Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.Anfangszeile eines anderen (verlorenen) vorgesetzt worden seyn, Die nachherigen Meistersänger führen uns hingegen viele Sollen wir das für bloße Lüge halten? Man wird leicht Ferner: eine Anzahl der angeführten alten Töne ist ja Anfangszeile eines anderen (verlorenen) vorgeſetzt worden ſeyn, Die nachherigen Meiſterſaͤnger fuͤhren uns hingegen viele Sollen wir das fuͤr bloße Luͤge halten? Man wird leicht Ferner: eine Anzahl der angefuͤhrten alten Toͤne iſt ja <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0118" n="108"/> Anfangszeile eines anderen (verlorenen) vorgeſetzt worden ſeyn,<lb/> um damit gleich die Melodie zuruͤck zu rufen. Merkwuͤrdiger<lb/> iſt, daß nachdem die vielen Lieder Reinmars von Zweter, die<lb/> immer in demſelben Ton ſtehen, zu Ende gegangen (2. 155.)<lb/> vor dem letzten noch bemerkt wird: „dieß iſt in <hi rendition="#g">Frauen<lb/> Ehren ton</hi>.“</p><lb/> <p>Die nachherigen Meiſterſaͤnger fuͤhren uns hingegen viele<lb/> Toͤne an, die den fruͤhern, ſelbſt den fruͤhſten Dichtern an-<lb/> gehoͤren. Da ſieht man: Ofterdingens Morgenweis, Wal-<lb/> ters langen und Creuzton, von Wolfram einen langen, gulde-<lb/> nen und (verſchiedenen) verguldten Ton, ferner ſeine kurze,<lb/> Flam- und Hoͤnweis; von Canzler einen langen und kurzen;<lb/> von Conrad v. W. einen abgeſpitzten Ton; von Stoll den Bluͤt<lb/> und Almentton, um anderer von Tanhauſer, Marner, Erenbot,<lb/> (der ſich doch ſelbſt in keiner ſpaͤtern Meiſterſaͤngerliſte findet).<lb/> Regenbogen und Frauenlob zu geſchweigen.</p><lb/> <p>Sollen wir das fuͤr bloße Luͤge halten? Man wird leicht<lb/> ſagen, daß ſich keine Spur der Namen in der maneßiſchen S.<lb/> zeige und unter den Liedern dieſer Dichter ſchwerlich ſolche an-<lb/> getroffen werden, deren Schema mit dem ſpaͤter bekannten und<lb/> uͤblichen uͤbereinſtimme. Allein vorerſt bemerke ich, daß wenn<lb/> die Toͤnenamen unguͤltig ſeyn ſollen, weil ſie nicht in maneßi-<lb/> ſcher S. den Liedern vorgeſetzt ſind, alsdann ihr Gebrauch<lb/> uͤberhaupt ſehr weit zuruͤckgeſetzt werden muß. Denn warum<lb/> ſetzt dieſe zu Frauenlobs, Marners, Regenbogen ꝛc. Geſaͤngen<lb/> ebenfalls nie einen Namen bei, da ſich doch hier die beſtimm-<lb/> ten Toͤne, ſo wie ſie gerade ſpaͤterhin gangbar, genau vorfin-<lb/> den und die beſtimmt uͤblichen Namen in dieſem Fall doch nicht<lb/> leicht einer ſpaͤteren Erdichtung beziehen werden moͤgen?</p><lb/> <p>Ferner: eine Anzahl der angefuͤhrten alten Toͤne iſt ja<lb/> eben bei den ſpaͤten Meiſtern nicht ſehr im Gebrauch, es ſchei-<lb/> nen wirklich bloß ihre Namen bekannt geblieben zu ſeyn. Die<lb/> Erdichtung der Namen waͤre alſo zwecklos. Nur ein Beiſpiel.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0118]
Anfangszeile eines anderen (verlorenen) vorgeſetzt worden ſeyn,
um damit gleich die Melodie zuruͤck zu rufen. Merkwuͤrdiger
iſt, daß nachdem die vielen Lieder Reinmars von Zweter, die
immer in demſelben Ton ſtehen, zu Ende gegangen (2. 155.)
vor dem letzten noch bemerkt wird: „dieß iſt in Frauen
Ehren ton.“
Die nachherigen Meiſterſaͤnger fuͤhren uns hingegen viele
Toͤne an, die den fruͤhern, ſelbſt den fruͤhſten Dichtern an-
gehoͤren. Da ſieht man: Ofterdingens Morgenweis, Wal-
ters langen und Creuzton, von Wolfram einen langen, gulde-
nen und (verſchiedenen) verguldten Ton, ferner ſeine kurze,
Flam- und Hoͤnweis; von Canzler einen langen und kurzen;
von Conrad v. W. einen abgeſpitzten Ton; von Stoll den Bluͤt
und Almentton, um anderer von Tanhauſer, Marner, Erenbot,
(der ſich doch ſelbſt in keiner ſpaͤtern Meiſterſaͤngerliſte findet).
Regenbogen und Frauenlob zu geſchweigen.
Sollen wir das fuͤr bloße Luͤge halten? Man wird leicht
ſagen, daß ſich keine Spur der Namen in der maneßiſchen S.
zeige und unter den Liedern dieſer Dichter ſchwerlich ſolche an-
getroffen werden, deren Schema mit dem ſpaͤter bekannten und
uͤblichen uͤbereinſtimme. Allein vorerſt bemerke ich, daß wenn
die Toͤnenamen unguͤltig ſeyn ſollen, weil ſie nicht in maneßi-
ſcher S. den Liedern vorgeſetzt ſind, alsdann ihr Gebrauch
uͤberhaupt ſehr weit zuruͤckgeſetzt werden muß. Denn warum
ſetzt dieſe zu Frauenlobs, Marners, Regenbogen ꝛc. Geſaͤngen
ebenfalls nie einen Namen bei, da ſich doch hier die beſtimm-
ten Toͤne, ſo wie ſie gerade ſpaͤterhin gangbar, genau vorfin-
den und die beſtimmt uͤblichen Namen in dieſem Fall doch nicht
leicht einer ſpaͤteren Erdichtung beziehen werden moͤgen?
Ferner: eine Anzahl der angefuͤhrten alten Toͤne iſt ja
eben bei den ſpaͤten Meiſtern nicht ſehr im Gebrauch, es ſchei-
nen wirklich bloß ihre Namen bekannt geblieben zu ſeyn. Die
Erdichtung der Namen waͤre alſo zwecklos. Nur ein Beiſpiel.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |