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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

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es war als wenn die Sonne aufgieng. Der König sprach 'meine Töchter, ich weiß nicht wann mein letzter Tag kommt, ich will heute bestimmen was eine jede nach meinem Tode erhalten soll. Ihr alle habt mich lieb, aber wer mich von euch am liebsten hat, die soll das beste haben.' Jede sagte sie hätte ihn am liebsten. 'Könnt ihr mirs nicht ausdrücken,' erwiederte der König, 'wie lieb ihr mich habt? daran werde ich sehen wie ihrs meint.' Die älteste sprach 'ich habe den Vater so lieb als den süßesten Zucker.' Die zweite 'ich habe den Vater so lieb als mein schönstes Kleid.' Die jüngste aber schwieg. Da fragte der Vater 'und du, mein liebstes Kind, wie lieb hast du mich?' 'Ich weiß es nicht,' antwortete sie, 'und kann meine Liebe mit nichts vergleichen.' Aber der Vater bestand darauf, sie müßte etwas nennen. Da sagte sie endlich 'die beste Speise schmeckt mir nicht ohne Salz, darum habe ich den Vater so lieb als Salz.' Als der König das hörte, gerieth er in Zorn, und sprach 'wenn du mich so liebst als Salz, so soll deine Liebe auch mit Salz belohnt werden.' Da theilte er das Reich zwischen den beiden ältesten, der jüngsten aber ließ er einen Sack mit Salz auf den Rücken binden und zwei Knechte mußten sie hinaus in den wilden Wald führen. 'Wir haben alle für sie gefleht und gebeten,' sagte die Königin, aber der Zorn des Königs war nicht zu erweichen. Wie hat sie geweint, als sie uns verlassen mußte! der ganze Weg ist mit Perlen besät worden, die ihr aus den Augen geflossen sind. Den König hat bald hernach seine große Härte gereut, und er hat das arme Kind in dem ganzen Wald suchen lassen, aber niemand konnte sie finden.

es war als wenn die Sonne aufgieng. Der König sprach ‘meine Töchter, ich weiß nicht wann mein letzter Tag kommt, ich will heute bestimmen was eine jede nach meinem Tode erhalten soll. Ihr alle habt mich lieb, aber wer mich von euch am liebsten hat, die soll das beste haben.’ Jede sagte sie hätte ihn am liebsten. ‘Könnt ihr mirs nicht ausdrücken,’ erwiederte der König, ‘wie lieb ihr mich habt? daran werde ich sehen wie ihrs meint.’ Die älteste sprach ‘ich habe den Vater so lieb als den süßesten Zucker.’ Die zweite ‘ich habe den Vater so lieb als mein schönstes Kleid.’ Die jüngste aber schwieg. Da fragte der Vater ‘und du, mein liebstes Kind, wie lieb hast du mich?’ ‘Ich weiß es nicht,’ antwortete sie, ‘und kann meine Liebe mit nichts vergleichen.’ Aber der Vater bestand darauf, sie müßte etwas nennen. Da sagte sie endlich ‘die beste Speise schmeckt mir nicht ohne Salz, darum habe ich den Vater so lieb als Salz.’ Als der König das hörte, gerieth er in Zorn, und sprach ‘wenn du mich so liebst als Salz, so soll deine Liebe auch mit Salz belohnt werden.’ Da theilte er das Reich zwischen den beiden ältesten, der jüngsten aber ließ er einen Sack mit Salz auf den Rücken binden und zwei Knechte mußten sie hinaus in den wilden Wald führen. ‘Wir haben alle für sie gefleht und gebeten,’ sagte die Königin, aber der Zorn des Königs war nicht zu erweichen. Wie hat sie geweint, als sie uns verlassen mußte! der ganze Weg ist mit Perlen besät worden, die ihr aus den Augen geflossen sind. Den König hat bald hernach seine große Härte gereut, und er hat das arme Kind in dem ganzen Wald suchen lassen, aber niemand konnte sie finden.

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[414/0424] es war als wenn die Sonne aufgieng. Der König sprach ‘meine Töchter, ich weiß nicht wann mein letzter Tag kommt, ich will heute bestimmen was eine jede nach meinem Tode erhalten soll. Ihr alle habt mich lieb, aber wer mich von euch am liebsten hat, die soll das beste haben.’ Jede sagte sie hätte ihn am liebsten. ‘Könnt ihr mirs nicht ausdrücken,’ erwiederte der König, ‘wie lieb ihr mich habt? daran werde ich sehen wie ihrs meint.’ Die älteste sprach ‘ich habe den Vater so lieb als den süßesten Zucker.’ Die zweite ‘ich habe den Vater so lieb als mein schönstes Kleid.’ Die jüngste aber schwieg. Da fragte der Vater ‘und du, mein liebstes Kind, wie lieb hast du mich?’ ‘Ich weiß es nicht,’ antwortete sie, ‘und kann meine Liebe mit nichts vergleichen.’ Aber der Vater bestand darauf, sie müßte etwas nennen. Da sagte sie endlich ‘die beste Speise schmeckt mir nicht ohne Salz, darum habe ich den Vater so lieb als Salz.’ Als der König das hörte, gerieth er in Zorn, und sprach ‘wenn du mich so liebst als Salz, so soll deine Liebe auch mit Salz belohnt werden.’ Da theilte er das Reich zwischen den beiden ältesten, der jüngsten aber ließ er einen Sack mit Salz auf den Rücken binden und zwei Knechte mußten sie hinaus in den wilden Wald führen. ‘Wir haben alle für sie gefleht und gebeten,’ sagte die Königin, aber der Zorn des Königs war nicht zu erweichen. Wie hat sie geweint, als sie uns verlassen mußte! der ganze Weg ist mit Perlen besät worden, die ihr aus den Augen geflossen sind. Den König hat bald hernach seine große Härte gereut, und er hat das arme Kind in dem ganzen Wald suchen lassen, aber niemand konnte sie finden.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/424>, abgerufen am 17.06.2024.