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Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Die Conrectorin öffnete sofort das Fenster und versuchte der rasch Davonschreitenden nachzurufen. Wirklich stand Frau Julia still und grüßte mit der Hand herauf. Nun machte die Frau Conrectorin Gesten mit Beziehung auf sich und die Kirche, als wenn sie sagen wollte, daß sie auch kommen würde.

Darauf hin nickte Frau Julia flüchtig und schritt rascher als vorher davon.

Die gute Dame beeilte sich jetzt, ihren Anzug zu vollenden, aber seltsamerweise war gerade heute Alles verlegt und verwirrt, nichts wollte recht "klappen" und passen, und so dauerte es noch über eine halbe Stunde, bis sie über das Brückchen trippelte und zum Gottesacker hinaufschritt, wo die Bienen summten und der Flieder duftete, wo die eisernen Täfelchen an den Kreuzen blitzten und ein milder Lufthauch über die sammetnen Gräser der Gräber strich. Es war heute öde und einsam auf dem Friedhofe; nur fern auf der Landstraße rasselte eilig eine Chaise davon, und weißqualmend hob sich der Staub über die grünen Hecken.

Die Conrectorin trat in die Kirche. Es war Niemand mehr darin, die Messe war längst zu Ende, nur ein leiser Weihrauchduft schwebte noch in der Luft, und ein taubes, altes Mütterchen kniete in der letzten Bank.

Frau Conrectorin war offenbar zu spät gekommen, und doch wußte sie nicht, was sie denken sollte, daß sie Julien nicht mehr fand. -- Sollte sie wirklich wieder eine Promenade in den Stadtwald gemacht haben,

Die Conrectorin öffnete sofort das Fenster und versuchte der rasch Davonschreitenden nachzurufen. Wirklich stand Frau Julia still und grüßte mit der Hand herauf. Nun machte die Frau Conrectorin Gesten mit Beziehung auf sich und die Kirche, als wenn sie sagen wollte, daß sie auch kommen würde.

Darauf hin nickte Frau Julia flüchtig und schritt rascher als vorher davon.

Die gute Dame beeilte sich jetzt, ihren Anzug zu vollenden, aber seltsamerweise war gerade heute Alles verlegt und verwirrt, nichts wollte recht „klappen“ und passen, und so dauerte es noch über eine halbe Stunde, bis sie über das Brückchen trippelte und zum Gottesacker hinaufschritt, wo die Bienen summten und der Flieder duftete, wo die eisernen Täfelchen an den Kreuzen blitzten und ein milder Lufthauch über die sammetnen Gräser der Gräber strich. Es war heute öde und einsam auf dem Friedhofe; nur fern auf der Landstraße rasselte eilig eine Chaise davon, und weißqualmend hob sich der Staub über die grünen Hecken.

Die Conrectorin trat in die Kirche. Es war Niemand mehr darin, die Messe war längst zu Ende, nur ein leiser Weihrauchduft schwebte noch in der Luft, und ein taubes, altes Mütterchen kniete in der letzten Bank.

Frau Conrectorin war offenbar zu spät gekommen, und doch wußte sie nicht, was sie denken sollte, daß sie Julien nicht mehr fand. — Sollte sie wirklich wieder eine Promenade in den Stadtwald gemacht haben,

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[0105] Die Conrectorin öffnete sofort das Fenster und versuchte der rasch Davonschreitenden nachzurufen. Wirklich stand Frau Julia still und grüßte mit der Hand herauf. Nun machte die Frau Conrectorin Gesten mit Beziehung auf sich und die Kirche, als wenn sie sagen wollte, daß sie auch kommen würde. Darauf hin nickte Frau Julia flüchtig und schritt rascher als vorher davon. Die gute Dame beeilte sich jetzt, ihren Anzug zu vollenden, aber seltsamerweise war gerade heute Alles verlegt und verwirrt, nichts wollte recht „klappen“ und passen, und so dauerte es noch über eine halbe Stunde, bis sie über das Brückchen trippelte und zum Gottesacker hinaufschritt, wo die Bienen summten und der Flieder duftete, wo die eisernen Täfelchen an den Kreuzen blitzten und ein milder Lufthauch über die sammetnen Gräser der Gräber strich. Es war heute öde und einsam auf dem Friedhofe; nur fern auf der Landstraße rasselte eilig eine Chaise davon, und weißqualmend hob sich der Staub über die grünen Hecken. Die Conrectorin trat in die Kirche. Es war Niemand mehr darin, die Messe war längst zu Ende, nur ein leiser Weihrauchduft schwebte noch in der Luft, und ein taubes, altes Mütterchen kniete in der letzten Bank. Frau Conrectorin war offenbar zu spät gekommen, und doch wußte sie nicht, was sie denken sollte, daß sie Julien nicht mehr fand. — Sollte sie wirklich wieder eine Promenade in den Stadtwald gemacht haben,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

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Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/105>, abgerufen am 24.11.2024.