Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.den Bündel wieder ab.' So lange er auf ebener Erde gieng, wars noch auszuhalten, aber als sie an den Berg kamen und steigen mußten, und die Steine hinter seinen Füßen hinabrollten, als wären sie lebendig, da giengs über seine Kräfte. Die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne und liefen ihm bald heiß bald kalt über den Rücken hinab. 'Mütterchen,' sagte er, 'ich kann nicht weiter, ich will ein wenig ruhen.' 'Nichts da,' antwortete die Alte, 'wenn wir angelangt sind, so könnt ihr ausruhen, aber jetzt müßt ihr vorwärts. Wer weiß wozu euch das gut ist.' 'Alte, du wirst unverschämt,' sagte der Graf und wollte das Tragtuch abwerfen, aber er bemühte sich vergeblich: es hieng so fest an seinem Rücken, als wenn es angewachsen wäre. Er drehte und wendete sich, aber er konnte es nicht wieder los werden. Die Alte lachte dazu und sprang ganz vergnügt auf ihrer Krücke herum. 'Erzürnt euch nicht, lieber Herr,' sprach sie, 'ihr werdet ja so roth im Gesicht, wie ein Zinshahn. Tragt euern Bündel mit Geduld, wenn wir zu Hause angelangt sind, so will ich euch schon ein gutes Trinkgeld geben.' Was wollte er machen? er mußte sich in sein Schicksal fügen und geduldig hinter der Alten herschleichen. Sie schien immer flinker zu werden und ihm seine Last immer schwerer. Auf einmal that sie einen Satz, sprang auf das Tragtuch und setzte sich oben darauf; wie zaundürre sie war, so hatte sie doch mehr Gewicht als die dickste Bauerndirne. Dem Jünglinge zitterten die Knie, aber wenn er nicht fortgieng, so schlug ihn die Alte mit einer Gerte und mit Brennesseln auf die Beine. Unter beständigem Ächzen stieg er den Berg hinauf und langte endlich bei dem Haus der Alten an, als er eben niedersinken wollte. Als die Gänse die Alte erblickten, streckten sie die Flügel in die Höhe und die Hälse voraus, liefen ihr entgegen und schrien ihr 'wulle, wulle.' Hinter der Herde mit einer Ruthe in der Hand gieng eine bejahrte Trulle, stark und groß, aber häßlich wie die den Bündel wieder ab.’ So lange er auf ebener Erde gieng, wars noch auszuhalten, aber als sie an den Berg kamen und steigen mußten, und die Steine hinter seinen Füßen hinabrollten, als wären sie lebendig, da giengs über seine Kräfte. Die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne und liefen ihm bald heiß bald kalt über den Rücken hinab. ‘Mütterchen,’ sagte er, ‘ich kann nicht weiter, ich will ein wenig ruhen.’ ‘Nichts da,’ antwortete die Alte, ‘wenn wir angelangt sind, so könnt ihr ausruhen, aber jetzt müßt ihr vorwärts. Wer weiß wozu euch das gut ist.’ ‘Alte, du wirst unverschämt,’ sagte der Graf und wollte das Tragtuch abwerfen, aber er bemühte sich vergeblich: es hieng so fest an seinem Rücken, als wenn es angewachsen wäre. Er drehte und wendete sich, aber er konnte es nicht wieder los werden. Die Alte lachte dazu und sprang ganz vergnügt auf ihrer Krücke herum. ‘Erzürnt euch nicht, lieber Herr,’ sprach sie, ‘ihr werdet ja so roth im Gesicht, wie ein Zinshahn. Tragt euern Bündel mit Geduld, wenn wir zu Hause angelangt sind, so will ich euch schon ein gutes Trinkgeld geben.’ Was wollte er machen? er mußte sich in sein Schicksal fügen und geduldig hinter der Alten herschleichen. Sie schien immer flinker zu werden und ihm seine Last immer schwerer. Auf einmal that sie einen Satz, sprang auf das Tragtuch und setzte sich oben darauf; wie zaundürre sie war, so hatte sie doch mehr Gewicht als die dickste Bauerndirne. Dem Jünglinge zitterten die Knie, aber wenn er nicht fortgieng, so schlug ihn die Alte mit einer Gerte und mit Brennesseln auf die Beine. Unter beständigem Ächzen stieg er den Berg hinauf und langte endlich bei dem Haus der Alten an, als er eben niedersinken wollte. Als die Gänse die Alte erblickten, streckten sie die Flügel in die Höhe und die Hälse voraus, liefen ihr entgegen und schrien ihr ‘wulle, wulle.’ Hinter der Herde mit einer Ruthe in der Hand gieng eine bejahrte Trulle, stark und groß, aber häßlich wie die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0376" n="364"/> den Bündel wieder ab.’ So lange er auf ebener Erde gieng, wars noch auszuhalten, aber als sie an den Berg kamen und steigen mußten, und die Steine hinter seinen Füßen hinabrollten, als wären sie lebendig, da giengs über seine Kräfte. Die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne und liefen ihm bald heiß bald kalt über den Rücken hinab. ‘Mütterchen,’ sagte er, ‘ich kann nicht weiter, ich will ein wenig ruhen.’ ‘Nichts da,’ antwortete die Alte, ‘wenn wir angelangt sind, so könnt ihr ausruhen, aber jetzt müßt ihr vorwärts. Wer weiß wozu euch das gut ist.’ ‘Alte, du wirst unverschämt,’ sagte der Graf und wollte das Tragtuch abwerfen, aber er bemühte sich vergeblich: es hieng so fest an seinem Rücken, als wenn es angewachsen wäre. Er drehte und wendete sich, aber er konnte es nicht wieder los werden. Die Alte lachte dazu und sprang ganz vergnügt auf ihrer Krücke herum. ‘Erzürnt euch nicht, lieber Herr,’ sprach sie, ‘ihr werdet ja so roth im Gesicht, wie ein Zinshahn. Tragt euern Bündel mit Geduld, wenn wir zu Hause angelangt sind, so will ich euch schon ein gutes Trinkgeld geben.’ Was wollte er machen? er mußte sich in sein Schicksal fügen und geduldig hinter der Alten herschleichen. Sie schien immer flinker zu werden und ihm seine Last immer schwerer. Auf einmal that sie einen Satz, sprang auf das Tragtuch und setzte sich oben darauf; wie zaundürre sie war, so hatte sie doch mehr Gewicht als die dickste Bauerndirne. Dem Jünglinge zitterten die Knie, aber wenn er nicht fortgieng, so schlug ihn die Alte mit einer Gerte und mit Brennesseln auf die Beine. Unter beständigem Ächzen stieg er den Berg hinauf und langte endlich bei dem Haus der Alten an, als er eben niedersinken wollte. Als die Gänse die Alte erblickten, streckten sie die Flügel in die Höhe und die Hälse voraus, liefen ihr entgegen und schrien ihr ‘wulle, wulle.’ Hinter der Herde mit einer Ruthe in der Hand gieng eine bejahrte Trulle, stark und groß, aber häßlich wie die </p> </div> </body> </text> </TEI> [364/0376]
den Bündel wieder ab.’ So lange er auf ebener Erde gieng, wars noch auszuhalten, aber als sie an den Berg kamen und steigen mußten, und die Steine hinter seinen Füßen hinabrollten, als wären sie lebendig, da giengs über seine Kräfte. Die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne und liefen ihm bald heiß bald kalt über den Rücken hinab. ‘Mütterchen,’ sagte er, ‘ich kann nicht weiter, ich will ein wenig ruhen.’ ‘Nichts da,’ antwortete die Alte, ‘wenn wir angelangt sind, so könnt ihr ausruhen, aber jetzt müßt ihr vorwärts. Wer weiß wozu euch das gut ist.’ ‘Alte, du wirst unverschämt,’ sagte der Graf und wollte das Tragtuch abwerfen, aber er bemühte sich vergeblich: es hieng so fest an seinem Rücken, als wenn es angewachsen wäre. Er drehte und wendete sich, aber er konnte es nicht wieder los werden. Die Alte lachte dazu und sprang ganz vergnügt auf ihrer Krücke herum. ‘Erzürnt euch nicht, lieber Herr,’ sprach sie, ‘ihr werdet ja so roth im Gesicht, wie ein Zinshahn. Tragt euern Bündel mit Geduld, wenn wir zu Hause angelangt sind, so will ich euch schon ein gutes Trinkgeld geben.’ Was wollte er machen? er mußte sich in sein Schicksal fügen und geduldig hinter der Alten herschleichen. Sie schien immer flinker zu werden und ihm seine Last immer schwerer. Auf einmal that sie einen Satz, sprang auf das Tragtuch und setzte sich oben darauf; wie zaundürre sie war, so hatte sie doch mehr Gewicht als die dickste Bauerndirne. Dem Jünglinge zitterten die Knie, aber wenn er nicht fortgieng, so schlug ihn die Alte mit einer Gerte und mit Brennesseln auf die Beine. Unter beständigem Ächzen stieg er den Berg hinauf und langte endlich bei dem Haus der Alten an, als er eben niedersinken wollte. Als die Gänse die Alte erblickten, streckten sie die Flügel in die Höhe und die Hälse voraus, liefen ihr entgegen und schrien ihr ‘wulle, wulle.’ Hinter der Herde mit einer Ruthe in der Hand gieng eine bejahrte Trulle, stark und groß, aber häßlich wie die
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/376>, abgerufen am 16.02.2025. |