Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal beachteten es die Schwestern gar nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen 'es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was ihm gereicht wurde: das muß andere Wege gefunden haben.' Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb, und sollte achten was es da vor hätte, und ob ihm jemand etwas Essen und Trinken brächte. Als nun Zweiäuglein sich wieder aufmachte, trat Einäuglein zu ihm und sprach 'ich will mit ins Feld und sehen daß die Ziege auch recht gehütet und ins Futter getrieben wird.' Aber Zweiäuglein merkte was Einäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus in hohes Gras und sprach 'komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen, ich will dir was vorsingen.' Einäuglein setzte sich hin und war von dem ungewohnten Weg und von der Sonnenhitze müde, und Zweiäuglein sang immer 'Einäuglein, wachst du? Einäuglein, schläfst du?' Da that Einäuglein das eine Auge zu und schlief ein. Und als Zweiäuglein sah daß Einäuglein fest schlief und nichts verrathen konnte, sprach es 'Zicklein, meck, Tischlein, deck,' und setzte sich an sein Tischlein und aß und trank bis es satt war, dann rief es wieder 'Zicklein, meck,
Tischlein, weg,' Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal beachteten es die Schwestern gar nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen ‘es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was ihm gereicht wurde: das muß andere Wege gefunden haben.’ Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb, und sollte achten was es da vor hätte, und ob ihm jemand etwas Essen und Trinken brächte. Als nun Zweiäuglein sich wieder aufmachte, trat Einäuglein zu ihm und sprach ‘ich will mit ins Feld und sehen daß die Ziege auch recht gehütet und ins Futter getrieben wird.’ Aber Zweiäuglein merkte was Einäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus in hohes Gras und sprach ‘komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen, ich will dir was vorsingen.’ Einäuglein setzte sich hin und war von dem ungewohnten Weg und von der Sonnenhitze müde, und Zweiäuglein sang immer ‘Einäuglein, wachst du? Einäuglein, schläfst du?’ Da that Einäuglein das eine Auge zu und schlief ein. Und als Zweiäuglein sah daß Einäuglein fest schlief und nichts verrathen konnte, sprach es ‘Zicklein, meck, Tischlein, deck,’ und setzte sich an sein Tischlein und aß und trank bis es satt war, dann rief es wieder ‘Zicklein, meck,
Tischlein, weg,’ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0225" n="213"/> Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal beachteten es die Schwestern gar nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen ‘es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was ihm gereicht wurde: das muß andere Wege gefunden haben.’ Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb, und sollte achten was es da vor hätte, und ob ihm jemand etwas Essen und Trinken brächte.</p><lb/> <p>Als nun Zweiäuglein sich wieder aufmachte, trat Einäuglein zu ihm und sprach ‘ich will mit ins Feld und sehen daß die Ziege auch recht gehütet und ins Futter getrieben wird.’ Aber Zweiäuglein merkte was Einäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus in hohes Gras und sprach ‘komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen, ich will dir was vorsingen.’ Einäuglein setzte sich hin und war von dem ungewohnten Weg und von der Sonnenhitze müde, und Zweiäuglein sang immer</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘Einäuglein, wachst du?</l><lb/> <l>Einäuglein, schläfst du?’</l><lb/> </lg> <p>Da that Einäuglein das eine Auge zu und schlief ein. Und als Zweiäuglein sah daß Einäuglein fest schlief und nichts verrathen konnte, sprach es</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘Zicklein, meck,</l><lb/> <l>Tischlein, deck,’</l><lb/> </lg> <p>und setzte sich an sein Tischlein und aß und trank bis es satt war, dann rief es wieder</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘Zicklein, meck,</l><lb/> <l>Tischlein, weg,’</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [213/0225]
Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar Brocken, die ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal beachteten es die Schwestern gar nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen ‘es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was ihm gereicht wurde: das muß andere Wege gefunden haben.’ Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb, und sollte achten was es da vor hätte, und ob ihm jemand etwas Essen und Trinken brächte.
Als nun Zweiäuglein sich wieder aufmachte, trat Einäuglein zu ihm und sprach ‘ich will mit ins Feld und sehen daß die Ziege auch recht gehütet und ins Futter getrieben wird.’ Aber Zweiäuglein merkte was Einäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus in hohes Gras und sprach ‘komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen, ich will dir was vorsingen.’ Einäuglein setzte sich hin und war von dem ungewohnten Weg und von der Sonnenhitze müde, und Zweiäuglein sang immer
‘Einäuglein, wachst du?
Einäuglein, schläfst du?’
Da that Einäuglein das eine Auge zu und schlief ein. Und als Zweiäuglein sah daß Einäuglein fest schlief und nichts verrathen konnte, sprach es
‘Zicklein, meck,
Tischlein, deck,’
und setzte sich an sein Tischlein und aß und trank bis es satt war, dann rief es wieder
‘Zicklein, meck,
Tischlein, weg,’
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/225>, abgerufen am 16.02.2025. |