German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.Deß Abentheurl. Simplicissimi heiligen Willen zu leben/ und weil ich denselben wu-ste/ pflegte ich der Menschen Thun und Wesen ge- gen demselben abzuwegen/ in solcher Ubung bedünck- te mich/ ich sehe nichts als lauter Greuel: HErr GOtt! wie verwundert ich mich anfänglich/ wann ich das Gesetz und Evangelium/ sampt den getreuen Warnungen Christi betrachtete/ und hingegen der jenigen Werck ansahe/ die sich vor seine Junger und Nachfolger außgaben; An statt der auffrichtigen Meynung/ die ein jedweder rechtschaffener Christ haben soll/ fand ich eitel Heucheley/ und sonst so un- zehlbare Thorheiten bey allen Welt Menschen/ daß ich auch zweiffelte/ ob ich Christen vor mir hätte oder nicht? dann ich konte leichtlich mercken/ daß män- niglich den ernstlichen Willen GOttes wüste/ ich merckte aber hingegen keinen Ernst/ denselben zu voll- bringen. Also hatte ich wol tausenderley Grillen und seltza- auch
Deß Abentheurl. Simpliciſſimi heiligen Willen zu leben/ und weil ich denſelben wu-ſte/ pflegte ich der Menſchen Thun und Weſen ge- gen demſelben abzuwegen/ in ſolcher Ubung beduͤnck- te mich/ ich ſehe nichts als lauter Greuel: HErꝛ GOtt! wie verwundert ich mich anfaͤnglich/ wann ich das Geſetz und Evangelium/ ſampt den getreuen Warnungen Chriſti betrachtete/ und hingegen der jenigen Werck anſahe/ die ſich vor ſeine Jůnger und Nachfolger außgaben; An ſtatt der auffrichtigen Meynung/ die ein jedweder rechtſchaffener Chriſt haben ſoll/ fand ich eitel Heucheley/ und ſonſt ſo un- zehlbare Thorheiten bey allen Welt Menſchen/ daß ich auch zweiffelte/ ob ich Chriſten vor mir haͤtte oder nicht? dann ich konte leichtlich mercken/ daß maͤn- niglich den ernſtlichen Willen GOttes wuͤſte/ ich merckte aber hingegen keinen Ernſt/ denſelben zu voll- bringen. Alſo hatte ich wol tauſenderley Grillen und ſeltza- auch
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Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
heiligen Willen zu leben/ und weil ich denſelben wu-
ſte/ pflegte ich der Menſchen Thun und Weſen ge-
gen demſelben abzuwegen/ in ſolcher Ubung beduͤnck-
te mich/ ich ſehe nichts als lauter Greuel: HErꝛ
GOtt! wie verwundert ich mich anfaͤnglich/ wann
ich das Geſetz und Evangelium/ ſampt den getreuen
Warnungen Chriſti betrachtete/ und hingegen der
jenigen Werck anſahe/ die ſich vor ſeine Jůnger und
Nachfolger außgaben; An ſtatt der auffrichtigen
Meynung/ die ein jedweder rechtſchaffener Chriſt
haben ſoll/ fand ich eitel Heucheley/ und ſonſt ſo un-
zehlbare Thorheiten bey allen Welt Menſchen/ daß
ich auch zweiffelte/ ob ich Chriſten vor mir haͤtte oder
nicht? dann ich konte leichtlich mercken/ daß maͤn-
niglich den ernſtlichen Willen GOttes wuͤſte/ ich
merckte aber hingegen keinen Ernſt/ denſelben zu voll-
bringen.
Alſo hatte ich wol tauſenderley Grillen und ſeltza-
me Gedancken in meinem Gemuͤt/ und gerieth in
ſchwere Anfechtung/ wegen deß Befelchs Chriſti/
da er ſpricht: Richtet nicht/ ſo werdet ihr auch nicht
gerichtet. Nichts deſto weniger kamen mir die Wort
Pauli zu Gedaͤchtnus/ die er zun Gal. am 5. Cap.
ſchreibt: Offenbar ſind alle Wercke deß Fleiſches/
als da ſind Ehebruch/ Hurerey/ Unreinigkeit/ Un-
zucht/ Abgoͤtterey/ Zauberey/ Feindſchafft/ Hader/
Neid/ Zorn/ Zanck/ Zweytracht/ Rotten/ Haß/
Mord/ Sauffen/ Freſſen und dergleichen/ von wel-
chen ich euch habe zuvor geſagt/ und ſage es noch wie
zuvor/ daß die ſolches thun/ werden das Reich Got-
tes nicht ererben! Da gedachte ich/ das thut ja faſt
jederman offentlich/ warumb ſolte ich dann nicht
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