Es war einmal eine Zauberin, die hatte drei Söhne, die sich brüderlich liebten: aber die Alte traute ihnen nicht und dachte sie wollten ihr ihre Macht rauben. Da verwandelte sie den ältesten in einen Adler, der mußte auf einem Felsengebirge hausen und man sah ihn manchmal am Himmel in großen Kreißen auf und nieder schweben. Den zweiten verwandelte sie in einen Wallfisch, der lebte im tiefen Meer und man sah nur wie er zuweilen einen mächtigen Wasserstrahl in die Höhe warf. Beide hatten nur zwei Stunden jeden Tag ihre menschliche Gestalt. Der dritte Sohn fürchtete sie möchte ihn auch in ein reißendes Thier verwandeln, in einen Bären oder einen Wolf, und gieng heimlich fort. Er hatte aber gehört, daß auf dem Schloß der goldnen Sonne eine verwünschte Königstochter säße, die auf Erlösung harrte. Es müßte aber jeder sein Leben daran wagen, schon drei und zwanzig Jünglinge wären eines jämmerlichen Todes gestorben, und nur noch einer übrig, dann dürfte keiner mehr kommen. Und da sein Herz ohne Furcht war, so faßte er den Entschluß das Schloß von der goldnen Sonne aufzusuchen. Er war schon lange Zeit herum gezogen, und hatte es nicht finden können, da gerieth er in einen
197. Die Krystallkugel.
Es war einmal eine Zauberin, die hatte drei Söhne, die sich brüderlich liebten: aber die Alte traute ihnen nicht und dachte sie wollten ihr ihre Macht rauben. Da verwandelte sie den ältesten in einen Adler, der mußte auf einem Felsengebirge hausen und man sah ihn manchmal am Himmel in großen Kreißen auf und nieder schweben. Den zweiten verwandelte sie in einen Wallfisch, der lebte im tiefen Meer und man sah nur wie er zuweilen einen mächtigen Wasserstrahl in die Höhe warf. Beide hatten nur zwei Stunden jeden Tag ihre menschliche Gestalt. Der dritte Sohn fürchtete sie möchte ihn auch in ein reißendes Thier verwandeln, in einen Bären oder einen Wolf, und gieng heimlich fort. Er hatte aber gehört, daß auf dem Schloß der goldnen Sonne eine verwünschte Königstochter säße, die auf Erlösung harrte. Es müßte aber jeder sein Leben daran wagen, schon drei und zwanzig Jünglinge wären eines jämmerlichen Todes gestorben, und nur noch einer übrig, dann dürfte keiner mehr kommen. Und da sein Herz ohne Furcht war, so faßte er den Entschluß das Schloß von der goldnen Sonne aufzusuchen. Er war schon lange Zeit herum gezogen, und hatte es nicht finden können, da gerieth er in einen
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197.
Die Krystallkugel.
Es war einmal eine Zauberin, die hatte drei Söhne, die sich brüderlich liebten: aber die Alte traute ihnen nicht und dachte sie wollten ihr ihre Macht rauben. Da verwandelte sie den ältesten in einen Adler, der mußte auf einem Felsengebirge hausen und man sah ihn manchmal am Himmel in großen Kreißen auf und nieder schweben. Den zweiten verwandelte sie in einen Wallfisch, der lebte im tiefen Meer und man sah nur wie er zuweilen einen mächtigen Wasserstrahl in die Höhe warf. Beide hatten nur zwei Stunden jeden Tag ihre menschliche Gestalt. Der dritte Sohn fürchtete sie möchte ihn auch in ein reißendes Thier verwandeln, in einen Bären oder einen Wolf, und gieng heimlich fort. Er hatte aber gehört, daß auf dem Schloß der goldnen Sonne eine verwünschte Königstochter säße, die auf Erlösung harrte. Es müßte aber jeder sein Leben daran wagen, schon drei und zwanzig Jünglinge wären eines jämmerlichen Todes gestorben, und nur noch einer übrig, dann dürfte keiner mehr kommen. Und da sein Herz ohne Furcht war, so faßte er den Entschluß das Schloß von der goldnen Sonne aufzusuchen. Er war schon lange Zeit herum gezogen, und hatte es nicht finden können, da gerieth er in einen
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/535>, abgerufen am 16.02.2025.
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