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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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lassen. 'Jch habe keine Schuld' antwortete sie, 'das Mädchen ist mit dem Mittagsessen hinausgegangen, es muß sich verirrt haben: morgen wird es schon wiederkommen.' Vor Tag aber stand der Holzhauer auf, wollte in den Wald und verlangte die zweite Tochter sollte ihm diesmal das Essen bringen. 'Jch will einen Beutel mit Linsen mitnehmen,' sagte er, 'die Körner sind größer als Hirsen, das Mädchen wird sie besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen.' Zur Mittagszeit trug auch das Mädchen die Speise hinaus, aber die Linsen waren verschwunden: die Waldvögel hatten sie, wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine übrig gelassen. Das Mädchen irrte im Walde umher bis es Nacht ward, da kam es ebenfalls zu dem Haus des Alten, ward hereingerufen, und bat um Speise und Nachtlager. Der Mann mit dem weißen Barte fragte wieder die Thiere

'schön Hühnchen,
schön Hähnchen,
und du schöne bunte Kuh,
was sagst du dazu?'

Die Thiere antworteten abermals 'duks,' und es geschah alles wie am vorigen Tag. Das Mädchen kochte eine gute Speise, aß und trank mit dem Alten und kümmerte sich nicht um die Thiere. Und als es sich nach seinem Nachtlager erkundigte, antworteten sie

'du hast mit ihm gegessen,
du hast mit ihm getrunken,
du hast an uns gar nicht gedacht,
nun sieh auch wo du bleibst die Nacht.'

Als es eingeschlafen war, kam der Alte, betrachtete es mit Kopfschütteln und ließ es in den Keller hinab.

Am dritten Morgen sprach der Holzhacker zu seiner Frau 'schicke mir heute unser jüngstes Kind mit dem Essen hinaus, das ist immer gut und gehorsam gewesen, das wird auf dem rechten Weg bleiben

lassen. ‘Jch habe keine Schuld’ antwortete sie, ‘das Mädchen ist mit dem Mittagsessen hinausgegangen, es muß sich verirrt haben: morgen wird es schon wiederkommen.’ Vor Tag aber stand der Holzhauer auf, wollte in den Wald und verlangte die zweite Tochter sollte ihm diesmal das Essen bringen. ‘Jch will einen Beutel mit Linsen mitnehmen,’ sagte er, ‘die Körner sind größer als Hirsen, das Mädchen wird sie besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen.’ Zur Mittagszeit trug auch das Mädchen die Speise hinaus, aber die Linsen waren verschwunden: die Waldvögel hatten sie, wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine übrig gelassen. Das Mädchen irrte im Walde umher bis es Nacht ward, da kam es ebenfalls zu dem Haus des Alten, ward hereingerufen, und bat um Speise und Nachtlager. Der Mann mit dem weißen Barte fragte wieder die Thiere

‘schön Hühnchen,
schön Hähnchen,
und du schöne bunte Kuh,
was sagst du dazu?’

Die Thiere antworteten abermals ‘duks,’ und es geschah alles wie am vorigen Tag. Das Mädchen kochte eine gute Speise, aß und trank mit dem Alten und kümmerte sich nicht um die Thiere. Und als es sich nach seinem Nachtlager erkundigte, antworteten sie

‘du hast mit ihm gegessen,
du hast mit ihm getrunken,
du hast an uns gar nicht gedacht,
nun sieh auch wo du bleibst die Nacht.’

Als es eingeschlafen war, kam der Alte, betrachtete es mit Kopfschütteln und ließ es in den Keller hinab.

Am dritten Morgen sprach der Holzhacker zu seiner Frau ‘schicke mir heute unser jüngstes Kind mit dem Essen hinaus, das ist immer gut und gehorsam gewesen, das wird auf dem rechten Weg bleiben

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[336/0348] lassen. ‘Jch habe keine Schuld’ antwortete sie, ‘das Mädchen ist mit dem Mittagsessen hinausgegangen, es muß sich verirrt haben: morgen wird es schon wiederkommen.’ Vor Tag aber stand der Holzhauer auf, wollte in den Wald und verlangte die zweite Tochter sollte ihm diesmal das Essen bringen. ‘Jch will einen Beutel mit Linsen mitnehmen,’ sagte er, ‘die Körner sind größer als Hirsen, das Mädchen wird sie besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen.’ Zur Mittagszeit trug auch das Mädchen die Speise hinaus, aber die Linsen waren verschwunden: die Waldvögel hatten sie, wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine übrig gelassen. Das Mädchen irrte im Walde umher bis es Nacht ward, da kam es ebenfalls zu dem Haus des Alten, ward hereingerufen, und bat um Speise und Nachtlager. Der Mann mit dem weißen Barte fragte wieder die Thiere ‘schön Hühnchen, schön Hähnchen, und du schöne bunte Kuh, was sagst du dazu?’ Die Thiere antworteten abermals ‘duks,’ und es geschah alles wie am vorigen Tag. Das Mädchen kochte eine gute Speise, aß und trank mit dem Alten und kümmerte sich nicht um die Thiere. Und als es sich nach seinem Nachtlager erkundigte, antworteten sie ‘du hast mit ihm gegessen, du hast mit ihm getrunken, du hast an uns gar nicht gedacht, nun sieh auch wo du bleibst die Nacht.’ Als es eingeschlafen war, kam der Alte, betrachtete es mit Kopfschütteln und ließ es in den Keller hinab. Am dritten Morgen sprach der Holzhacker zu seiner Frau ‘schicke mir heute unser jüngstes Kind mit dem Essen hinaus, das ist immer gut und gehorsam gewesen, das wird auf dem rechten Weg bleiben

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/348>, abgerufen am 07.05.2024.