Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

weißem Linnen, so will ich auch kommen und mich schlafen legen.' Das Mädchen stieg hinauf, und als es die Betten geschüttelt und frisch gedeckt hatte, legte es sich in das eine, ohne weiter auf den Alten zu warten. Nach einiger Zeit aber kam der graue Mann, beleuchtete das Mädchen mit dem Licht und schüttelte mit dem Kopf. Und als er sah daß es fest eingeschlafen war, öffnete er eine Fallthüre und ließ es in den Keller sinken.

Der Holzhauer kam am späten Abend nach Haus, und machte seiner Frau Vorwürfe, daß sie ihn den ganzen Tag habe hungern lassen. 'Jch habe keine Schuld' antwortete sie, 'das Mädchen ist mit dem Mittagsessen hinausgegangen, es muß sich verirrt haben: morgen wird es schon wiederkommen.' Vor Tag aber stand der Holzhauer auf, wollte in den Wald und verlangte die zweite Tochter sollte ihm diesmal das Essen bringen. 'Jch will einen Beutel mit Linsen mitnehmen,' sagte er, 'die Körner sind größer als Hirsen, das Mädchen wird sie besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen.' Zur Mittagszeit trug auch das Mädchen die Speise hinaus, aber die Linsen waren verschwunden: die Waldvögel hatten sie, wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine übrig gelassen. Das Mädchen irrte im Walde umher bis es Nacht ward, da kam es ebenfalls zu dem Haus des Alten, ward hereingerufen, und bat um Speise und Nachtlager. Der Mann mit dem weißen Barte fragte wieder die Thiere

'schön Hühnchen,
schön Hähnchen,
und du schöne bunte Kuh,
was sagst du dazu?'

weißem Linnen, so will ich auch kommen und mich schlafen legen.’ Das Mädchen stieg hinauf, und als es die Betten geschüttelt und frisch gedeckt hatte, legte es sich in das eine, ohne weiter auf den Alten zu warten. Nach einiger Zeit aber kam der graue Mann, beleuchtete das Mädchen mit dem Licht und schüttelte mit dem Kopf. Und als er sah daß es fest eingeschlafen war, öffnete er eine Fallthüre und ließ es in den Keller sinken.

Der Holzhauer kam am späten Abend nach Haus, und machte seiner Frau Vorwürfe, daß sie ihn den ganzen Tag habe hungern lassen. ‘Jch habe keine Schuld’ antwortete sie, ‘das Mädchen ist mit dem Mittagsessen hinausgegangen, es muß sich verirrt haben: morgen wird es schon wiederkommen.’ Vor Tag aber stand der Holzhauer auf, wollte in den Wald und verlangte die zweite Tochter sollte ihm diesmal das Essen bringen. ‘Jch will einen Beutel mit Linsen mitnehmen,’ sagte er, ‘die Körner sind größer als Hirsen, das Mädchen wird sie besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen.’ Zur Mittagszeit trug auch das Mädchen die Speise hinaus, aber die Linsen waren verschwunden: die Waldvögel hatten sie, wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine übrig gelassen. Das Mädchen irrte im Walde umher bis es Nacht ward, da kam es ebenfalls zu dem Haus des Alten, ward hereingerufen, und bat um Speise und Nachtlager. Der Mann mit dem weißen Barte fragte wieder die Thiere

‘schön Hühnchen,
schön Hähnchen,
und du schöne bunte Kuh,
was sagst du dazu?’
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0399" n="387"/>
weißem Linnen, so will ich auch kommen und mich schlafen legen.&#x2019; Das Mädchen stieg hinauf, und als es die Betten geschüttelt und frisch gedeckt hatte, legte es sich in das eine, ohne weiter auf den Alten zu warten. Nach einiger Zeit aber kam der graue Mann, beleuchtete das Mädchen mit dem Licht und schüttelte mit dem Kopf. Und als er sah daß es fest eingeschlafen war, öffnete er eine Fallthüre und ließ es in den Keller sinken.</p><lb/>
        <p>Der Holzhauer kam am späten Abend nach Haus, und machte seiner Frau Vorwürfe, daß sie ihn den ganzen Tag habe hungern lassen. &#x2018;Jch habe keine Schuld&#x2019; antwortete sie, &#x2018;das Mädchen ist mit dem Mittagsessen hinausgegangen, es muß sich verirrt haben: morgen wird es schon wiederkommen.&#x2019; Vor Tag aber stand der Holzhauer auf, wollte in den Wald und verlangte die zweite Tochter sollte ihm diesmal das Essen bringen. &#x2018;Jch will einen Beutel mit Linsen mitnehmen,&#x2019; sagte er, &#x2018;die Körner sind größer als Hirsen, das Mädchen wird sie besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen.&#x2019; Zur Mittagszeit trug auch das Mädchen die Speise hinaus, aber die Linsen waren verschwunden: die Waldvögel hatten sie, wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine übrig gelassen. Das Mädchen irrte im Walde umher bis es Nacht ward, da kam es ebenfalls zu dem Haus des Alten, ward hereingerufen, und bat um Speise und Nachtlager. Der Mann mit dem weißen Barte fragte wieder die Thiere</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x2018;schön Hühnchen,</l><lb/>
          <l>schön Hähnchen,</l><lb/>
          <l>und du schöne bunte Kuh,</l><lb/>
          <l>was sagst du dazu?&#x2019;</l><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0399] weißem Linnen, so will ich auch kommen und mich schlafen legen.’ Das Mädchen stieg hinauf, und als es die Betten geschüttelt und frisch gedeckt hatte, legte es sich in das eine, ohne weiter auf den Alten zu warten. Nach einiger Zeit aber kam der graue Mann, beleuchtete das Mädchen mit dem Licht und schüttelte mit dem Kopf. Und als er sah daß es fest eingeschlafen war, öffnete er eine Fallthüre und ließ es in den Keller sinken. Der Holzhauer kam am späten Abend nach Haus, und machte seiner Frau Vorwürfe, daß sie ihn den ganzen Tag habe hungern lassen. ‘Jch habe keine Schuld’ antwortete sie, ‘das Mädchen ist mit dem Mittagsessen hinausgegangen, es muß sich verirrt haben: morgen wird es schon wiederkommen.’ Vor Tag aber stand der Holzhauer auf, wollte in den Wald und verlangte die zweite Tochter sollte ihm diesmal das Essen bringen. ‘Jch will einen Beutel mit Linsen mitnehmen,’ sagte er, ‘die Körner sind größer als Hirsen, das Mädchen wird sie besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen.’ Zur Mittagszeit trug auch das Mädchen die Speise hinaus, aber die Linsen waren verschwunden: die Waldvögel hatten sie, wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine übrig gelassen. Das Mädchen irrte im Walde umher bis es Nacht ward, da kam es ebenfalls zu dem Haus des Alten, ward hereingerufen, und bat um Speise und Nachtlager. Der Mann mit dem weißen Barte fragte wieder die Thiere ‘schön Hühnchen, schön Hähnchen, und du schöne bunte Kuh, was sagst du dazu?’

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/399
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/399>, abgerufen am 28.04.2024.