Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

was half das Wünschen, es wuchsen ihm keine Flügel. Jndem er so stand, und sich nicht zu helfen wußte, erblickte er nicht weit von sich zwei Männer, die heftig miteinander stritten. Er gieng auf sie zu und sah daß sie wegen eines Sattels uneins waren, der vor ihnen auf der Erde lag und den jeder von ihnen haben wollte. 'Was seid ihr für Narren,' sprach er, 'zankt euch um einen Sattel und habt kein Pferd dazu.' 'Der Sattel ist werth daß man darum streitet,' antwortete der eine von den Männern, 'wer darauf sitzt und wünscht sich irgend wohin, und wärs am Ende der Welt, der ist im Augenblick angelangt, wie er den Wunsch ausgesprochen hat. Der Sattel gehört uns gemeinschaftlich, die Reihe darauf zu reiten ist an mir, aber der andere will es nicht zulassen.' 'Den Streit will ich bald austragen,' sagte der Trommler, gieng eine Strecke weit und steckte einen weißen Stab in die Erde. Dann kam er zurück und sprach 'jetzt lauft nach dem Ziel, wer zuerst dort ist, der reitet zuerst.' Beide setzten sich in Trab, aber kaum waren sie ein paar Schritte weg, so schwang sich der Trommler auf den Sattel, wünschte sich auf den Glasberg, und ehe man die Hand umdrehte, war er dort. Auf dem Berg oben war eine Ebne, da stand ein altes steinernes Haus, und vor dem Haus lag ein großer Fischteich, dahinter aber ein finsterer Wald. Menschen und Thiere sah er nicht, es war alles still, nur der Wind raschelte in den Bäumen, und die Wolken zogen ganz nah über seinem Haupt weg. Er trat an die Thüre und klopfte an. Als er zum drittenmal geklopft hatte, öffnete eine Alte mit braunem Gesicht und rothen Augen die Thüre; sie hatte eine Brille auf ihrer langen Nase und sah ihn scharf an, dann fragte sie was sein Begehren wäre. 'Einlaß, Kost und Nachtlager' antwortete der Trommler. 'Das sollst du haben,' sagte die Alte, 'wenn du dafür drei Arbeiten verrichten willst.' 'Warum nicht?' antwortete er, 'ich scheue keine Arbeit, und wenn sie noch so schwer ist.' Die Alte

was half das Wünschen, es wuchsen ihm keine Flügel. Jndem er so stand, und sich nicht zu helfen wußte, erblickte er nicht weit von sich zwei Männer, die heftig miteinander stritten. Er gieng auf sie zu und sah daß sie wegen eines Sattels uneins waren, der vor ihnen auf der Erde lag und den jeder von ihnen haben wollte. ‘Was seid ihr für Narren,’ sprach er, ‘zankt euch um einen Sattel und habt kein Pferd dazu.’ ‘Der Sattel ist werth daß man darum streitet,’ antwortete der eine von den Männern, ‘wer darauf sitzt und wünscht sich irgend wohin, und wärs am Ende der Welt, der ist im Augenblick angelangt, wie er den Wunsch ausgesprochen hat. Der Sattel gehört uns gemeinschaftlich, die Reihe darauf zu reiten ist an mir, aber der andere will es nicht zulassen.’ ‘Den Streit will ich bald austragen,’ sagte der Trommler, gieng eine Strecke weit und steckte einen weißen Stab in die Erde. Dann kam er zurück und sprach ‘jetzt lauft nach dem Ziel, wer zuerst dort ist, der reitet zuerst.’ Beide setzten sich in Trab, aber kaum waren sie ein paar Schritte weg, so schwang sich der Trommler auf den Sattel, wünschte sich auf den Glasberg, und ehe man die Hand umdrehte, war er dort. Auf dem Berg oben war eine Ebne, da stand ein altes steinernes Haus, und vor dem Haus lag ein großer Fischteich, dahinter aber ein finsterer Wald. Menschen und Thiere sah er nicht, es war alles still, nur der Wind raschelte in den Bäumen, und die Wolken zogen ganz nah über seinem Haupt weg. Er trat an die Thüre und klopfte an. Als er zum drittenmal geklopft hatte, öffnete eine Alte mit braunem Gesicht und rothen Augen die Thüre; sie hatte eine Brille auf ihrer langen Nase und sah ihn scharf an, dann fragte sie was sein Begehren wäre. ‘Einlaß, Kost und Nachtlager’ antwortete der Trommler. ‘Das sollst du haben,’ sagte die Alte, ‘wenn du dafür drei Arbeiten verrichten willst.’ ‘Warum nicht?’ antwortete er, ‘ich scheue keine Arbeit, und wenn sie noch so schwer ist.’ Die Alte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0442" n="430"/>
