Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Den berühmten schwarzen Ton Klingsohrs wird man in späte-
ren Meistergesangbüchern äußerst selten finden, ob er gleich in
Wagenseils Liste steht und in den Chroniken genau mit Neben.
umständen genannt wird. Büsching hat indessen auch ein spä-
teres Meisterlied in diesem Tone angetroffen und mitgetheilt 94).

Abgesehen von der Ungenauigkeit 95) der späteren Listen
und weil auch die Töne kleinen Veränderungen allerdings aus-
gesetzt gewesen, sind denn alle Lieder der alten Meister auf
uns gekommen? Auf fällt es, daß wir von Klingsor und Of-
terdingen fast nichts, von Wolfram, von Gottfried so wenig
Meisterlieder haben, können sich die fehlenden Töne nicht un-
ter den verlorenen finden? Nur ein Paar Blätter bleiben
uns vom Bruder Werner und er singt, 2. 162: "ich habe so
viel gesungen, daß mancher schwören würde, ich hätte mich
ausgesungen, ich habe aber noch alle Ecken voll von Liedern."

Nun wäre es Hauptsache, daß die Existenz der Töne selbst
gerechtfertigt stünde, ob die Namen eben so alt, bliebe aus.
zumachen; das wenigstens leuchtet ein, daß alle diese angebliche
Namen alter Töne sehr einfach lauten und dadurch den eige-
nen, blumigten der späteren Meister entgegenstehen. Die
Töne selber mögen sich mit einigen Beispielen legitimiren.
Klinsors eben genannter schwarzer Ton ist im spätern Meister-
sang gerade so gestaltet, wie im W. Kr selbst, er hat eilf
Zeilen oder zehn Reime, indem die letzte ohne Band. Bei-
spiele vom Marner und Bremberger habe ich schon im frühe-
ren Aufsatze gegeben. Es findet sich des Tanhäusers Hofton fast
eben so Man. 2. 67. und des Canzlers kurzer und guldener Ton

94) N. lit. Anz. 1808. Col. 403.
95) Wagenseils Liste ist unvollständig (er führt von Frauenlob über
12 Töne nicht an) und ungenau (Fr. langer Ton hat nicht 24
sondern 19 Reime, die Zeilen und Reime im Zählen häufig
verwechselt.) (Gegen Büsching.)

Den beruͤhmten ſchwarzen Ton Klingsohrs wird man in ſpaͤte-
ren Meiſtergeſangbuͤchern aͤußerſt ſelten finden, ob er gleich in
Wagenſeils Liſte ſteht und in den Chroniken genau mit Neben.
umſtaͤnden genannt wird. Buͤſching hat indeſſen auch ein ſpaͤ-
teres Meiſterlied in dieſem Tone angetroffen und mitgetheilt 94).

Abgeſehen von der Ungenauigkeit 95) der ſpaͤteren Liſten
und weil auch die Toͤne kleinen Veraͤnderungen allerdings aus-
geſetzt geweſen, ſind denn alle Lieder der alten Meiſter auf
uns gekommen? Auf faͤllt es, daß wir von Klingsor und Of-
terdingen faſt nichts, von Wolfram, von Gottfried ſo wenig
Meiſterlieder haben, koͤnnen ſich die fehlenden Toͤne nicht un-
ter den verlorenen finden? Nur ein Paar Blaͤtter bleiben
uns vom Bruder Werner und er ſingt, 2. 162: „ich habe ſo
viel geſungen, daß mancher ſchwoͤren wuͤrde, ich haͤtte mich
ausgeſungen, ich habe aber noch alle Ecken voll von Liedern.“

Nun waͤre es Hauptſache, daß die Exiſtenz der Toͤne ſelbſt
gerechtfertigt ſtuͤnde, ob die Namen eben ſo alt, bliebe aus.
zumachen; das wenigſtens leuchtet ein, daß alle dieſe angebliche
Namen alter Toͤne ſehr einfach lauten und dadurch den eige-
nen, blumigten der ſpaͤteren Meiſter entgegenſtehen. Die
Toͤne ſelber moͤgen ſich mit einigen Beiſpielen legitimiren.
Klinſors eben genannter ſchwarzer Ton iſt im ſpaͤtern Meiſter-
ſang gerade ſo geſtaltet, wie im W. Kr ſelbſt, er hat eilf
Zeilen oder zehn Reime, indem die letzte ohne Band. Bei-
ſpiele vom Marner und Bremberger habe ich ſchon im fruͤhe-
ren Aufſatze gegeben. Es findet ſich des Tanhaͤuſers Hofton faſt
eben ſo Man. 2. 67. und des Canzlers kurzer und guldener Ton

94) N. lit. Anz. 1808. Col. 403.
95) Wagenſeils Liſte iſt unvollſtaͤndig (er fuͤhrt von Frauenlob uͤber
12 Toͤne nicht an) und ungenau (Fr. langer Ton hat nicht 24
ſondern 19 Reime, die Zeilen und Reime im Zaͤhlen haͤufig
verwechſelt.) (Gegen Buͤſching.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0119" n="109"/>
Den beru&#x0364;hmten &#x017F;chwarzen Ton Klingsohrs wird man in &#x017F;pa&#x0364;te-<lb/>
ren Mei&#x017F;terge&#x017F;angbu&#x0364;chern a&#x0364;ußer&#x017F;t &#x017F;elten finden, ob er gleich in<lb/>
Wagen&#x017F;eils Li&#x017F;te &#x017F;teht und in den Chroniken genau mit Neben.<lb/>
um&#x017F;ta&#x0364;nden genannt wird. Bu&#x0364;&#x017F;ching hat inde&#x017F;&#x017F;en auch ein &#x017F;pa&#x0364;-<lb/>
teres Mei&#x017F;terlied in die&#x017F;em Tone angetroffen und mitgetheilt <note place="foot" n="94)">N. lit. Anz. 1808. Col. 403.</note>.</p><lb/>
            <p>Abge&#x017F;ehen von der Ungenauigkeit <note place="foot" n="95)">Wagen&#x017F;eils Li&#x017F;te i&#x017F;t unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndig (er fu&#x0364;hrt von Frauenlob u&#x0364;ber<lb/>
12 To&#x0364;ne nicht an) und ungenau (Fr. langer Ton hat nicht 24<lb/>
&#x017F;ondern 19 Reime, die Zeilen und Reime im Za&#x0364;hlen ha&#x0364;ufig<lb/>
verwech&#x017F;elt.) (Gegen <hi rendition="#g">Bu&#x0364;&#x017F;ching</hi>.)</note> der &#x017F;pa&#x0364;teren Li&#x017F;ten<lb/>
und weil auch die To&#x0364;ne kleinen Vera&#x0364;nderungen allerdings aus-<lb/>
ge&#x017F;etzt gewe&#x017F;en, &#x017F;ind denn alle Lieder der alten Mei&#x017F;ter auf<lb/>
uns gekommen? Auf fa&#x0364;llt es, daß wir von Klingsor und Of-<lb/>
terdingen fa&#x017F;t nichts, von Wolfram, von Gottfried &#x017F;o wenig<lb/>
Mei&#x017F;terlieder haben, ko&#x0364;nnen &#x017F;ich die fehlenden To&#x0364;ne nicht un-<lb/>
ter den verlorenen finden? Nur ein Paar Bla&#x0364;tter bleiben<lb/>
uns vom Bruder Werner und er &#x017F;ingt, 2. 162: &#x201E;ich habe &#x017F;o<lb/>
viel ge&#x017F;ungen, daß mancher &#x017F;chwo&#x0364;ren wu&#x0364;rde, ich ha&#x0364;tte mich<lb/>
ausge&#x017F;ungen, ich habe aber noch alle Ecken voll von Liedern.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Nun wa&#x0364;re es Haupt&#x017F;ache, daß die Exi&#x017F;tenz der To&#x0364;ne &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
