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Grünberg, Helene: Frauenwahlrechtsbewegung in Bayern. In: Frauenwahlrecht! Hrsg. zum Zweiten Sozialdemokratischen Frauentag. 12. Mai 1912, S. 14–15.

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Frauenwahlrecht
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Frauenwahlrechtsbewegung in Bayern.

Jm schönen Bayerland hat sich trotz der vielen Kirchturm-
spitzen eine sozialdemokratische Frauenbewegung entwickelt,
die kraftvoll den Kampf für das Frauenwahlrecht führt.

Die ersten Anfänge dieser Bewegung gehen bis in die
Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück.[Spaltenumbruch] Da aber damals die einberufenen Frauenversammlungen
verboten wurden und Frauenvereine nicht gegründet werden
durften, so schlief die Bewegung langsam wieder ein. Jedoch
nur, um bald immer wieder aufs neue zu erwachen. Und
das trotz der Schneidigkeit und Rührigkeit, mit der die Be-
hörden daran gingen, die proletarischen Frauen von jeder
Aufklärung und Organisation abzusperren. Wie streng und
gekünstelt in jenen Zeiten das alte bayerische Vereinsrecht
ausgelegt wurde, würde ein ganzes Buch füllen. Als zum
Beispiel 1894 in der großen Jndustriestadt Nürnberg, wo
viele Tausende Arbeiterinnen dem Kapital Profit schaffen,
das erste deutsche Arbeitersekretariat gegründet wurde, woll-
ten die Behörden keine Frauen in der Gründungs-
versammlung dulden. Diese verfiel der Auflösung, weil der
Vorsitzende sich weigerte, die Arbeiterinnen aus dem Saale
zu weisen. Strafmandate über Strafmandate regnete es
nur so in der Arbeiterbewegung, weil Frauen sich an öffent-
lichen Versammlungen beteiligen wollten.

Als Antwort auf die behördlichen Schikanen bei der
Praxis des Vereinsrechtes entsandte der Nürnberger Frauen-
und Mädchenbildungsverein 1894 eine Delegierte zum Frank-
furter Parteitag der Sozialdemokratie. Nun aber schlug die
Polizei mit Donnerkeilen drein, in dem Wahne, dadurch den
Freiheitsdrang der Proletarierinnen zu töten. Der Bil-
dungsverein verfiel als politisch der Auflösung, und sämt-
liche Mitglieder erhielten Strafmandate. Die in einem
Kassenbuch verzeichnete Ausgabe von ganzen 24 Pfennig
für rote Bändchen war ein Beweis des politischen Charakters
der Organisation, ihre Hauptsünde war die materielle Unter-
stützung der Gewerkschaften. Hatten die Behörden geglaubt,
mit plumper Faust die proletarische Frauenbewegung ab-
würgen zu können, so zeigte sich bald, wie gewaltig sie sich
darin irrten. Denn die Entwicklung stand nicht
still
. Einen mächtigen Wegbereiter und Bundesgenossen
erhielt die sozialdemokratische Frauenbewegung durch die
ungeheure Zunahme der beruflichen Frauenarbeit in Bayern.

Diese Entwicklung der Dinge wird uns durch den Ver-
gleich zwischen den Ergebnissen der Berufs- und Gewerbe-
zählung von 1895 und 1907 anschaulich vor Augen geführt.
Jn der Landwirtschaft Bayerns allein stieg die Zahl der
erwerbstätigen Frauen zwischen den genannten Erhebungs-
jahren von 472117 auf 821002. Der rasche Vormarsch der
Frauenarbeit in Jndustrie und Gewerbe wird durch die
160734 Jndustriearbeiterinnen gezeigt, die 1907 ausgebeutet
wurden, 1895 waren es ihrer nur 99393 gewesen. Wir
finden die Arbeiterinnen in Porzellanfabriken und in der
Metallindustrie: in Lebküchereien, Bleistift-, Pinsel- und
Schuhfabriken. Jn der Textil- und in den chemischen Jn-
dustrie, in den Werkstätten des Bekleidungsgewerbes regen
sich viele Tausende fleißiger Frauenhände. Auch im Handel
und Verkehr hat die Frauenarbeit riesig zugenommen. 1895
hatten im Handelsgewerbe, Zeitungswesen, Post- und Tele-
graphen- und Eisenbahndienst und im Gast- und Schank-
wirtschaftsgewerbe 62749 Frauen und Mädchen ihr Brot
gesucht, 1907 betrug hier die Zahl der weiblichen Erwerbs-
tätigen 109382. Eine Abnahme ist für die Zeit zwischen den
Vergleichsjahren nur für die Dienenden zu verzeichnen, deren
Zahl von 138935 auf 115080 sank. verschiedene Gründe
haben den Rückgang bewirkt, ein besonders wichtiger darunter
ist das wachsende Freiheitsgefühl der Dienenden, das sich
gegen die große persönliche Abhängigkeit auflehnt, wie sie
durch die veralteten Gesindeordnungen rechtlich geheiligt und
gefestigt wird. Die Gesamtzahl der in Bayern um Brot und
Lohn schaffenden Frauen und Mädchen ist von 1895 bis 1907
von 808584 auf 1264747 gestiegen.