was half das Wünschen, es wuchsen ihm keine Flügel. Jndem er so stand, und sich nicht zu helfen wußte, erblickte er nicht weit von sich zwei Männer, die heftig miteinander stritten. Er gieng auf sie zu und sah daß sie wegen eines Sattels uneins waren, der vor ihnen auf der Erde lag und den jeder von ihnen haben wollte. &#x2018;Was seid ihr für Narren,&#x2019; sprach er, &#x2018;zankt euch um einen Sattel und habt kein Pferd dazu.&#x2019; &#x2018;Der Sattel ist werth daß man darum streitet,&#x2019; antwortete der eine von den Männern, &#x2018;wer darauf sitzt und wünscht sich irgend wohin, und wärs am Ende der Welt, der ist im Augenblick angelangt, wie er den Wunsch ausgesprochen hat. Der Sattel gehört uns gemeinschaftlich, die Reihe darauf zu reiten ist an mir, aber der andere will es nicht zulassen.&#x2019; &#x2018;Den Streit will ich bald austragen,&#x2019; sagte der Trommler, gieng eine Strecke weit und steckte einen weißen Stab in die Erde. Dann kam er zurück und sprach &#x2018;jetzt lauft nach dem Ziel, wer zuerst dort ist, der reitet zuerst.&#x2019; Beide setzten sich in Trab, aber kaum waren sie ein paar Schritte weg, so schwang sich der Trommler auf den Sattel, wünschte sich auf den Glasberg, und ehe man die Hand umdrehte, war er dort. Auf dem Berg oben war eine Ebne, da stand ein altes steinernes Haus, und vor dem Haus lag ein großer Fischteich, dahinter aber ein finsterer Wald. Menschen und Thiere sah er nicht, es war alles still, nur der Wind raschelte in den Bäumen, und die Wolken zogen ganz nah über seinem Haupt weg. Er trat an die Thüre und klopfte an. Als er zum drittenmal geklopft hatte, öffnete eine Alte mit braunem Gesicht und rothen Augen die Thüre; sie hatte eine Brille auf ihrer langen Nase und sah ihn scharf an, dann fragte sie was sein Begehren wäre. &#x2018;Einlaß, Kost und Nachtlager&#x2019; antwortete der Trommler. &#x2018;Das sollst du haben,&#x2019; sagte die Alte, &#x2018;wenn du dafür drei Arbeiten verrichten willst.&#x2019; &#x2018;Warum nicht?&#x2019; antwortete er, &#x2018;ich scheue keine Arbeit, und wenn sie noch so schwer ist.&#x2019; Die Alte
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[430/0442] was half das Wünschen, es wuchsen ihm keine Flügel. Jndem er so stand, und sich nicht zu helfen wußte, erblickte er nicht weit von sich zwei Männer, die heftig miteinander stritten. Er gieng auf sie zu und sah daß sie wegen eines Sattels uneins waren, der vor ihnen auf der Erde lag und den jeder von ihnen haben wollte. ‘Was seid ihr für Narren,’ sprach er, ‘zankt euch um einen Sattel und habt kein Pferd dazu.’ ‘Der Sattel ist werth daß man darum streitet,’ antwortete der eine von den Männern, ‘wer darauf sitzt und wünscht sich irgend wohin, und wärs am Ende der Welt, der ist im Augenblick angelangt, wie er den Wunsch ausgesprochen hat. Der Sattel gehört uns gemeinschaftlich, die Reihe darauf zu reiten ist an mir, aber der andere will es nicht zulassen.’ ‘Den Streit will ich bald austragen,’ sagte der Trommler, gieng eine Strecke weit und steckte einen weißen Stab in die Erde. Dann kam er zurück und sprach ‘jetzt lauft nach dem Ziel, wer zuerst dort ist, der reitet zuerst.’ Beide setzten sich in Trab, aber kaum waren sie ein paar Schritte weg, so schwang sich der Trommler auf den Sattel, wünschte sich auf den Glasberg, und ehe man die Hand umdrehte, war er dort. Auf dem Berg oben war eine Ebne, da stand ein altes steinernes Haus, und vor dem Haus lag ein großer Fischteich, dahinter aber ein finsterer Wald. Menschen und Thiere sah er nicht, es war alles still, nur der Wind raschelte in den Bäumen, und die Wolken zogen ganz nah über seinem Haupt weg. Er trat an die Thüre und klopfte an. Als er zum drittenmal geklopft hatte, öffnete eine Alte mit braunem Gesicht und rothen Augen die Thüre; sie hatte eine Brille auf ihrer langen Nase und sah ihn scharf an, dann fragte sie was sein Begehren wäre. ‘Einlaß, Kost und Nachtlager’ antwortete der Trommler. ‘Das sollst du haben,’ sagte die Alte, ‘wenn du dafür drei Arbeiten verrichten willst.’ ‘Warum nicht?’ antwortete er, ‘ich scheue keine Arbeit, und wenn sie noch so schwer ist.’ Die Alte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books (Harvard University): Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-08T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/442
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/442>, abgerufen am 24.11.2024.