sachſen und des Landgrafen von
Heſſen,
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