Fünfviertel Millionen Frauen, die Reichtum und Kultur
schaffen, fünfviertel Millionen Frauen und Mädchen, von
denen die erdrückende Mehrzahl "Schätze hebt für den Wicht",
während sie selbst darbt. Ein Heer weiblicher Gesellschafts-
bürger, die alle Steuerlasten in Staat und Gemeinde mit-
zutragen haben, die allen Gesetzen des Landes unterworfen
sind, und deren Leben von fast allen öffentlichen Einrich-[Spaltenumbruch]

Frauenwahlrecht
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Frauenwahlrechtsbewegung in Bayern.

Jm schönen Bayerland hat sich trotz der vielen Kirchturm-
spitzen eine sozialdemokratische Frauenbewegung entwickelt,
die kraftvoll den Kampf für das Frauenwahlrecht führt.

Die ersten Anfänge dieser Bewegung gehen bis in die
Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück.[Spaltenumbruch] Da aber damals die einberufenen Frauenversammlungen
verboten wurden und Frauenvereine nicht gegründet werden
durften, so schlief die Bewegung langsam wieder ein. Jedoch
nur, um bald immer wieder aufs neue zu erwachen. Und
das trotz der Schneidigkeit und Rührigkeit, mit der die Be-
hörden daran gingen, die proletarischen Frauen von jeder
Aufklärung und Organisation abzusperren. Wie streng und
gekünstelt in jenen Zeiten das alte bayerische Vereinsrecht
ausgelegt wurde, würde ein ganzes Buch füllen. Als zum
Beispiel 1894 in der großen Jndustriestadt Nürnberg, wo
viele Tausende Arbeiterinnen dem Kapital Profit schaffen,
das erste deutsche Arbeitersekretariat gegründet wurde, woll-
ten die Behörden keine Frauen in der Gründungs-
versammlung dulden. Diese verfiel der Auflösung, weil der
Vorsitzende sich weigerte, die Arbeiterinnen aus dem Saale
zu weisen. Strafmandate über Strafmandate regnete es
nur so in der Arbeiterbewegung, weil Frauen sich an öffent-
lichen Versammlungen beteiligen wollten.

Als Antwort auf die behördlichen Schikanen bei der
Praxis des Vereinsrechtes entsandte der Nürnberger Frauen-
und Mädchenbildungsverein 1894 eine Delegierte zum Frank-
furter Parteitag der Sozialdemokratie. Nun aber schlug die
Polizei mit Donnerkeilen drein, in dem Wahne, dadurch den
Freiheitsdrang der Proletarierinnen zu töten. Der Bil-
dungsverein verfiel als politisch der Auflösung, und sämt-
liche Mitglieder erhielten Strafmandate. Die in einem
Kassenbuch verzeichnete Ausgabe von ganzen 24 Pfennig
für rote Bändchen war ein Beweis des politischen Charakters
der Organisation, ihre Hauptsünde war die materielle Unter-
stützung der Gewerkschaften. Hatten die Behörden geglaubt,
mit plumper Faust die proletarische Frauenbewegung ab-
würgen zu können, so zeigte sich bald, wie gewaltig sie sich
darin irrten. Denn die Entwicklung stand nicht
still
. Einen mächtigen Wegbereiter und Bundesgenossen
erhielt die sozialdemokratische Frauenbewegung durch die
ungeheure Zunahme der beruflichen Frauenarbeit in Bayern.

