in einem Ton ausgehalten, sondern das Ganze so aus den vier gekrönten Tönen componirt wird, daß der erste Stoll aus einem, der zweite aus einem andern, der Abgesang aus dem dritten und der wiederkehrende Stoll aus dem vierten Ton geht. Hier also ein Meistersang der äußern Eintheilung und dem Namen nach und doch das Grundprincip, die Gleichheit des Stollen zerstört. Diese Ausnahme beweist eben so wenig gegen die Regel, als die Leiche. In Puschmanns Meister- hort auf Hans Sachs, wo drei ordentlich ausgesungene Töne ein Ganzes bilden, ist die Vereinigung weniger tadelhaft, in jenem Beispiel fast unvernünftig.
Bodmer mag es auch gefühlt haben, als er mehrere Leiche ausließ, ich finde in ihnen eine schwächere Poesie, es ist etwas eintöniges, und kein Ruhepunct. Die dem Dichter gegebene Mannichfaltigkeit hat ihm nur anscheinende, statt wahrer Frei- heit gelassen, denn er wird zu dem buntesten Wechsel genö- thigt, wo ihm einfache Wiederholung viel näher liegt. Unge- recht könnte indessen das Urtheil immer heißen, so lange wir nichts von der begleitenden Musik wissen, die sicher bei den Leichen mehr bedeutet hat, als bei andern Liedern.
Was schließlich die französischen lais betrifft, (wobei man einmal an laxatum, les; und dann an das entgegenstehende lay, Gesätz, Band, nordisch lag, denken kann); so sind sie et- was anderes gewesen, und hat Gottfried unleugbar das Wort in Leich verdeutscht, so lag ihm das letzte zu nah und gab einen vollkommenen Sinn, nur mehr unsern ursprünglichen als meistersängerischen. Nach Legrand 1. 105, der auch etwas von dem deutschen Lied gehört hat, wurden die lais gesungen und waren mit chauson einerlei. Vergleicht man aber die gedruckten lais von Lanval, Graelent, Aristote und de l'oi- seau, so stehen in einigen zwar ein Paar Sangverse, das meiste aber und die andern ganz ist wie jedes andere Fabliau unsingbar; also wieder der Gegensatz zu Gesang, um so mehr,
in einem Ton ausgehalten, ſondern das Ganze ſo aus den vier gekroͤnten Toͤnen componirt wird, daß der erſte Stoll aus einem, der zweite aus einem andern, der Abgeſang aus dem dritten und der wiederkehrende Stoll aus dem vierten Ton geht. Hier alſo ein Meiſterſang der aͤußern Eintheilung und dem Namen nach und doch das Grundprincip, die Gleichheit des Stollen zerſtoͤrt. Dieſe Ausnahme beweiſt eben ſo wenig gegen die Regel, als die Leiche. In Puſchmanns Meiſter- hort auf Hans Sachs, wo drei ordentlich ausgeſungene Toͤne ein Ganzes bilden, iſt die Vereinigung weniger tadelhaft, in jenem Beiſpiel faſt unvernuͤnftig.
Bodmer mag es auch gefuͤhlt haben, als er mehrere Leiche ausließ, ich finde in ihnen eine ſchwaͤchere Poeſie, es iſt etwas eintoͤniges, und kein Ruhepunct. Die dem Dichter gegebene Mannichfaltigkeit hat ihm nur anſcheinende, ſtatt wahrer Frei- heit gelaſſen, denn er wird zu dem bunteſten Wechſel genoͤ- thigt, wo ihm einfache Wiederholung viel naͤher liegt. Unge- recht koͤnnte indeſſen das Urtheil immer heißen, ſo lange wir nichts von der begleitenden Muſik wiſſen, die ſicher bei den Leichen mehr bedeutet hat, als bei andern Liedern.
Was ſchließlich die franzoͤſiſchen lais betrifft, (wobei man einmal an laxatum, les; und dann an das entgegenſtehende lay, Geſaͤtz, Band, nordiſch lag, denken kann); ſo ſind ſie et- was anderes geweſen, und hat Gottfried unleugbar das Wort in Leich verdeutſcht, ſo lag ihm das letzte zu nah und gab einen vollkommenen Sinn, nur mehr unſern urſpruͤnglichen als meiſterſaͤngeriſchen. Nach Legrand 1. 105, der auch etwas von dem deutſchen Lied gehoͤrt hat, wurden die lais geſungen und waren mit chauson einerlei. Vergleicht man aber die gedruckten lais von Lanval, Graelent, Aristote und de l’oi- seau, ſo ſtehen in einigen zwar ein Paar Sangverſe, das meiſte aber und die andern ganz iſt wie jedes andere Fabliau unſingbar; alſo wieder der Gegenſatz zu Geſang, um ſo mehr,
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[69/0079]
in einem Ton ausgehalten, ſondern das Ganze ſo aus den
vier gekroͤnten Toͤnen componirt wird, daß der erſte Stoll aus
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dritten und der wiederkehrende Stoll aus dem vierten Ton
geht. Hier alſo ein Meiſterſang der aͤußern Eintheilung und
dem Namen nach und doch das Grundprincip, die Gleichheit
des Stollen zerſtoͤrt. Dieſe Ausnahme beweiſt eben ſo wenig
gegen die Regel, als die Leiche. In Puſchmanns Meiſter-
hort auf Hans Sachs, wo drei ordentlich ausgeſungene Toͤne
ein Ganzes bilden, iſt die Vereinigung weniger tadelhaft, in
jenem Beiſpiel faſt unvernuͤnftig.
Bodmer mag es auch gefuͤhlt haben, als er mehrere Leiche
ausließ, ich finde in ihnen eine ſchwaͤchere Poeſie, es iſt etwas
eintoͤniges, und kein Ruhepunct. Die dem Dichter gegebene
Mannichfaltigkeit hat ihm nur anſcheinende, ſtatt wahrer Frei-
heit gelaſſen, denn er wird zu dem bunteſten Wechſel genoͤ-
thigt, wo ihm einfache Wiederholung viel naͤher liegt. Unge-
recht koͤnnte indeſſen das Urtheil immer heißen, ſo lange wir
nichts von der begleitenden Muſik wiſſen, die ſicher bei den
Leichen mehr bedeutet hat, als bei andern Liedern.
Was ſchließlich die franzoͤſiſchen lais betrifft, (wobei man
einmal an laxatum, les; und dann an das entgegenſtehende
lay, Geſaͤtz, Band, nordiſch lag, denken kann); ſo ſind ſie et-
was anderes geweſen, und hat Gottfried unleugbar das Wort
in Leich verdeutſcht, ſo lag ihm das letzte zu nah und gab
einen vollkommenen Sinn, nur mehr unſern urſpruͤnglichen als
meiſterſaͤngeriſchen. Nach Legrand 1. 105, der auch etwas
von dem deutſchen Lied gehoͤrt hat, wurden die lais geſungen
und waren mit chauson einerlei. Vergleicht man aber die
gedruckten lais von Lanval, Graelent, Aristote und de l’oi-
seau, ſo ſtehen in einigen zwar ein Paar Sangverſe, das
meiſte aber und die andern ganz iſt wie jedes andere Fabliau
unſingbar; alſo wieder der Gegenſatz zu Geſang, um ſo mehr,
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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/79>, abgerufen am 16.02.2025.
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