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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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weichung in die Volkspoesie nennen (nur nicht ihrer Form,
sondern ihres Inhalts wegen). Wenigstens stehen die meisten
auf gleicher Linie mit der Manier Neidharts und anderer
seiner Zeit.

Das stelle ich bloß dahin und bemerke noch auf der an-
dern Seite, daß ganz spät in dem Meistergesang Zusammen-
setzungen von Tönen statt finden, die ich zwar für keine wirk-
liche Leiche ausgebe, schon des fehlenden Namens halben, die
aber, was die Hauptsache, von der Gewohnheit abweichend,
dem feststehenden Princip untreu zu werden scheinen und den-
noch Meistersänge sind. Man sehe die Erzählung vom Ur-
sprung der Kunst bei Wagenseil, viele Töne und nur ein
Ganzes, aus jedem Ton nur ein Gesetz und so abgebrochen,
daß Worte und Sinn in den neuen Ton mit fallen. Die Ana-
logie ist gewissermaßen noch stärker in dem Probestück des neuen
Singers (Wagenseil l. c. 554.), wo nicht einmal ein Gesetz

nige Gründe sind für die Bejahung jener Frage, es fehlen aber
hier noch Rachforschungen, die man bisher vernachlässigt hat.
Der innige Zusammenhang des Meistergesangs mit Musik seit
der mittleren Epoche unterliegt keinem Zweifel, dahin weist
schon der entlehnte Ausdruck: Tabulatur, hin. Die musica
gehörte ja unter die sieben Künste, Marner 2. 177. singt
auch: melos et thonos canere dulcis nos docet musica.
(Im Zweifel jedoch, wo die Dichter von Tönen sprechen, denke
man mehr an die Form als die Musik.) Rumelant sagt
von diesem Marner: er habe Mußk an der Hand und Silben
am Finger. Gervelyn CCIV. wirft dem Misner vor, daß
er seine Töne von den Pfaffen habe, weiter nichts wisse, unter
den Pfaffentönen muß aber natürlich die unter der Geistlichkeit
besonders getriebene mußkalische Singkunst verstanden werden.
Auf Instrumente möchte ich, wie gesagt, diese Musik der mitt-
leren und späteren Meistersänger nicht ausdchnen. Die älteren
haben vielleicht sich manchmal der Geigen (cf. Unverzagter XIV-
XX.
) und der Harfe (Walter 1. 112. u. Tristan 4585. 88.)
bedient, gleich den Volksspielleuten. Ich erinnere auch hier an
Reinmar den Fideler.

weichung in die Volkspoeſie nennen (nur nicht ihrer Form,
ſondern ihres Inhalts wegen). Wenigſtens ſtehen die meiſten
auf gleicher Linie mit der Manier Neidharts und anderer
ſeiner Zeit.

Das ſtelle ich bloß dahin und bemerke noch auf der an-
dern Seite, daß ganz ſpaͤt in dem Meiſtergeſang Zuſammen-
ſetzungen von Toͤnen ſtatt finden, die ich zwar fuͤr keine wirk-
liche Leiche ausgebe, ſchon des fehlenden Namens halben, die
aber, was die Hauptſache, von der Gewohnheit abweichend,
dem feſtſtehenden Princip untreu zu werden ſcheinen und den-
noch Meiſterſaͤnge ſind. Man ſehe die Erzaͤhlung vom Ur-
ſprung der Kunſt bei Wagenſeil, viele Toͤne und nur ein
Ganzes, aus jedem Ton nur ein Geſetz und ſo abgebrochen,
daß Worte und Sinn in den neuen Ton mit fallen. Die Ana-
logie iſt gewiſſermaßen noch ſtaͤrker in dem Probeſtuͤck des neuen
Singers (Wagenſeil l. c. 554.), wo nicht einmal ein Geſetz