Diese Entwicklung der Dinge wird uns durch den Ver-
gleich zwischen den Ergebnissen der Berufs- und Gewerbe-
zählung von 1895 und 1907 anschaulich vor Augen geführt.
Jn der Landwirtschaft Bayerns allein stieg die Zahl der
erwerbstätigen Frauen zwischen den genannten Erhebungs-
jahren von 472117 auf 821002. Der rasche Vormarsch der
Frauenarbeit in Jndustrie und Gewerbe wird durch die
160734 Jndustriearbeiterinnen gezeigt, die 1907 ausgebeutet
wurden, 1895 waren es ihrer nur 99393 gewesen. Wir
finden die Arbeiterinnen in Porzellanfabriken und in der
Metallindustrie: in Lebküchereien, Bleistift-, Pinsel- und
Schuhfabriken. Jn der Textil- und in den chemischen Jn-
dustrie, in den Werkstätten des Bekleidungsgewerbes regen
sich viele Tausende fleißiger Frauenhände. Auch im Handel
und Verkehr hat die Frauenarbeit riesig zugenommen. 1895
hatten im Handelsgewerbe, Zeitungswesen, Post- und Tele-
graphen- und Eisenbahndienst und im Gast- und Schank-
wirtschaftsgewerbe 62749 Frauen und Mädchen ihr Brot
gesucht, 1907 betrug hier die Zahl der weiblichen Erwerbs-
tätigen 109382. Eine Abnahme ist für die Zeit zwischen den
Vergleichsjahren nur für die Dienenden zu verzeichnen, deren
Zahl von 138935 auf 115080 sank. verschiedene Gründe
haben den Rückgang bewirkt, ein besonders wichtiger darunter
ist das wachsende Freiheitsgefühl der Dienenden, das sich
gegen die große persönliche Abhängigkeit auflehnt, wie sie
durch die veralteten Gesindeordnungen rechtlich geheiligt und
gefestigt wird. Die Gesamtzahl der in Bayern um Brot und
Lohn schaffenden Frauen und Mädchen ist von 1895 bis 1907
von 808584 auf 1264747 gestiegen.