gerechtfertigt &#x017F;tu&#x0364;nde, ob die Namen eben &#x017F;o alt, bliebe aus.<lb/>
zumachen; das wenig&#x017F;tens leuchtet ein, daß alle die&#x017F;e angebliche<lb/>
Namen alter To&#x0364;ne &#x017F;ehr einfach lauten und dadurch den eige-<lb/>
nen, blumigten der &#x017F;pa&#x0364;teren Mei&#x017F;ter entgegen&#x017F;tehen. Die<lb/>
To&#x0364;ne &#x017F;elber mo&#x0364;gen &#x017F;ich mit einigen Bei&#x017F;pielen legitimiren.<lb/>
Klin&#x017F;ors eben genannter &#x017F;chwarzer Ton i&#x017F;t im &#x017F;pa&#x0364;tern Mei&#x017F;ter-<lb/>
&#x017F;ang gerade &#x017F;o ge&#x017F;taltet, wie im W. Kr &#x017F;elb&#x017F;t, er hat eilf<lb/>
Zeilen oder zehn Reime, indem die letzte ohne Band. Bei-<lb/>
&#x017F;piele vom Marner und Bremberger habe ich &#x017F;chon im fru&#x0364;he-<lb/>
ren Auf&#x017F;atze gegeben. Es findet &#x017F;ich des Tanha&#x0364;u&#x017F;ers Hofton fa&#x017F;t<lb/>
eben &#x017F;o Man. 2. 67. und des Canzlers kurzer und guldener Ton<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0119] Den beruͤhmten ſchwarzen Ton Klingsohrs wird man in ſpaͤte- ren Meiſtergeſangbuͤchern aͤußerſt ſelten finden, ob er gleich in Wagenſeils Liſte ſteht und in den Chroniken genau mit Neben. umſtaͤnden genannt wird. Buͤſching hat indeſſen auch ein ſpaͤ- teres Meiſterlied in dieſem Tone angetroffen und mitgetheilt 94). Abgeſehen von der Ungenauigkeit 95) der ſpaͤteren Liſten und weil auch die Toͤne kleinen Veraͤnderungen allerdings aus- geſetzt geweſen, ſind denn alle Lieder der alten Meiſter auf uns gekommen? Auf faͤllt es, daß wir von Klingsor und Of- terdingen faſt nichts, von Wolfram, von Gottfried ſo wenig Meiſterlieder haben, koͤnnen ſich die fehlenden Toͤne nicht un- ter den verlorenen finden? Nur ein Paar Blaͤtter bleiben uns vom Bruder Werner und er ſingt, 2. 162: „ich habe ſo viel geſungen, daß mancher ſchwoͤren wuͤrde, ich haͤtte mich ausgeſungen, ich habe aber noch alle Ecken voll von Liedern.“ Nun waͤre es Hauptſache, daß die Exiſtenz der Toͤne ſelbſt gerechtfertigt ſtuͤnde, ob die Namen eben ſo alt, bliebe aus. zumachen; das wenigſtens leuchtet ein, daß alle dieſe angebliche Namen alter Toͤne ſehr einfach lauten und dadurch den eige- nen, blumigten der ſpaͤteren Meiſter entgegenſtehen. Die Toͤne ſelber moͤgen ſich mit einigen Beiſpielen legitimiren. Klinſors eben genannter ſchwarzer Ton iſt im ſpaͤtern Meiſter- ſang gerade ſo geſtaltet, wie im W. Kr ſelbſt, er hat eilf Zeilen oder zehn Reime, indem die letzte ohne Band. Bei- ſpiele vom Marner und Bremberger habe ich ſchon im fruͤhe- ren Aufſatze gegeben. Es findet ſich des Tanhaͤuſers Hofton faſt eben ſo Man. 2. 67. und des Canzlers kurzer und guldener Ton 94) N. lit. Anz. 1808. Col. 403. 95) Wagenſeils Liſte iſt unvollſtaͤndig (er fuͤhrt von Frauenlob uͤber 12 Toͤne nicht an) und ungenau (Fr. langer Ton hat nicht 24 ſondern 19 Reime, die Zeilen und Reime im Zaͤhlen haͤufig verwechſelt.) (Gegen Buͤſching.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/119
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/119>, abgerufen am 28.04.2024.