nige Gruͤnde ſind fuͤr die Bejahung jener Frage, es fehlen aber
hier noch Rachforſchungen, die man bisher vernachlaͤſſigt hat.
Der innige Zuſammenhang des Meiſtergeſangs mit Muſik ſeit
der mittleren Epoche unterliegt keinem Zweifel, dahin weiſt
ſchon der entlehnte Ausdruck: Tabulatur, hin. Die musica
gehoͤrte ja unter die ſieben Kuͤnſte, Marner 2. 177. ſingt
auch: melos et thonos canere dulcis nos docet musica.
(Im Zweifel jedoch, wo die Dichter von Toͤnen ſprechen, denke
man mehr an die Form als die Muſik.) Rumelant ſagt
von dieſem Marner: er habe Mußk an der Hand und Silben
am Finger. Gervelyn CCIV. wirft dem Miſner vor, daß
er ſeine Toͤne von den Pfaffen habe, weiter nichts wiſſe, unter
den Pfaffentoͤnen muß aber natuͤrlich die unter der Geiſtlichkeit
beſonders getriebene mußkaliſche Singkunſt verſtanden werden.
Auf Inſtrumente moͤchte ich, wie geſagt, dieſe Muſik der mitt-
leren und ſpaͤteren Meiſterſaͤnger nicht ausdchnen. Die aͤlteren
haben vielleicht ſich manchmal der Geigen (cf. Unverzagter XIV-
XX.
) und der Harfe (Walter 1. 112. u. Triſtan 4585. 88.)
bedient, gleich den Volksſpielleuten. Ich erinnere auch hier an
Reinmar den Fideler.
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[68/0078] weichung in die Volkspoeſie nennen (nur nicht ihrer Form, ſondern ihres Inhalts wegen). Wenigſtens ſtehen die meiſten auf gleicher Linie mit der Manier Neidharts und anderer ſeiner Zeit. Das ſtelle ich bloß dahin und bemerke noch auf der an- dern Seite, daß ganz ſpaͤt in dem Meiſtergeſang Zuſammen- ſetzungen von Toͤnen ſtatt finden, die ich zwar fuͤr keine wirk- liche Leiche ausgebe, ſchon des fehlenden Namens halben, die aber, was die Hauptſache, von der Gewohnheit abweichend, dem feſtſtehenden Princip untreu zu werden ſcheinen und den- noch Meiſterſaͤnge ſind. Man ſehe die Erzaͤhlung vom Ur- ſprung der Kunſt bei Wagenſeil, viele Toͤne und nur ein Ganzes, aus jedem Ton nur ein Geſetz und ſo abgebrochen, daß Worte und Sinn in den neuen Ton mit fallen. Die Ana- logie iſt gewiſſermaßen noch ſtaͤrker in dem Probeſtuͤck des neuen Singers (Wagenſeil l. c. 554.), wo nicht einmal ein Geſetz 52) 52) nige Gruͤnde ſind fuͤr die Bejahung jener Frage, es fehlen aber hier noch Rachforſchungen, die man bisher vernachlaͤſſigt hat. Der innige Zuſammenhang des Meiſtergeſangs mit Muſik ſeit der mittleren Epoche unterliegt keinem Zweifel, dahin weiſt ſchon der entlehnte Ausdruck: Tabulatur, hin. Die musica gehoͤrte ja unter die ſieben Kuͤnſte, Marner 2. 177. ſingt auch: melos et thonos canere dulcis nos docet musica. (Im Zweifel jedoch, wo die Dichter von Toͤnen ſprechen, denke man mehr an die Form als die Muſik.) Rumelant ſagt von dieſem Marner: er habe Mußk an der Hand und Silben am Finger. Gervelyn CCIV. wirft dem Miſner vor, daß er ſeine Toͤne von den Pfaffen habe, weiter nichts wiſſe, unter den Pfaffentoͤnen muß aber natuͤrlich die unter der Geiſtlichkeit beſonders getriebene mußkaliſche Singkunſt verſtanden werden. Auf Inſtrumente moͤchte ich, wie geſagt, dieſe Muſik der mitt- leren und ſpaͤteren Meiſterſaͤnger nicht ausdchnen. Die aͤlteren haben vielleicht ſich manchmal der Geigen (cf. Unverzagter XIV- XX.) und der Harfe (Walter 1. 112. u. Triſtan 4585. 88.) bedient, gleich den Volksſpielleuten. Ich erinnere auch hier an Reinmar den Fideler.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/78>, abgerufen am 24.11.2024.