Fünfviertel Millionen Frauen, die Reichtum und Kultur
schaffen, fünfviertel Millionen Frauen und Mädchen, von
denen die erdrückende Mehrzahl „Schätze hebt für den Wicht“,
während sie selbst darbt. Ein Heer weiblicher Gesellschafts-
bürger, die alle Steuerlasten in Staat und Gemeinde mit-
zutragen haben, die allen Gesetzen des Landes unterworfen
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[14/0001] Frauenwahlrecht ________________________________________________________________ Frauenwahlrechtsbewegung in Bayern. Jm schönen Bayerland hat sich trotz der vielen Kirchturm- spitzen eine sozialdemokratische Frauenbewegung entwickelt, die kraftvoll den Kampf für das Frauenwahlrecht führt. Die ersten Anfänge dieser Bewegung gehen bis in die Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Da aber damals die einberufenen Frauenversammlungen verboten wurden und Frauenvereine nicht gegründet werden durften, so schlief die Bewegung langsam wieder ein. Jedoch nur, um bald immer wieder aufs neue zu erwachen. Und das trotz der Schneidigkeit und Rührigkeit, mit der die Be- hörden daran gingen, die proletarischen Frauen von jeder Aufklärung und Organisation abzusperren. Wie streng und gekünstelt in jenen Zeiten das alte bayerische Vereinsrecht ausgelegt wurde, würde ein ganzes Buch füllen. Als zum Beispiel 1894 in der großen Jndustriestadt Nürnberg, wo viele Tausende Arbeiterinnen dem Kapital Profit schaffen, das erste deutsche Arbeitersekretariat gegründet wurde, woll- ten die Behörden keine Frauen in der Gründungs- versammlung dulden. Diese verfiel der Auflösung, weil der Vorsitzende sich weigerte, die Arbeiterinnen aus dem Saale zu weisen. Strafmandate über Strafmandate regnete es nur so in der Arbeiterbewegung, weil Frauen sich an öffent- lichen Versammlungen beteiligen wollten. Als Antwort auf die behördlichen Schikanen bei der Praxis des Vereinsrechtes entsandte der Nürnberger Frauen- und Mädchenbildungsverein 1894 eine Delegierte zum Frank- furter Parteitag der Sozialdemokratie. Nun aber schlug die Polizei mit Donnerkeilen drein, in dem Wahne, dadurch den Freiheitsdrang der Proletarierinnen zu töten. Der Bil- dungsverein verfiel als politisch der Auflösung, und sämt- liche Mitglieder erhielten Strafmandate. Die in einem Kassenbuch verzeichnete Ausgabe von ganzen 24 Pfennig für rote Bändchen war ein Beweis des politischen Charakters der Organisation, ihre Hauptsünde war die materielle Unter- stützung der Gewerkschaften. Hatten die Behörden geglaubt, mit plumper Faust die proletarische Frauenbewegung ab- würgen zu können, so zeigte sich bald, wie gewaltig sie sich darin irrten. Denn die Entwicklung stand nicht still. Einen mächtigen Wegbereiter und Bundesgenossen erhielt die sozialdemokratische Frauenbewegung durch die ungeheure Zunahme der beruflichen Frauenarbeit in Bayern. Diese Entwicklung der Dinge wird uns durch den Ver- gleich zwischen den Ergebnissen der Berufs- und Gewerbe- zählung von 1895 und 1907 anschaulich vor Augen geführt. Jn der Landwirtschaft Bayerns allein stieg die Zahl der erwerbstätigen Frauen zwischen den genannten Erhebungs- jahren von 472117 auf 821002. Der rasche Vormarsch der Frauenarbeit in Jndustrie und Gewerbe wird durch die 160734 Jndustriearbeiterinnen gezeigt, die 1907 ausgebeutet wurden, 1895 waren es ihrer nur 99393 gewesen. Wir finden die Arbeiterinnen in Porzellanfabriken und in der Metallindustrie: in Lebküchereien, Bleistift-, Pinsel- und Schuhfabriken. Jn der Textil- und in den chemischen Jn- dustrie, in den Werkstätten des Bekleidungsgewerbes regen sich viele Tausende fleißiger Frauenhände. Auch im Handel und Verkehr hat die Frauenarbeit riesig zugenommen. 1895 hatten im Handelsgewerbe, Zeitungswesen, Post- und Tele- graphen- und Eisenbahndienst und im Gast- und Schank- wirtschaftsgewerbe 62749 Frauen und Mädchen ihr Brot gesucht, 1907 betrug hier die Zahl der weiblichen Erwerbs- tätigen 109382. Eine Abnahme ist für die Zeit zwischen den Vergleichsjahren nur für die Dienenden zu verzeichnen, deren Zahl von 138935 auf 115080 sank. verschiedene Gründe haben den Rückgang bewirkt, ein besonders wichtiger darunter ist das wachsende Freiheitsgefühl der Dienenden, das sich gegen die große persönliche Abhängigkeit auflehnt, wie sie durch die veralteten Gesindeordnungen rechtlich geheiligt und gefestigt wird. Die Gesamtzahl der in Bayern um Brot und Lohn schaffenden Frauen und Mädchen ist von 1895 bis 1907 von 808584 auf 1264747 gestiegen. Fünfviertel Millionen Frauen, die Reichtum und Kultur schaffen, fünfviertel Millionen Frauen und Mädchen, von denen die erdrückende Mehrzahl „Schätze hebt für den Wicht“, während sie selbst darbt. Ein Heer weiblicher Gesellschafts- bürger, die alle Steuerlasten in Staat und Gemeinde mit- zutragen haben, die allen Gesetzen des Landes unterworfen sind, und deren Leben von fast allen öffentlichen Einrich-

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Zitationshilfe: Grünberg, Helene: Frauenwahlrechtsbewegung in Bayern. In: Frauenwahlrecht! Hrsg. zum Zweiten Sozialdemokratischen Frauentag. 12. Mai 1912, S. 14–15, hier S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gruenberg_frauenwahlrechtsbewegung_1912/1>, abgerufen am 23.11.2024.